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doch das durfte Alanna nie und nimmer herausfinden! Er war froh, ihr in diesem Augenblick nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Sonst hätte ihn seine Mimik vermutlich verraten.

      »Äh … war das wirklich genau zu dieser Zeit? Ich müsste erst nachsehen … aber eigentlich ist das posthum doch gar nicht so wichtig«, sagte er lahm.

      »Das stimmt«, bestätigte Alanna zu seiner Erleichterung. Sie wirkte nachdenklich. »Da wir nun den Grund kennen, weshalb die Terraner auf dem Mars eine Siedlung nach der anderen errichten, brauchen wir auf ein Ende der Kolonisationsbestrebungen nicht mehr zu hoffen. Es wird munter so weitergehen. Unser Heimatplanet wird im Laufe der nächsten TUN von Flüchtlingsströmen überflutet werden, die ihresgleichen suchen. Ich frage Euch, Arden: Kann dieser verhältnismäßig kleine Planet endlos die Aufnahme von Tiberianern und Terranern verkraften?«

      »Wohl kaum. Die bewohnbare Landfläche ist kleiner als auf Terra und in etwa genauso groß wie auf Tiberia. Auch wenn wir die größeren Städte unterirdisch anlegen, würde es unangenehm eng werden«, antwortete Arden tatsachengemäß.

      »Das ist richtig. Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen. Ihr seid selbstverständlich strikt zum Stillschweigen verpflichtet, auch innerhalb Eurer Sektion«, konstatierte die Regentin resolut. Damit fiel das Hologrammbild in sich zusammen, die Übertragung war beendet.

      Alanna hätte sich selbst ohrfeigen mögen. Dieser fatale Fehler ging auf ihr eigenes Konto. Hätten sie und ihr damaliger Geliebter Cobaan nur nicht diesen Fake einer Simulation aus dem Boden gestampft … manchmal kamen kleine, hilfreiche Notlügen zur Unzeit ans Tageslicht, zeitigten unangemessen weitreichende Folgen. Nun musste sie einen wasserdichten Plan aushecken, der den Fauxpas wieder ausbügeln und die Terraner dauerhaft vom Mars fernhalten sollte.

       Mars, 2. April 2142 nach Christus, Montag KINZeit: 13.6.11.2.18

      

      Die unterirdische Hauptstadt der Tiberianer prosperierte. Es gab bereits eine ausgeklügelte Infrastruktur, die auf nahezu endloses Wachstum ausgelegt war. Schon jetzt bot die künftige Metropole Wohnraum für rund 28.000 Tiberianer. Man musste die erforderlichen Hohlräume nicht einmal erst mühselig ausschachten, denn die weit verzweigten Höhlensysteme eines früheren, schon seit mehreren CALABTUN ausgetrockneten Flusslaufs waren noch aus der Zeit der ersten Zivilisation vorhanden. Straßen und Gebäude hingegen hatten die lange Vakanz nicht überdauert, waren samt und sonders zu Staub zerfallen.

      Mit Feuereifer war ein Heer von Arbeitern damit beschäftigt, Wohnund Verwaltungsgebäude in die natürlichen Strukturen einzupassen, ausgedehnte Parks und Freiflächen sowie breite Straßen und die altbewährten tiberianischen Magnetschienensysteme anzulegen. Ein ausgeklügelter Mechanismus erlaubte die natürliche Bewässerung mit Grundwasser, das sich noch immer in riesigen Mengen unter den Höhlen befand. Hier unten, im Schutz der Gesteinsschichten und mithilfe der Wärme aus dem Marsinneren, ließen sich die langen, strengen Winter des Mars viel komfortabler ertragen.

      Das Tageslicht musste künstlich simuliert werden. Tagund Nachtzeiten waren dem tatsächlichen Rhythmus angepasst. Später sollten selbstverständlich auch Siedlungen an der Oberfläche entstehen, doch dazu musste nach Ansicht der Regenten zuerst das leidige Problem mit den Terranern ein für alle Mal gelöst sein. Sie siedelten mit ihren jüngsten Kolonien Future 1 und 2 ganz in der Nähe, jedoch ohne von den subterranen Vorgängen in ihrer Nachbarschaft zu wissen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sich das ändern würde.

      Zurzeit befand sich Regentin Alanna höchstpersönlich in der künftigen Hauptstadt, um sich ein Bild von den Fortschritten zu machen. Viele empfanden das als eine große Ehre.

      Plötzlich sprangen sämtliche Kommunikatoren in der CydoniaRegion an. Sie signalisierten ihren jeweiligen Besitzern, dass sie sich in akuter Gefahr befänden und keinesfalls an die Oberfläche kommen sollten. Man müsse sämtliche Zugänge zur unterirdischen Stadt hermetisch verschließen und auf weitere Anweisungen warten, hieß es. Die standardisierte Meldung enthielt keinen bestimmten Absender, musste aber von ganz oben in der Hierarchie stammen. Auf das globale Alarmsystem, mit dem man sowohl den gesamten Planeten als auch bestimmte Bereiche ansteuern konnte, hatten ausschließlich die Vordersten aller Sektionen sowie die Regentenfamilie Zugriff.

