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man diese Entwicklungen mit Sorge beobachten. Auch, dass in den Grenzregionen bei den zahlreichen Übergriffen der Polen auf Deutsche, die Franzosen beide Augen zudrückten, im umgekehrten Fall bei Gegenreaktionen der Deutschen aber hart durchgriffen. Italiener und Engländer hielten sich hingegen strikt neutral. Inzwischen eroberten die Polen mit französischer Hilfe kriegerisch in ihrem Osten weite Teile von Litauen mit Wilna, Weißrussland und der Ukraine über die ihnen zugestandene „Curzon-Linie“ hinaus. In dem Gebiet zwischen „Curzon-Linie“ und der neuen polnischen Ostgrenze gab es 6 Millionen Ukrainer und Weißrussen, 1,4 Millionen andere wie Litauer, aber nur 1,5 Millionen Polen! Auch das wurde in Bielschowitz mit Sorge gesehen. Sollte es im Osten keinen Frieden geben? Am 20. 3. 1921 kam es in Oberschlesien zur Volksabstimmung. Das Abstimmungsergebnis war trotz vorhergegangenen polnischen Terrors ganz eindeutig. Für den Verbleib bei Deutschland wurden 59,6 % Stimmen abgegeben, für Polen waren es 40,4 %! In Bielschowitz wurde das mit Befriedigung aufgenommen. Aber auf alliierter Seite wurde eine Teilung des Abstimmungsgebietes beschlossen. Da man sich auf eine Teilungsgrenze nicht einigen konnte, wurde der Völkerbund angerufen. In der Zwischenzeit begann eine polnische Insurgentenarmee am 3. 5. 1921 den dritten Aufstand. Sie besetzte unter ihrem Führer Albert Korfanty in Oberschlesien den ungefähren von Polen geforderten Teil. Da die französischen Truppen, im Gegensatz zu den italienischen, die Polen nicht aufhielten, stellte sich diesen der deutsche „Selbstschutz Oberschlesien“ entgegen und schlug am 21. 5. 1921 die Polen am Annaberg.

      Dieser Sieg half aber nicht viel. Ein Teil Oberschlesiens („Ostoberschlesien“ oder Oberschlesisches Industriegebiet) (mit 90 % der Kohle- und Eisenerzvorkommen und den wirtschaftlich bedeutenden Bergbauregionen) wurde aber doch auf Beschluss des Völkerbundes am 10. Oktober 1921, trotz Volksabstimmung, Polen zugeschlagen. Bielschowitz wurde 1922 polnisch, wir wurden vertrieben und mussten nach Hindenburg umsiedeln. Keiner der Bielschowitzer verstand diese Aktion, denn wer war damals schon in der Lage, die große Politik zu enträtseln, wir Kinder oder Jugendliche schon gar nicht. Es war klar, dass dies nicht ohne Widerstand ablaufen würde. Wer gibt schon sein Heim freiwillig, aufgrund einer politischen Entscheidung, die er weder kannte, geschweige verstand, auf. Diese Aktion war wieder Keimzelle für Hass. Deutsche auf Polen. Polen auf Deutsche. Deutsche auf Franzosen. Franzosen auf Deutsche. Ukraine auf Polen. Litauer auf Polen. Die Ursache lag sicher in dieser blödsinnigen, unsinnigen politischen Entscheidungen des Vertrages von Versailles, die mit einem Federstrich irgendwo in einem sauberen Büro, von wichtigen Politikern, getroffen wurde. Dieser Federstrich besiegelte das Schicksal von hunderttausenden von Menschen und hinterließ nichts als Chaos und Hass und war sicherlich wieder Nährboden für die, die gerne einen neuen Krieg wollten. Er warf dafür, bewusst oder unbewusst, die dazu notwendige Saat aus. Einen Krieg kann man nur mit der Masse des Volkes führen. Hierfür muss man die Massen