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nicht sehen wollte. Ich ahnte nicht, dass dies erst der Anfang meiner Begegnung mit den Verstorbenen war.

      Die Schule wurde leichter, als ich gelernt hatte, mich unter Kontrolle zu halten. Ich war eine durchschnittliche Schülerin, die festgestellt hatte, dass das Zusammensein mit anderen viel mehr Spaß machte als Geometrie. Ich war die ganzen vier Jahre auf der Highschool die Anführerin der Cheerleaders. Meine beste Freundin allerdings war meine Schwester, denn der Altersunterschied zwischen ihr und mir betrug nur elf Monate. Keiner unserer Freunde erfuhr jemals von meiner spirituellen Fähigkeit oder dem Zwischenfall mit meiner früheren Freundin auf dem Schulhof. Ich behielt alles für mich und glaubte, die Fähigkeit zu verlieren, wenn ich sie nicht beachtete. Noch nicht einmal meine Geschwister wussten, dass ich ein großes Geheimnis vor der Welt versteckte. Ich hoffte und betete, dass niemand es je herausfinden würde.

      2

      Der Tag, auf den die Seelen gewartet hatten

      Im Jahr 1982 heiratete ich Bret, den Mann meiner Träume. Ich liebte meinen Mann schon, als er noch nicht einmal wusste, wer ich war. In dem Augenblick, als ich ihn mit vierzehn bei einem Basketballspiel sah, verliebte ich mich in ihn. Er war damals sechzehn und ging auf die Highschool. Es dauerte noch viele Jahre, bis er mich als reife, attraktive Frau wahrnahm, mit der er eine Zukunft aufbauen könnte. Wir hatten beide schon den Highschoolabschluss und einen Job, als unsere Beziehung anfing. Auch wenn wir beide noch jung waren, heirateten wir mit Anfang zwanzig. Unser Hochzeitstag fiel auf den 11. September 1982 – wir ahnten nicht, was für ein tragisches Datum dies später für Amerika bedeuten würde. Für mich war es der glücklichste Tag meines Lebens.

      Mein Mann ging bald darauf in die Navy. Er verpflichtete sich für ganze sechs Jahre. Das gab uns genügend Zeit, um eine Familie zu gründen. Da wir in Deutschland stationiert waren, hatten wir das Vergnügen, viele schöne und aufregende Orte in Europa kennen zu lernen. Während der Zeit in der Navy bekamen wir drei wundervolle und lebhafte Jungen, die wir geradezu anbeten. Ich war mit allen möglichen Jobs, Babysitten und meinem Haushalt vollauf beschäftigt. Bei all unseren Reisen wurde Deutschland mein Lieblingsland. Mich faszinierte die Geschichte dieses alten Landes, und ich genoss die Erlebnisse und Erfahrungen, die es mir bieten konnte. Wir flogen zwar so oft wir konnten nach Hause, doch wir freuten uns immer, wenn wir zu unserem geruhsameren Leben auf dem Land zurückkehrten. Wir hatten auch das Glück, in Deutschland viele gute Freundschaften zu schließen, die es leichter machten, weit weg von der Heimat zu sein.

      1987 kündigte mein Bruder an, dass er und seine Frau uns in Deutschland besuchen wollten. Am 24. Mai würden sie ihren ersten Hochzeitstag feiern. Ich war überglücklich, da ich Tausende von Meilen von meiner Familie getrennt war und sie sehr vermisste. Ich komme aus einer engen Familiengemeinschaft und war es nicht gewöhnt, so lange von Zuhause weg zu sein. Die Vorstellung, meinen Bruder und seine Frau wiederzusehen, war himmlisch! Meine Schwägerin war eine gute Freundin von mir und ich konnte die Ankunft der beiden kaum erwarten. Wir alle freuten uns sehr darauf.

      Nach ihrer sicheren Landung in Deutschland feierten wir das Wiedersehen. Sie erzählten mir alle Neuigkeiten über die Familie zu Hause. Wir nahmen sie mit zu Fußballspielen, machten Ausflüge und zeigten ihnen die Landschaft. Wir besuchten Schlösser, Geschäfte und die herrlichen kleinen Restaurants in der Gegend. Es war Ende Mai und das Wetter war mild. Ich war so glücklich. Alles schien vollkommen zu sein. Was könnte jetzt noch schief gehen?

      Nach einem besonders ereignisreichen Tag kamen wir nach Hause zurück und gingen zu Bett. Die beiden Jungen schliefen sofort ein, und es dauerte nicht lange, bis auch die Erwachsenen fest schliefen.

      Am nächsten Tag wachte ich auf und machte Frühstück. Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, außer dass meine Verwandten zu Besuch waren. Wir frühstückten gemütlich und besprachen unsere Pläne für den Tag. Ich hatte gerade damit angefangen, das Geschirr abzuräumen, als das Telefon klingelte.

