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       9. Alle Genossen in den Massenorganisationen werden beauftragt, im Rahmen der starken Selbstverpflichtungsbewegung zum Ableben des Genossen Stalin, eine starke Selbstverpflichtungsbewegung von Jugendlichen für den Eintritt in die kasernierte Volkspolizei und VP-Helfer zu organisieren. Das gleiche gilt für die verstärkte Werbung für die Gesellschaft für Sport und Technik sowie für die Deutsch-Sowjetische Freundschaft.

       12. Genosse B … wird beauftragt, sämtliche Schulen des Kreises zu veranlassen, daß dort ebenfalls eine starke Selbstverpflichtungsbewegung anlässlich des Todes des Genossen Stalin entfaltet wird. Es ist besonders darauf hinzuwirken, daß die Schulen … Schulen in Westdeutschland anschreiben, um sie gegen die 3. Lesung des Generalkriegsvertrages zu mobilisieren …

      *) Beitritt der BRD zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. (2)

      Man achte in diesem Schreiben der SED-Kreisleitung auf den imperativen Sprachstil: „ … beauftragt ….“, „zu entfalten“, „zu mobilisieren“, „zu organisieren“, „Schlußfolgerungen ziehen“ … „zur Rechenschaft zu ziehen“ usw. Ich habe an Text und Orthographie nichts geändert!

      Im Frühjahr 1953 hatte die SED- und Staatsführung einen breit angelegten Angriff gegen die Kirche, insbesondere gegen die evangelisch-kirchliche Jugendorganisation „Junge Gemeinde“, eingeleitet. Diese Kampagne zielte hauptsächlich auf die Oberschulen, wo den 14 – 18-jährigen Jugendlichen kategorisch die Entscheidung abverlangt werden sollte: entweder Eintritt in die FDJ oder „Junge Gemeinde“. Das bedeutete, wer sich nicht für „unseren“ Staat, also für die FDJ, entscheidet und stattdessen weiterhin Mitglied der christlichen Jungen Gemeinde bleibt, der verdiene nicht, die Oberschule besuchen zu dürfen! Als staatsfeindliches Delikt warf man der evangelischen „Jungen Gemeinde“ vor, sie stünde durch ihre Beziehungen zur evangelischen Kirche in Westdeutschland mit dem „westdeutschen Imperialismus“ in Verbindung. Man konnte in der Zeitung lesen: „Junge Gemeinde – Tarnorganisation für Kriegshetze, Sabotage und Spionage im USA-Auftrag“ (Schlagzeile aus „Junge Welt“, Extrablatt April 1953) (3)

      Auf die Löfflerschule als Grundschule (damals Klassen 1 – 8) traf diese politische Attacke nicht zu. Aber die Parteisekretäre der Grundschulen sollten in der Gothaer Arnoldi-Oberschule „zum Einsatz gebracht werden … zur Unterstützung der dort tätigen Genossen Lehrer“!

      So bestellte man uns Parteisekretäre in die Kreisleitung. Dort wurden wir instruiert, noch mal „gründlich“ über den „staatsfeindlichen Charakter“ der Jungen Gemeinde „aufgeklärt“ und „mit Parteiauftrag“ verpflichtet, in der Arnoldischule mit den Jugendlichen einer jeweiligen Klasse „zu diskutieren“. Mit dem Ziel, die betreffenden Mädchen und Jungen von der Jungen Gemeinde abzuziehen und einzig und allein dem Dienst in der FDJ zuzuführen. Abschließend bekam jeder von uns die für ihn vorgesehene Klasse genannt und den bereits festgelegten genauen Zeitpunkt zur befohlenden „Aussprache.“ Wie gesagt: Das war ein „Parteiauftrag“ – fast wie ein militärischer Kampfauftrag! Keiner der versammelten Parteisekretäre von den Schulen hat widersprochen!

      Mir, zu dieser Zeit noch Parteisekretär der Löfflerschule, blieb bis zu meinem Termin eine Frist von etwa 12 Tagen. – Ich wusste, was da auf mich zukam: Entweder auf die Jugendlichen dieser 11. Klasse Druck ausüben, sie einschüchtern, ihnen drohen und sie in die Enge treiben (was mir die Partei hoch anrechnen würde) oder ihnen eindeutig Toleranz zusichern, ihnen zuhören und sie selber frei entscheiden lassen. – Ich hatte unruhige Nächte und legte mir nach mehrfachen Überlegungen ein Konzept zurecht, nach dem ich vorgehen wollte, ohne die Jugendlichen dieser Klasse zu gefährden, und wodurch ich gegenüber der Partei sichtbar machen konnte, dass ich trotz „guten Willens“ für eine derartige Aufgabe nicht geeignet sei. Diesen gedachten Plan trug ich schwer mit mir herum, versuchte ihn in Gedanken zu präzisieren und auszugestalten, doch dann – ganz plötzlich und unerwartet wurde das ganze Unternehmen „Junge Gemeinde“ auf der Stelle abgeblasen!

