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entfernt, lag ein winziges Boot kieloben.

      Hasard hatte sich gerade durch einige Gesten mit Edwin Carberry verständigt und schickte sich an, auf eins der Wasserfässer zu klettern, um einen Blick durch die darüber liegende Fensteröffnung zu werfen. Da ließ ihn ein plötzlicher Trommelwirbel unwillkürlich zusammenzucken.

      Auch Ed stand wie erstarrt und kratzte sich dann bedächtig am Hinterkopf wie meist, wenn er die Welt nicht mehr verstand.

      Nach wenigen Sekunden setzte das rasende Trommeln aus. Jetzt war nur noch ein leises Wimmern und Klagen zu hören.

      Der Seewolf verzichtete darauf, auf das Wasserfaß zu steigen, und begab sich mit einigen raschen Schritten zu Edwin Carberry.

      „Ich habe das Theater satt“, sagte er flüsternd. „Wir wollen keine Zeit mehr verlieren. Ich öffne jetzt das Schott, und du gibst mir Deckung. Alles klar, Ed?“

      „Aye, aye, Sir!“ Der Profos ballte die linke Hand zur Faust. „Schreiten wir ein, bevor da drin jemand abgemurkst wird. Es hört sich verdammt danach an.“

      Ein Blick nach achtern bestätigte ihnen, daß die Jollenbesatzung gespannt der Dinge harrte, die da geschehen sollten. Die Männer hielten schußbereite Musketen in den Händen, des weiteren trugen sie Pistolen, Degen und Messer bei sich. Unter der Heckducht lagerten außerdem einige der gefürchteten Flaschenbomben, die mit Pulver, gehacktem Eisen und Blei sowie mit Nägeln gefüllt und mit einer Zündschnur versehen waren.

      Hasard und Ed schoben sich mit entschlossenen Gesichtern an das Schott heran. Es war nur angelehnt. Einen Riegel gab es offenbar nicht, nur einen verrosteten Eisengriff.

      Ed postierte sich links der Türfüllung, hob seine Pistole und spannte den Hahn.

      Der Seewolf hingegen packte zu und stieß das Schott schwungvoll auf. Es drehte sich mit einem häßlichen Quietschen in den Angeln und prallte dann mit einem dumpfen Geräusch gegen die Wand.

      Im selben Augenblick schienen die beiden Männer zu Steinsäulen zu erstarren.

      Süßliche Dunstschwaden überlagerten das Innere der Hütte und raubten ihnen fast den Atem. Aber es war nicht dieser penetrante Weihrauchgeruch, der ihnen kalte Schauer über den Rücken jagte, sondern das groteske Bild, die sprichwörtlich geisterhafte Szene, die sich ihren Augen bot.

      Ohne Zweifel hätte sich Old Donegal in diesem Moment mehrfach bekreuzigt und gleichzeitig einen Bannspruch gegen böse Geister und Dämonen von sich gegeben. Der Seewolf hatte gut daran getan, den abergläubischen Alten, der sonst weder Tod noch Teufel fürchtete, an Bord der „Isabella“ zu belassen.

      „O Hölle und Verdammnis!“ murmelte Edwin Carberry, dann klappte seine amboßartige Kinnlade nach unten.

      Der Seewolf, dessen Blicke blitzschnell durch den langgestreckten Raum wanderten, schob seine doppelläufige Pistole in den Gürtel.

      „Aber Sir!“ entfuhr es dem Profos, der das mit Verwunderung registrierte. „Meinst du nicht …?“

      Hasard unterbrach ihn, indem er ihm die linke Hand auf die Schulter legte.

      „Bleib völlig ruhig, Ed“, sagte er mit leiser Stimme. „Und steck die Pistole weg.“

      „Aber …“

      „Ich erkläre es dir später, Ed.“

      Zögernd und mit mißtrauischem Gesicht schob nun auch der bullige Profos seine Steinschloßpistole in den Gürtel, jedoch ohne den Blick auch nur für eine einzige Sekunde von dem wunderlichen Treiben abzuwenden, dessen Geräusche ihm und seinen Kameraden seit Stunden Kopfzerbrechen bereitet hatten.

      Der Raum wurde von zahlreichen Tranlampen erhellt, die unmittelbar vor den Fensterhöhlen hingen. Mit Sicherheit handelte es sich bei diesen Lichtquellen um die „Dämonenaugen“, die es der Jolle ermöglicht hatten, dem Hausboot trotz des Nebels zu folgen.

      In der Mitte des Raumes scharten sich ungefähr zwei Dutzend unheimlich anmutende Gestalten um einige Matten, auf denen sich zuckend ein nacktes Mädchen bewegte, und zwar so, als habe es Krämpfe und heftige Schmerzen. Aus dem Mund dieses Mädchens drang jenes seltsame Wimmern und Klagen, das vor wenigen Augenblicken den Trommelwirbel abgelöst hatte.

