Скачать книгу

paar lausigen Kopeken Sold.«

      Sokolowski gab ein ungehaltenes Räuspern von sich. »Wo liegt dann das Problem?«

      »Das Problem, Wassili Danilowitsch«, fügte Kuragin mit ernster Miene hinzu, »besteht darin, dass außer der Kleiderkammer anscheinend auch noch das Waffendepot dezimiert worden ist.«

      Sokolowski schnellte nach vorn. »Dezimiert?«, stieß er entgeistert hervor.

      »Ganz recht«, erwiderte Kuragin, runzelte die Stirn und fuhr durch das dichte schwarze Haar, dem er den Spitznamen der Kaukasier zu verdanken hatte. »Unter anderem auch …«

      »Ein Dutzend Kalaschnikows?« Die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, war Sokolowski plötzlich ganz Ohr.

      »Inklusive der etwa gleichen Anzahl an Tokarews, Modell SWT-40. Und jede Menge Pistolen vom Typ TT-33. Plus eine Kiste Sprengstoff. Bajonette und Handgranaten nicht zu vergessen.« Kuragin gab ein verlegenes Räuspern von sich. »Und dann noch eine nagelneue 2M-3.«

      »Wie bitte – eine 2M-3?«

      »Sie haben richtig gehört, Genosse Oberkommandierender.«

      »Ganz schöner Flurschaden«, brummte Sokolowski vergrätzt. »Und wie erklären Sie sich das?«

      Kuragin entfernte eine Staubfaser von seiner Uniform und zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen, Wassili Danilowitsch«, antwortete er. »Wie Sie bereits sagten: Es gibt Subjekte in unserer Armee, die würden für eine Stange Camel alles tun. Wenn es sein muss, sogar ihre Freundin auf den …«

      »Ärgerlich ist die Sache allemal«, fiel Sokolowski dem MGB-Major rasch ins Wort. »Um nicht zu sagen suspekt. Fragt sich nur, wie derlei Saboteuren beziehungsweise kriminellen und antisowjetischen Elementen das Handwerk gelegt werden kann.«

      Im Begriff, eine Antwort zu geben, wurde Kuragins Absicht durch das Läuten des Telefons durchkreuzt.

      »Sokolowski – was gibt’s?« Im Büro an der Zwieseler Straße 4, Teil eines ehemaligen Offizierskasinos der Wehrmacht, kehrte schlagartig Ruhe ein. An der Miene, die der Sowjetmarschall machte, war zu erkennen, dass es sich um etwas Wichtiges handelte. Etwas, womit er nicht im Traum gerechnet hatte. Je mehr sich Sokolowskis Miene verfinsterte, umso tiefer wurden Kuragins Sorgenfalten, und der Geruch nach Bohnerwachs, Kautabak und Tee, der dem Büro anhaftete, begann dem MGB-Offizier auf den Magen zu schlagen.

      »Schlechte Nachrichten?«

      Sokolowski ließ einen Fluch vom Stapel, der mit zum Derbsten gehörte, was Kuragin in den vergangenen Jahren zu Ohren gekommen war, schüttelte den Kopf und starrte sekundenlang ins Leere. »Das werden Sie nicht glauben, Kuragin«, brach der Sowjetmarschall schließlich das Schweigen, krebsrot im Gesicht. »Ich frage mich, wie so etwas überhaupt möglich ist.«

      »Was denn, Genosse Oberkommandierender?«

      Sokolowski verkniff sich einen neuerlichen Fluch, griff nach dem Telefonhörer und erwiderte: »Sieht so aus, als bekämen Sie allerhand zu tun, mein Junge.« Und fügte beim Wählen hinzu: »So, und jetzt lassen Sie mich mal kurz allein, Herr Major. Wenn Stalin mich zur Schnecke macht, braucht das keiner mitzukriegen.«

      10

      Berlin-Wilmersdorf, britischer Sektor | 09.00 h

      »Hier ist RIAS Berlin. Eine freie Stimme der freien Welt. Zu Beginn die Nachrichten. Berlin. Aus noch ungeklärter Ursache sind in der vergangenen Nacht am Grenzübergang Glienicker Brücke zwei amerikanische GIs …«

      »Meinetwegen.« Ohne richtig hinzuhören, schaltete Tom Sydow, 35-jähriger Kriminalhauptkommissar, das Radio aus, faltete den Tagesspiegel zusammen und sah durch das Wohnzimmerfenster der in die Jahre gekommenen Villa auf die Koenigsallee hinaus. Er hatte schlecht geschlafen, und er kannte auch den Grund. Es war die Vergangenheit gewesen, die ihn wieder einmal eingeholt hatte. Allen Bemühungen, aus ihrem Schatten zu treten, zum Trotz.

      Und so tat der hoch aufgeschossene, breitschultrige und eine Spur zu blasse Berliner mit der rotblonden Mähne genau das, was er bereits Hunderte Male getan hatte. Er rieb die übernächtigten, von dunklen Rändern überschatteten Augen, trat an die bernsteinfarbene Louis-quinze-Kommode und nahm das Porträt zur Hand, das ihn zusammen mit seiner Verlobten Rebecca zeigte. Und wie all die Male zuvor fragte er sich, wann genau das Bild aufgenommen worden war. Die Antwort stand von vornherein fest. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass es irgendwann im Winter 1944/45 gewesen sein musste. Kurz bevor die V2 eingeschlagen und das Leben der Frau, ohne die sein Leben nur die Hälfte wert war, in Sekundenbruchteilen ausgelöscht hatte.

      »Kopf hoch, mein Junge – wird schon werden.« In den Augen ihrer Mitmenschen war Luise von Zitzewitz, geborene von Sydow und Toms Tante, eine eher spröde Frau. Am heutigen Tage war das jedoch anders. Da klang ihre rauchige Stimme ausgesprochen besorgt.

      »Das sagt sich so leicht, Tante Lu«, erwiderte Sydow und stellte das Bild wieder auf die Kommode zurück. »Aber …«

      »Kein Aber, mein Junge«, erstickte die resolute Hausherrin mit dem rollenden R die Einwände ihres Neffen bereits im Keim. »Es hat einfach keinen Zweck, dass du dich in deinem Kummer vergräbst. Wie lange ist das eigentlich her?«

      »Drei Jahre, fünf Monate und vier Tage.«

      »So furchtbar es klingt, Tom: Das Leben muss weiter­gehen.«

      »Mag sein, dass du recht hast, Tante Lu«, erwiderte Sydow, knöpfte sein Hemd zu und begab sich zur Tür. »Trotzdem kann ich nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen.«

      »Sollst du auch nicht, mein Junge«, erwiderte die Hausherrin in ungewohnt zärtlichem Ton. »Vor allem dann, wenn du keinen Bissen zu dir genommen hast. Mit leerem Magen zum Dienst – wo kämen wir da hin!«

      »Setz dich, mein Junge. So viel Zeit muss sein.«

      »Und wenn ich keinen Hunger habe?«

      »Ein Mann in den besten Jahren und kein Hunger – dass ich nicht lache«, duldete Luise von Zitzewitz keinen Widerspruch, hakte sich bei Sydow unter und dirigierte ihn zum Tisch. »Ausgehungert ins Präsidium – kommt nicht infrage.« Um Zweifel an ihrer Entschlossenheit erst gar nicht aufkommen zu lassen, ließ die ehemalige pommersche Rittergutsbesitzerin mit ihrem Gehstock den Parkettboden erzittern, gab ein indigniertes Schnauben von sich und verschwand.

Скачать книгу