      Der 17. Juni 1953, der „Neue Kurs“ von Partei und Regierung in Verbindung mit dem Aufstand der Berliner Arbeiter und der begonnene Streik der LOWA-Arbeiter in Gotha, hatte die SED-Kreisleitung gezwungen, jene Aktion abrupt fallen zu lassen. Ich sah mich über Nacht wie befreit und war heilfroh, dass diese drückende Last von mir gewichen war. Zugleich waren jene Tage vom 17. Juni auch für uns in der Schule sehr aufregend. Der Unterricht sollte wie gewohnt weitergeführt werden, was auch geschah. Wir „Genossen“ wurden durch Kurier angewiesen, sofort „höchste Wachsamkeit“ zu üben. Ein Schulinspektor brachte zwei Kleinkalibergewehre mit Munition ins Direktorzimmer (!) und verordnete eine Nachtwache in der Schule. Das hieß, wir Genossen mussten des Nachts zu zweit als Doppelposten im Schulhaus Wache halten – gegen eventuelle „feindliche Handlungen des Klassengegners“. Über Telefon sollten wir der übergeordneten Dienststelle, also dem Büro des Schulrates, sofort Meldung erstatten, falls unserer Schule Gefahr drohe! – Wir fanden das lächerlich, setzten uns nachts zu dritt ins Direktorzimmer und spielten Skat. Ab und zu wurde angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung sei. Nach der dritten Nacht, so glaube ich mich zu erinnern, wurden die Gewehre wieder abgeholt. Aber innerhalb der Partei herrschte weiterhin höchste Wachsamkeit.

      In jenen 50er Jahren war ein gewisser Genosse x als Beauftragter der SED-Kreisleitung, Abt. Agitation und Propaganda, für die Schulparteiorganisationen zuständig. Er leitete Zusammenkünfte der Schulparteisekretäre in der Kreisleitung, erteilte Anweisungen, prüfte Versammlungsprotokolle, Arbeitspläne und Rechenschaftsberichte der Schulparteiorganisationen, nahm an deren Parteiversammlungen teil und war insgesamt für Kontrolle und Anleitung der Schulparteiorganisationen und somit auch für die politische „Betreuung“ der Löfflerschule verantwortlich.

      Ich vergesse diesen Mann nicht: seinen Namen, sein arrogantes Auftreten, seine krähende Feldwebelstimme, sein aggressiv durchdringender Blick, seine spitzen, scharfen dogmatischen Phrasen – alles das sehe und höre ich, wenn ich zurückdenke an diesen kleinwüchsigen mächtigen Mann der Partei. „Giftzwerg“ wurde er genannt unter den Genossen der Gothaer Schulen. Dieser Parteifunktionär war für mich ein personifiziertes Sinnbild stalinistischer Parteidiktatur. Das war kein „Genosse“, wenn man darunter einen gleichgesinnten, vertrauten politischen Freund und Gefährten versteht. Er war der kleine Diktator – ein Ebenbild der Mächtigen von den oberen Etagen der Partei.

      Ich erinnere mich noch genau, wie er als Instrukteur der SED-Kreisleitung in einer Wahl-Versammlung unserer Parteigruppe aufgetreten ist. Die Genossin P., die mir nachfolgende Parteisekretärin an der Schule, hatte den Rechenschaftsbericht der Parteileitung der Schule vorgetragen, dann wurde die neue Parteileitung gewählt und anschließend der neue Arbeitsplan der Parteigruppe gelesen und erläutert. Er hörte sich noch den Beginn der Diskussion an, dann setzte er mit einem Donnerwetter ein, verriss in harten Worten den Arbeitsplan, schrie scharf seine Beanstandungen in die Runde, erklärte den Arbeitsplan für null und nichtig, forderte auf der Stelle dessen grundlegende Überarbeitung und Korrektur und befahl die Wiederholung dieser Wahlversammlung, an der er selbstverständlich wieder teilnehmen werde. Es wirkte vernichtend und in hohem Maße verletzend. – Ich weiß heute nicht mehr genau, was er bemängelt hatte oder welches „wichtige“ politische Klassenkampf-Thema die Parteisekretärin in ihrem Arbeitsplan vergessen hatte. Das wäre auch nicht so wichtig, es war einzig und allein sein geradezu menschenfeindliches Auftreten. Waren wir seine politischen Sklaven oder seine politischen Freunde und Genossen? Man erzählte sich damals, dass dieser Genosse im trunkenen Zustand damit prahle, unter seiner Jacke eine Pistole zu tragen – natürlich im Auftrag der Partei! Ob das nun stimmte oder nicht. Man traute es ihm zu, zumal die politische Herrschaft der Partei in ihrer ganzen Schärfe hinter ihm stand.

      Diese Art zu herrschen und die eigenen Genossen voranzutreiben wurde immer wieder mit der „notwendigen Härte im verschärften Klassenkampf“ begründet. Die Partei müsse verlangen, dass ihre Mitglieder bedingungslos gehorchten und mit gleicher „Konsequenz“ und „Parteidisziplin“ gegenüber Kollegen, Schülern und Eltern aufzutreten hätten.

      So fragte ich mich: Ist diese praktizierte Diktatur der SED nicht nach innen gerichtet? Dient sie nicht in erster Linie zur Disziplinierung oder gar zur bedingungslosen

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