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der Islam etwa vom sogenannten Islamischen Staat. Wer verstehen will, wer Hintergrundwissen haben will, der muss also in die Tiefe gehen, differenzieren und analysieren, und darf nicht bei ideologischen Verkürzungen stehenbleiben.

      Viele, viele Menschen sind müde geworden an der Komplexität unserer Wirklichkeit. Sie sind es leid, sich immer und immer wieder neu an der Unübersichtlichkeit unserer Lebenswirklichkeiten abarbeiten zu müssen. Sie wollen, dass die Wirklichkeit einfach und überschaubar ist. Am Rande bemerkt: Daher wählen sie dann auch Parteien, die behaupten, es sei eigentlich alles ganz einfach. Komplexität soll reduziert werden. In Sachen Religion heißt das dann: Die Unterschiede zwischen den Konfessionen und auch zwischen den Religionen sind bedeutungslos.

      Komplexitätsreduzierung ist eine Sehnsucht aktueller gesellschaftlicher Wirklichkeit. Sie ist ein Trend, und nicht wenige – wieder: hier wie dort – finden auch das bedenklich, dass nämlich ihre Kirchen sich vielen der Strömungen oder Trends, die unsere Gegenwart bestimmen, regelrecht anbiedern. Man will ja mit der Zeit gehen, will „in“ sein. Auch Fusionen sind „in“. So verwundert es nicht, dass vor allem aus Wirtschaft und Politik Unverständnis für konfessionelle Differenzen kundgetan wird. „Da sieht man mal wieder, wie unprofessionell die Kirchen sind. Hätten wir das Sagen, wären die längst fusioniert.“ Die Reduktion kirchlicher Angebote auf eine hippe Eventkultur, die Forderung der Wiedereinführung der lateinischen Messe als Verlängerung einer larmoyanten Modernitätskritik und eine völlig überzogene Genderpolitik, wie sie in der „Bibel in gerechter Sprache“ ihren Niederschlag findet und die dort zu sinnentstellenden Texten führt, wären weitere Beispiele für eine solche Anbiederung.

      Vor solcher Anbiederung bewahrt in erster Linie differenziertes Hintergrundwissen. Wer die Hintergründe kennt, aus denen heraus plausibel wird, warum zentrale Inhalte der großen Konfessionen so geworden sind, wie sie sind, dem erschließen sich diese Inhalte in ihrer je eigenen Bedeutung. Selbstverständlich sichtet solches Verstehen diese Inhalte auch kritisch. Und damit ist natürlich ebenfalls klar, dass solches Verstehen Wesentliches von Unwesentlichem unterscheidet. Nicht nur das: Solches Verstehen ermöglicht auch die Ausscheidung von Inhalten, die für eine gegenwärtige Religionspraxis irrelevant geworden sind. Der Streit, der in den letzten Jahrzehnten etwa um das Verständnis des Todes Jesu geführt worden ist, ist eine Auseinandersetzung, die zwischen Menschen mit Hintergrundwissen geführt wurde. Um sich an solchen Debatten beteiligen zu können, muss man schon über Wissen, über Hintergrundwissen, verfügen.

      Träger von Hintergrundwissen sind Religionsprofessionelle, also Menschen, die zur Ausübung ihres Berufes professionell ausgebildet werden. Das sind zunächst Pfarrerinnen, Pfarrer und Priester. Mit Sorge sind in diesem Zusammenhang jüngste Entwicklungen zu beobachten, die den Stand des Berufes der Pfarrerin bzw. des Pfarrers untergraben. Das hat vor allem nach der Einführung des sogenannten Bologna-Prozesses im Theologiestudium begonnen. Was auf eine europaweite Harmonisierung von Studiengängen und -abschlüssen abzielte und so die internationale Mobilität der Studierenden und die Schaffung eines einheitlichen Europäischen Hochschulraumes befördern sollte, bewirkte vor allem eine Verschulung geisteswissenschaftlicher Studiengänge, die letztlich mit einem beträchtlichen Niveauverlust einherging. Den Studierenden ist ein eigenständiger Erwerb geistiger Bildung erschwert worden. An dessen Stelle tritt die schulische Aneignung von Kompendienwissen.

      Schon während des Studiums, vor allem aber im Anschluss daran melden die Kirchen ihre Interessen an. Eine von ihnen verordnete „geistliche Begleitung“ droht den freien Bildungsprozess kirchlicher Reglementierung zu unterwerfen. Doch die Studierenden müssen in Ruhe gelassen werden. Es geht darum, die Möglichkeitsbedingungen zur Ausformung eines freien gebildeten Berufsstandes bereitzustellen, der in seiner Bildung zu eigenständigen begründeten Positionen fähig ist, die sich gleichwohl im kommunikativen Austausch bewähren können. Auch hier gilt die Struktur pluraler Vielfalt.