      Helle Panik kam auf; einige Arbeiter, die in der Nähe der Ausgänge beschäftigt gewesen waren, nahmen die Beine in die Hand, um sich in Sicherheit zu bringen.

      Alanna bekam das per Fernübertragung mit, lächelte befriedigt. Nun konnte sie es wagen. Ihre rechte Hand ruhte auf einer Bedienfläche im Schaltzentrum für den steinalten Atomreaktor aus der ersten Zivilisationswelle, der unter anderem die Stromversorgung der Versammlungshalle bereitstellte. Sie setzte mit ein paar Wischbewegungen die Kühlung der Brennstäbe außer Kraft, was durch wild blinkende Leuchtsignale angezeigt wurde. Nun hieß es nur noch, ein Weilchen abzuwarten. Schon bald würde der Reaktor überhitzen, explodieren und tödliche Strahlung freisetzen.

      Die Regentin beeilte sich schuldbewusst, den Tatort zu verlassen. Ihre Entdeckung musste sie kaum befürchten. Die althergebrachte Technik hatte schließlich viele Zeitdauer selbsttätig überdauert, so dass sich keine Spezialisten darum kümmern mussten. Jedenfalls nicht, solange kein Alarmsignal ertönte. Und genau diese Funktion hatte sie soeben vorsorglich lahmgelegt. Niemand außer ihr befand sich im Reaktorblock.

      Selbstzufrieden bestieg sie den Magnetaufzug, der sie nach unten in die Stadt bringen sollte. Zwischen dem dreizehn Kilometer langen, schräg nach unten verlaufenden Schacht und dem Reaktor befanden sich mehrere strahlungsdichte Schleusen, die sie sorgfältig hinter sich geschlossen hatte. Nun konnte sie sich mit besorgtem Gesichtsausdruck unter die aufgeregte Bevölkerung mischen, die Unwissende spielen und zusammen mit ihren Untertanen Mutmaßungen anstellen, was an der Oberfläche Schreckliches passiert sein könnte. Und das alles, während sich in der Atomanlage eine veritable Kernschmelzeanbahnte. Die unvermeidliche Nuklearkatastrophe nahm ihren Lauf.

      *

      Innerhalb der ersten zehn Tage, beziehungsweise KIN, nach der Kernschmelze wurden mehrere Trillionen Becquerel an Strahlung freigesetzt, die bei den meisten Siedlern der nur etwa fünfundzwanzig Kilometer entfernten terrestrischen Kolonien Future 1 und 2 die Strahlenkrankheit auslöste. Sie starben binnen weniger Monate, entstellt durch Haarausfall und Hautschäden, an inneren Blutungen oder Versagen des zentralen Nervensystems. Einige wenige Überlebende erkrankten an bösartigen Schilddrüsenkrebs, der sie quälend langsam dahin siechen ließ. Die Kolonien entvölkerten sich in Windeseile.

      Der massive Austritt radioaktiver Strahlung wurde von den hochsensiblen tiberianischen Messinstrumenten augenblicklich registriert. Schon kurz nach Eintritt des fatalen Ereignisses wurden sämtliche Einwohner jener unterirdischen Stadt, die ihren Namen erst noch erhalten sollte, darüber informiert, was an der Oberfläche geschehen war.

      In fieberhafter Eile aktivierten die zuständigen Techniker die vier Sorbatron–Schilde der Stadt, die die schädliche Strahlung auffangen sollten. Sie funktionierten einwandfrei. Die extrem strahlungsgeladenen Einheiten konnte man anschließend mit dem vielseitig nutzbaren RenamatSystem pulverisieren und damit die darin enthaltenen Cäsium, Jodund sonstigen Emissionen unschädlich machen. Später würde man auch die betroffenen Gebiete an der Oberfläche mit tragbaren SorbatronEinheiten vom Fallout säubern, doch das war aus Sicherheitsgründen erst dann möglich, wenn sich die hohe Konzentration an gesundheitsschädlichen Stoffen mit geringer Halbwertszeit dort verflüchtigt hatte.

      Für Regentin Alanna bedeutete dies, dass sie sich für einige UINAL an ihrem künftigen Regierungssitz aufhalten musste, die Stadt nicht verlassen konnte. Doch das erschien ihr gut so. Auf diese Weise behielt sie sämtliche Meldungen, die über das Unglück nach Tiberia gelangten, unter ihrer Kontrolle. Niemand würde bei der Aufarbeitung der Unglücksursachen auch nur den geringsten Verdacht auf ihre Urheberschaft schöpfen, da sie selbst unter den Opfern des Atomunfalls war. Und falls doch, würde sie es live mitbekommen und allzu neugierige Ermittler schon beizeiten mittels Jagdfreigabe eliminieren. Jemanden die Schuld für eigene Taten oder Versäumnisse zuzuschieben – das

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