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und Essstörungen zeigten mir, dass ich aus dem Lot geraten war. Ich habe irgendwann versucht, die Wut zuzulassen, auszuleben, wie z. B. beim Joggen, dann ging es mir anschließend wesentlich besser.“

      Nach Jahren gemeinsamen Lebens nehmen wir den anderen oft nicht mehr richtig wahr, weil wir glauben, ihn mit seinen Einstellungen und Reaktionen zu kennen. So kommt es, dass wir uns im Laufe der Jahre von unserem Partner ein besonderes Bild machen: Gleichsam haben sich zwischen ihm und uns mehrere „Filter“ geschoben und wir sehen größtenteils nur noch das, was wir sehen möchten. Nach Jahren der Gemeinsamkeit sind wir nicht mehr – wie in der Anfangszeit der Beziehung – neugierig aufeinander oder fasziniert voneinander. Vieles ist zur Selbstverständlichkeit geworden und hat dadurch seinen Reiz verloren. Und plötzlich zeigt sich uns ein ganz anderer Mensch!

      Oft will oder kann aber der Verlassene nicht einsehen, dass ein Festhalten an der Beziehung längst sinnlos geworden ist. Bei einer so unterschiedlichen Wahrnehmung kommt es zwangsläufig zu Konflikten.

      Trennung und Scheidung sind sehr belastende Lebenskrisen, denn es zerbricht die Hoffnung auf einen gemeinsamen Weg bis zum Lebensende. Die Folge ist ein Gefühlschaos mit entsprechender Verunsicherung. Es müssen Entscheidungen getroffen werden, um das eigene Leben neu zu gestalten. Häufig wird aber gerade während dieser anstrengenden Zeit, die besondere Aufmerksamkeit verlangt, am Alten festgehalten. Man klammert sich an etwas, das es nur noch in der Illusion gibt.

      Jede Trennung ist von Trauer, Enttäuschung und Schmerz begleitet. Wer verlassen worden ist, fühlt sich in seinem Selbstwertgefühl gekränkt. Unverarbeitete Trauer und Wut suchen sich ein Ventil und richten sich entweder gegen uns selbst – die Folgen sind oft psychosomatische Beschwerden bis hin zu Depressionen – oder gegen denjenigen, der uns verlassen hat, in Form von vielfältigen Aggressionen wie Stalking, Verleumdung, Sachbeschädigungen usw.

      In Aggression umgesetzte, unverarbeitete Trauer ist leider der Grund für viele gerichtliche Auseinandersetzungen. Das Bedürfnis, den anderen, der uns verlassen hat, zu bestrafen, kann so ausgeprägt sein, dass selbst ökonomische Interessen in den Hintergrund treten und man wirtschaftliches Harakiri betreibt. Der verschmähte Partner erinnert sich seines Einsatzes und verlangt Ersatz. Leider kann man aber veränderte oder „gekündigte“ Gefühle nicht mit Geld ausgleichen.

      Liebeskummer und Trennungsschmerz werden in unserer Gesellschaft fast nur mit jungen Menschen in Verbindung gebracht. Doch auch reifere Menschen wirft eine Trennung vom langjährigen Partner oft aus der Bahn. Die eigene Identität und das Selbstwertgefühl werden zutiefst erschüttert.

      Frauke, 52:

      „Mein Mann hat mich vor zwei Jahren aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen verlassen. Er wollte noch einmal ein anderes Leben ausprobieren. Für mich brach von einer Sekunde auf die andere finanziell und seelisch alles zusammen. Ich litt unter Panikattacken und unter Depressionen, Appetitlosigkeit oder Essattacken, konnte nicht schlafen und war von wilden Rachephantasien geplagt. Weil ich allein meine Desorientierung nicht in den Griff bekam, machte ich eine Gesprächstherapie, um unter professioneller Anleitung meine Gedanken zu ordnen, Kraft und Motivation aufzubauen und mein desolates Selbstwertgefühl wieder zu stärken.“

      Die Reaktionen von Menschen, die die Liebe eines anderen verlieren oder enttäuscht über die Unerfüllbarkeit ihrer Sehnsucht sind, schwanken von leichten, kurzen Formen des Liebeskummers bis hin zu lang anhaltender tiefer Verzweiflung. Wird der Leidensdruck so groß, dass jede Lebensfreude erlischt, man seinen Alltagspflichten nicht mehr nachkommen kann, sich abschottet und zu Alkohol oder Medikamenten greift, ist professionelle Hilfe angesagt (s. Adressen im Anhang).