gewinnen, mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln. Hier wurde ein Mittel von außen geliefert: Hass. Jedenfalls sah ich Bielschowitz nach der Umsiedlung in meinen Leben nie mehr wieder. Aber Bielschowitz hatte mir, trotz aller politischen Wirren, eine wunderschöne Kindheit beschert. Hier sind meine Wurzeln, hier sind meine Erinnerungen an Vater, Mutter, Hilde, Adelheid und Paul zu hause. Und es sind schöne Erinnerungen für mich. Meinen Eltern gelang es, uns eine sehr glückliche Kindheit zu bereiten. Der Wald, Garten, Hof und Felder waren für uns immer eine Art Heiligtum. Es war einfach ein Stück Geborgenheit. Diese Jahre erlebte ich als etwas einzigartiges, ein Abenteuer oder großes Geschenk, so empfinde ich es heute. Die Erlebnisse und Ereignisse während und nach dem 1. Weltkrieg hatten auf meine weitere Entwicklung großen Einfluss, auch wenn ich sie nur als Kind bzw. Jugendlicher erlebte. Sie brannten sich sozusagen in mein Gehirn ein. Kurz vor unserer Umsiedlung, Anfang 1921, beendete ich die Volksschule von Bielschowitz mit eher mäßigem Ergebnis. Eine Lehrstelle bekam ich leider auch nicht. Dafür fand ich im Mai 1921 sofort eine Beschäftigung auf der Wolfgang-Grube, als jugendlicher Bergarbeiter, im Alter von 14 Jahren. Denn wie schon gesagt, Arbeitskräfte waren rar. Hier arbeite ich ungefähr 5 Monate, bis zur endgültigen Umsiedlung nach Hindenburg. Dort wurde ich aber sofort wieder als jugendlicher Bergarbeiter in eine Grube mit gleichen Namen übernommen. Am ersten Arbeitstag, den 9. Mai 1921, versammelten sich um 6.00 Uhr morgens, etwa 15 jugendliche Bergarbeiter am Werkstor, es waren alle Abgänger von meiner Schule. Wir waren alle sehr aufgeregt. Pünktlich um 6.00 Uhr kamen 4 Obersteiger. Wir wurden in 4 Gruppen aufgeteilte, ich kam in die Gruppe von Obersteiger Schröder. Als erstes führte er uns in die Umkleideräume (Kaue, so werden sie von den Bergleuten genannt), mit Weißkaue, Schwarzkaue und Nasskaue. Bevor ihr unter Tage einfahren werdet, begebt ihr euch in die Kaue, um euch umzuziehen. Ihr als Bergleute zieht eure Alltagskleidung an Seilen unter die Decke der Weißkaue. Dann zieht eure Bergmannssachen in der Schwarzkaue an. Zu eurer Ausrüstung gehören Unterwäsche, ein Arbeitshemd, Socken, der Grubenanzug, Sicherheitsschuhe, ein Halstuch, ein Ledergürtel, der Grubenhelm, Arbeitshandschuhe, Sicherheitsbrille und Staubmaske. Nach dem Umziehen geht in die Lampenstube, um die Grubenlampen abzuholen. Wenn ihr von der Arbeit zurückkommt, geht zuerst in die Schwarzkaue. Dort zieht ihr euch die dreckigen Sachen aus und zieht diese wieder mit Seilen unter die Decke. Duscht und wascht euch mit spezieller Seifen, sie liegt hier, in der Nasskaue. Der Kohlestaub wird euch ganz schmutzig machen. Zum Schluss oder als letztes zieht ihr euch wieder eure Alltagssachen in der Weißkaue an. Obersteiger Schröder zeigte noch jeden seinen persönlichen Seilzug in der Schwarz- und Weißkaue mit entsprechender Nummer. Wenn ihr die Sachen aufgehängt habt, schließt ihr das Schloss ab und hängt euch den Schlüssel um den Hals. Merkt euch die Nummer gut, sonst habt ihr Probleme eure Klamotten wieder zu finden und müsst nackt nach hause. Als er das sagte schmunzelte er leicht. Das war unsere Einweisung für Umkleiden und waschen, kurz und