      Nur wenige Minuten vorher hatte Linda sich im Bad die Haare getrocknet, während die beiden Jungen im Fernsehen Cartoons sahen. Ich ging gerade aus der Küche ins Schlafzimmer. Dort roch ich den starken Duft eines bestimmten Parfüms. Ich rief Linda und fragte sie, welches Parfüm sie verwendete. Als sie ins Schlafzimmer kam, sagte sie, dass sie kein Parfüm nach Deutschland mitgenommen hätte.

      »Das ist doch Halston, oder?«, meinte sie.

      »Weißt du, wer das immer benutzt?«

      »Wer?«, fragte ich.

      »Heather. Sie trägt das immer.«

      Linda und meine jüngere Schwester Heather waren eng miteinander befreundet, und Linda war sicher, dass dies derselbe Duft war. Sobald sie es ausgesprochen hatte, klingelte das Telefon. Linda ging zurück ins Bad und ich nahm den Hörer ab. Es war mein Vater aus Maine.

      »Es ist Dad«, sagte ich zu Bret und Chuck, die mich fragend anschauten.

      »Ach, der Boss? Er will sicher wissen, wie es uns geht.« Doch dann starrte Bret mich erschrocken an. »Da drüben ist es jetzt drei Uhr morgens!«

      »Ich habe eine schlechte Nachricht«, sagte mein Vater.

      »Was ist es?«, fragte ich zögernd.

      »Wir haben heute Nacht Heather und Tom verloren«, antwortete er. Tom war Heathers Mann.

      Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte. »Wie meinst du das - wir haben sie verloren?«

      »Sie hatten einen tödlichen Autounfall, Liebling.«

      Ich wiederholte die Worte meines Vaters laut, noch bevor ich ihre Bedeutung begriff.

      »Heather und Tom sind heute Nacht bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«

      Dann setzte ich mich stumm und wie betäubt hin, den Hörer ans Ohr gepresst.

      Mein Vater, der offensichtlich selbst immer noch unter Schock stand, sagte: »Es tut mir so Leid, Liebling. Ich kann jetzt nicht reden. Ich ruf dich wieder an, sobald wir mehr wissen.«

      Ich antwortete: »Es ist okay, Dad. Alles wird gut sein.«

      Während ich den Hörer auflegte, glaubte irgendetwas in mir tatsächlich, dass alles gut sein würde. Es war das erste Mal für mich, jemanden zu verlieren, der mir so nahe stand. Es schien undenkbar. Meine Eltern, Heather und dieser Unfall waren so weit weg von Deutschland, dass ich die Realität nur sehr schwer begreifen konnte. Bis zu diesem Augenblick hatte sich alles in meinem Leben immer wieder zum Guten gewendet, doch ich spürte, diesmal würde es anders sein. Ich fühlte, dass mein Leben sich auf mehr als eine Weise verändern würde und nichts mehr so sein würde wie vorher.

      Zwei Tage lang war ich unfähig zu weinen. Wahrscheinlich war ich so viele tausend Meilen von zu Hause entfernt, dass ich keine Verbindung mehr spürte. Am zweiten Abend telefonierte ich mit meiner Mutter. Sie hatte erfahren, dass das kleine Auto von Tom und Heather nur wenige hundert Meter von ihrem Haus von einem anderen Wagen erfasst worden war. Ein Jugendlicher hatte den Unfallwagen gefahren. Er und seine drei Freunde hatten es anscheinend für cool gehalten, ohne Scheinwerfer durch ein Stoppschild zu rasen, und so war der Wagen mit der Längsseite von Heathers und Toms Auto kollidiert. Heather und Tom hatten sie noch nicht einmal kommen sehen und waren sofort tot. Der jugendliche Fahrer des anderen Wagens, der für den Unfall verantwortlich war, kam mit geringfügigen Verletzungen davon.

      Der Klang der Stimme meiner Mutter brach den Damm. Endlich konnte ich weinen. Meine Tränenflut wollte gar nicht mehr aufhören.

      »Wird das Leben je wieder so sein, wie es war?«, fragte ich sie schluchzend.

      »Mit der Zeit wird es das«, sagte sie.

      Ich glaubte ihr jedes Wort, wohl weil ich so verzweifelt daran glauben wollte. Jeder Gedanke an eine Zukunft ohne meine jüngere Schwester stach mir ins Herz, und plötzlich kamen mir tausend Fragen, auf die es keine Antwort gab. Warum ausgerechnet Heather? Warum musste sie so jung sterben? Hatten sie und Tom leiden müssen? Und wo waren sie jetzt?

      Ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Im Bett tröstete Bret mich, bis ich erschöpft

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