      Mit dem Problem einer Verkirchlichung stoßen wir innerhalb dieser Lageskizze möglicherweise an die Hauptbedrohung gegenwärtiger Religionspraxis. Hier wie dort bedrohen institutionelle Hegemonieansprüche die freie Lebendigkeit pulsierenden religiösen Lebens, indem sie diesem das Korsett kirchlicher Vorstellungen von Religion aufzwängen. So erlahmt und versiegt religiöses Leben in den letzten Jahren immer wieder, und in solchem Erlahmen religiösen Lebens kann selbst wohl wieder ein Grund für das Absterben ökumenischer Interessen ausgemacht werden. Denn das konfessionell geprägte religiöse Leben findet ja keineswegs zwangsläufig innerhalb der vorgegebenen kirchlichen Rahmenbedingungen statt. Beim Katholizismus noch eher als im Protestantismus. Daher dürfte der Blick in die religiösen Profile der Konfessionen lohnen. Er öffnet die Augen für konfessionelle religiöse Lebendigkeit. Evangelischerseits wird solches Leben etwa durch den religiösen Gleichheitsgedanken, die unsichtbare Kirche, die Bedeutung der einzelnen religiösen Individualität und deren Gewissenserfahrung befeuert. Von katholischer Seite wird u.a. die Bedeutung der Kirche und ihrer Ordnung für religiöses Leben entscheidende Impulse freisetzen.

      1. PROBLEME DER ÖKUMENE AUS

       PROTESTANTISCHER PERSPEKTIVE

      Zunächst ist der Frage nachzugehen, was eigentlich einen Zwischenruf in Sachen Ökumene aus protestantischer Perspektive veranlasst. Wo und wie können Probleme gegenwärtiger ökumenischer Praxis festgestellt werden, die solch einen Zwischenruf erforderlich machen? Wie lässt sich in grundsätzlicher Weise die gegenwärtige kirchliche Praxis in unserer Gesellschaft beschreiben, und wie wird diese Praxis in der Ökumene aufgenommen und weitergeführt? Antworten auf diese Fragen lassen sich in unterschiedlichen Zusammenhängen ausmachen. Beginnen wir mit der aktuellen Stellung der konfessionellen Großkirchen in unserer Gesellschaft.

      Die Kirchen und die Öffentlichkeit: Anspruch und Wirklichkeit

      Debatten über die Aufgaben der großen Konfessionskirchen finden in unserer Gesellschaft eher am Rande statt. „Kirche“ – da hält sich das öffentliche Interesse in Grenzen. Wenn es darum geht, ob unser Kind einen Kindergartenplatz bekommt, dann erscheinen solche Fragen von allerdings fast veritablem Interesse. Menschen, die sich nicht als kirchennah verstehen, stehen den konfessionellen Großkirchen in manchen Fällen durchaus wohlwollend, in der Regel aber wohl eher gleichgültig bis ablehnend gegenüber. Die Tendenz dürfte in Richtung Ablehnung gehen.

      Schon die Frage danach, wie und vor allem von wem gesamtgesellschaftliche Anliegen auf den Begriff zu bringen sind, wird höchst unterschiedlich beantwortet. Während die Großkirchen selbst zu der Einschätzung neigen, dass ihr Votum hier selbstredend gefragt sei, hält die Mehrheit der Bevölkerung solche Generalstatements eher für verzichtbar. Die gegenwärtige ökumenische Praxis ist auch immer wieder ein Aufbegehren gegen dieses Desinteresse nach dem Motto „Erinnern wir das öffentliche Bewusstsein mit unseren Äußerungen zur gesellschaftlichen Lage daran, dass es uns auch noch gibt!“

      Doch die vorzugsweise zu den kirchlichen Hochfesten wie Weihnachten oder Ostern zu Protokoll gegebenen Verlautbarungen sind oft nachgerade peinlich. Wenn der Ratsvorsitzende der EKD meint, dass Weihnachten die beste Medizin in der Zuwanderungsfrage sei, dann wird man mit einigem Recht konstatieren können, dass diese Meinung außer von ihm nur noch von einigen wenigen innerkirchlichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern geteilt wird. Die meisten jedenfalls interessieren solche Deutungsofferten kaum oder gar nicht, zumal sie sich oftmals auch noch einer kirchlichen Binnensprache bedienen, die unverständlich bleibt – Weihnachten als Medizin?

      In dieser Knappheit nicht verständlich, so allgemein wie richtig, an Floskelhaftem nicht mehr überbietbar … Die Liste ließe sich fortschreiben. Die zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verlautbarten ökumenischen Stellungnahmen befördern offensichtlich den gesamtgesellschaftlichen Diskurs wenig bis überhaupt nicht. Das lässt sich für alle ökumenischen Akteure sagen, eben auch über Leitsätze des Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, ja selbst über die Weihnachts- oder Osterbotschaften des Heiligen Vaters.

      Aus dem Alten Testament wissen die Kirchenrepräsentanten über das Prophetentum im alten Israel. Eine der Aufgaben dieses Berufstandes bestand darin, das Wort Jahwes an sein Volk weiterzugeben. Und dieses Wort

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