      Die geschilderten Folgen unverarbeiteter Trauer zeigen, wie wichtig es ist, sich dem seelischen Schmerz zu stellen und ihn zu verarbeiten. Auch Liebeskummer ist Trauer und kann nur durch Trauerarbeit bewältigt werden. Mit ihr wird ein schmerzhafter Lernprozess vollzogen, bei dem es darauf ankommt, loszulassen und sich selbst aufzufangen. Er verläuft in ähnlichen Phasen wie der Trauerprozess nach dem Verlust eines Menschen durch Tod:2

      1. Phase: Nicht-wahrhaben-Wollen und Verleugnen

      Ich glaube an einen bösen Traum, hoffe darauf, dass alles wieder gut werden wird. Ich bemühe mich, meinen Partner umzustimmen.

      2. Phase: Gefühlschaos und psychosomatische Symptome

      Ich werde überrollt von meinen Gefühlen, bin verzweifelt, voller Angst, plage mich mit Selbstzweifeln, Eifersucht, Wut und Hass. Ich kann nicht gut schlafen, esse nicht oder zu viel, bin voller Unruhe, habe Verstopfung, Kopf- oder Magenschmerzen, Herzrasen. Ich grübele „warum nur?“ und denke ununterbrochen an meinen Partner. Ich ziehe mich von Freunden zurück oder flüchte mich in Aktivitäten.

      3. Phase: Akzeptanz des Verlustes

      Es ist mir unmöglich, einfach nicht an meinen Partner zu denken, denn mit dem Ende einer langjährigen Beziehung oder Ehe ist nicht einfach schlagartig jedes Gefühl vorbei, so sehr man sich das auch wünschte.

      Ich lasse die Trauer über die gescheiterte Beziehung zu. Ich spüre, dass mich Weinen erleichtert. Ich gestatte mir, traurig und verzweifelt zu sein.

      Ich mache mir klar, dass wir alle über ein „emotionales Konto“ verfügen, das negative und positive Empfindungen sammelt und sich im Minus- oder Plusbereich bewegt. Für die Seelenhygiene ist es besser, sich gelegentlich negative Gefühle zu leisten, sie zu analysieren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie als Signale eines Frühwarnsystems zu verstehen, bevor sie uns gefährlich werden und schaden können. Gefühle – positive und negative – sind für uns eine Art innerer Kompass. Positive Gefühle zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, negative Gefühle zeigen uns, dass wir etwas verändern müssen.

      Ich versuche zu verhindern, dass die destruktiven Gefühle meinen gesamten Tagesablauf überschatten und meine berufliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.

      4. Phase: Rückblick ohne Idealisierung

      Auch ohne rosaroten Erinnerungsfilter sind mir die Vorzüge, aber auch die Nachteile der vergangenen Partnerschaft, die ja schließlich zur Trennung führten, bewusst. Ich trauere um die schönen, gemeinsamen Stunden, die es nicht mehr geben wird, vergesse aber auch nicht die Belastungen, die die Beziehung scheitern ließen. Ich mache mir neben den Erinnerungen an alles Schöne auch immer wieder bewusst, wie sehr mein Partner mich verletzt hat, wie unverstanden und ungeliebt ich mich gefühlt habe, wie belastend seine Nähe für mich war, wie ausgenutzt ich mir vorgekommen bin. Diese Sicht verhilft mir zu einem ganzheitlichen Bild von der Qualität der zerbrochenen Partnerschaft.

      5. Phase: Analyse der gescheiterten Beziehung

      Immer wieder ertappe ich mich dabei, einseitig nach Schuld und Versagen zu suchen. Gelegentlich mache ich wechselweise mich selbst und meinen Ex-Partner für die Misere verantwortlich. Beschuldigungen aber führen nicht weiter, eher die Frage danach, was in der Beziehung schiefgelaufen ist! Dabei sollte die Betonung immer auf den Wörtern „wir” und „uns” liegen, weil für das Gelingen oder Versagen einer Partnerschaft immer zwei Menschen verantwortlich sind. Zur Verarbeitung und Neuorientierung gehört es, Zusammenhänge zu erkennen, die nicht bewusst waren oder vom Gefühl der Verliebtheit überlagert wurden.

      Diese fünf Phasen laufen nicht lehrbuchmäßig ab, sie können sich überlappen und dauern bei jedem Menschen unterschiedlich lange. Je länger eine Beziehung bestand, umso länger kann der Trauerprozess dauern. Was in erster Linie hilft, ist Zeit – und irgendwann vielleicht eine neue Liebe. Bis dahin sind Gespräche mit guten Freunden wichtig, Sport oder zumindest körperliche Bewegung, um Stresshormone abzubauen, Ablenkung durch Unternehmungen und der Mut, eigene Wege zu gehen.

      Interessant ist, dass Männer und Frauen sehr unterschiedlich mit Liebeskummer

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