      Die finsteren Gestalten hockten mit überkreuzten Beinen auf den Planken, wiegten ihre Oberkörper rhythmisch hin und her und stimmten einen leisen, klagenden Gesang an.

      Das Überraschende für die Männer von der „Isabella“ war, daß es sich bei dieser gespenstischen Schar weder um Weiße noch um Indianer handelte, sondern ausnahmslos um Schwarze. Auch das Mädchen, dessen große Augen fast aus den Höhlen zu quellen drohten, war so schwarz wie die Nacht. Lediglich die Gesichter und bestimmte Armpartien waren mit grellen Farben bemalt.

      Im Hintergrund saß ein kleiner, etwas dicklicher Mann, vor dem eine primitive Trommel stand. In seiner unmittelbaren Nähe befand sich ein altarähnliches Gebilde. Dabei handelte es sich um eine große Holzkiste, über die man ein mit mysteriösen Zeichen bemaltes Leinentuch gehängt hatte. Auf diesem Altar standen einige brennende Kerzen, ein grobgezimmertes Kreuz und mehrere Götterstatuen heidnischen und christlichen Ursprungs.

      Vor diesen Kultgegenständen hatte man kleine Tonschalen mit Früchten und Getränken abgestellt, die wohl als Opfergaben gedacht waren.

      Einem bauchigen Gefäß mit zahlreichen kleinen Öffnungen entströmten rauchähnliche Schwaden und verbreiteten den aufdringlichen Weihrauchgeruch.

      Philip Hasard Killigrew und Edwin Carberry nahmen diese Eindrücke mit raschen Blicken in sich auf. Dabei schien merkwürdigerweise niemand von ihnen Notiz zu nehmen. Die Gesichter, die ihnen zugewandt waren, wirkten völlig entrückt, man blickte regelrecht durch sie hindurch.

      Die Matten, auf denen sich das Mädchen wand, waren ebenfalls mit Zeichen und Symbolen bemalt. Offensichtlich betrachtete man sie gleich dem Altar als eine Art Opferstätte.

      Das Mädchen schüttelte jetzt heftig den Kopf und stieß kurze Schreie aus. Dann wälzte es sich auf die linke Seite und versuchte, sich mit dem Ellbogen abzustützen. Dadurch rückte der schlanke, gutgebaute Körper voll in das Blickfeld der beiden Eindringlinge.

      Ed kriegte runde Augen, und auch der Seewolf starrte wie gebannt auf die ranke Gestalt. Aber nicht etwa mit lüsternen Blicken, o nein! In den Augen des Profos’ spiegelte sich sogar blankes Entsetzen, denn das, was von den Brüsten des Mädchens tropfte und zahlreiche rote Flecke auf der Matte hinterließ, war keine Farbe – es war Blut.

      Durch das blakende Licht und die krampfartigen Körperbewegungen der jungen Negerin war ihnen das bisher noch nicht aufgefallen. Jetzt aber war deutlich zu erkennen, daß ihr Körper auf der Vorderseite über und über blutverschmiert war.

      Ed warf seinem Kapitän einen fragenden, aber auch äußerst grimmigen Blick zu, zumal sich jetzt einer der Schwarzen, ein baumlanger, muskulöser Kerl, im Hintergrund erhob und beinahe theatralisch einen Dolch aus dem Gürtel zog. Mit langsamen Schritten bewegte er sich auf das Mädchen zu. Sein kantiges Gesicht war verzerrt, sein Blick schien in unsichtbaren Welten zu weilen.

      Unmittelbar vor dem Mädchen stoppte er seine Schritte und hob die Hand mit dem Dolch.

      Edwin Carberry registrierte das mit einem wütenden Knurrlaut. Während es in seinen Augen gefährlich aufblitzte, schob er sein mächtiges Rammkinn vor und ballte die schwieligen Pranken zu Fäusten.

      Auch der Seewolf hielt unwillkürlich den Atem an. Er hatte zwar längst begriffen, daß es sich hier um heimatliche Bräuche der Schwarzen handelte, um Riten, die teils dem Voodoo- und teils dem Macumba-Kult entlehnt und mit christlichen Elementen vermischt worden waren, aber der drohende Anblick dieser Opferzeremonie ließ dennoch seine Rechte zum Griff seines Degens zucken.

      Er ließ es jedoch dabei bewenden und zwang sich zur Zurückhaltung. Er wußte, daß diese uralten Kulte reich an symbolhaften Handlungen waren. Blut, Opfergaben und Ekstase spielten dabei eine wesentliche Rolle. Trotzdem konnte auch er nicht vermeiden, daß es ihn in den Fäusten juckte, als er den baumlangen Neger mit

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