bündig. Danach ging’s in die Kleiderkammer, um unsere Arbeitssachen zu empfangen. Bei mir dauerte es ein bisschen länger, um die passenden Sachen zu finden. Zum damaligen Zeitpunkt war ich noch ein eher etwas kleinerer Bergmann. Weiter ging es ins Personalbüro, wo jeder seine Stechkarte bekam. Sie war schon fertig, weil wir uns ja schon vor längerer Zeit beworben hatten, und da unsere Personalien angeben mussten. Obersteiger Schröder führte uns wieder in die Kaue, zieht euch um, in einer halben Stunde fahren wir ein. Vergesst eure Stechkarte nicht! Jeder zog nun zum ersten Mal seine Bergmannskluft an. Wir mussten uns alle zum ersten Mal im Leben vor fremden nackt ausziehen. Irgendwie war es allen peinlich, aber keiner wollte es sich anmerken lassen. Man tat so als ob es etwas Selbstverständliches wäre. Jetzt musste man seinen persönlichen Bügel mit dem Seilzug nach unten befördern, seine Sachen daran aufhängen und wieder nach oben ziehen. Danach das Schloss abschließen und sich den Schlüssel umhängen. Ich dachte mir noch, nicht schlecht gelöst. Hier muss ein Dieb schon mit Leiter kommen. Wir gingen alle, laut über unsere ersten Erlebnisse als Bergarbeiter erzählend zum Förderschacht, der Einfahrt zum Schacht. Obersteiger Schröder wartete schon. Für euch das wichtigste, hier stecht ihr eure Karte in die Stechuhr, und steckt sie in den Stechkasten. Ja nicht vergessen. Denn so weiß man sofort wer unter Tage ist. Und das kann wichtig sein, falls mal ein Unglück passiert. Es gibt 2 Stollen. Einer in 340, einer in 640 Tiefe. Wir fahren jetzt in Stollen 2, also auf 640 Meter. Die Sprache unter Tage ist für jeden Kumpeldeutsch. Die Bergleute nennen sich untereinander Kumpel. „Glück Auf“, dies ist der Gruß der Bergleute. Falls ihr das noch nicht wisst. Alle stempelten und steckten die Karten in den Stechkasten. Wir gingen in den Förderkorb, mit einem mulmigen Gefühl. Jeder sagte „Glück Auf.“ Schröder schloss die Tür zum Förderkorb, der sich sofort in Bewegung setzte. Er wurde immer schneller. Mit rasender Geschwindigkeit ging es senkrecht auf 640 m. Der Förderkorb war ringsherum offen, eigentlich nur ein Stahlgerüst mit Stahlboden in Draht gehüllt, welcher an einem riesen langen Stahlseil hing, vom Förderturm aus gesteuert wurde. Bei der Fahrt nach unten tropfte Wasser auf unseren Körper. Es war das Grundwasser, welches hier überall aus den Wänden tropfte. Vater hatte zwar oft von der Grube erzählt, aber wenn man es selbst erlebt ist es doch ganz anders. Auf der Fahrt nach unter passierte man Stollen 1, man nahm es durch einen kurzen Lichtblitz war. Der Förderkorb verlangsamt sich und mit einem Klingeln hielt er in Stollen 2. Wir waren 640 m unter der Erde. Der Förderschacht ging noch etwa 30 m tiefer. Hier konnte sich das Grundwasser sammeln. Es wurde mit riesigen Pumpen abgesaugt. Die mussten immer funktionieren, sonst könnte es hier unten etwas feucht werden. Obersteiger Schröder öffnete den Förderkorb und wir gingen in eine riesige unterirdische Halle. So groß hatte ich es mir hier unten nicht vorgestellt. Es sah aus wie auf einen Bahnhof, überall waren Gleise, und darauf fuhren kleine Elektrozüge von Siemens, Lokomotiven mit Loren. Alle Gleise, egal wo sie

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