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Wahrscheinlich erging es auch seinen Männern so – bis auf Big Old Shane, der bereits gefordert hatte, das Groß wegzunehmen.

      Wenn er das forderte, dann wußte er auch, welche Konsequenz sich daraus ergab, nämlich den Seeraum, den sie gewonnen hatten, wieder zu verlassen und vor dem Sturm her in das verdammte Mittelmeer zurückzusegeln oder vor Topp und Takel zu lenzen, was auf das gleiche hinauslief.

      Darum fluchte er auch so erbittert.

      Das war, als habe man eine Festung erstürmt – und dann kapitulierte man. Der Vergleich hinkte gar nicht mal, denn es war Uluch Alis Piratenbande gewesen, die den Durchbruch der Seewölfe hatten verhindern wollen. Seit Sizilien hatten sie sich mit den Kerlen herumgeschlagen und das Unwahrscheinliche geschafft, die freie See zu erreichen.

      Sollte das alles umsonst gewesen sein?

      Das alles schoß Hasard durch den Kopf, während gleichzeitig alle seine Sinne auf das Toben der Elemente gerichtet waren. Was tat sich da? Legte der Wind noch zu? Wann brach die überlange Gaffelrute unter dem furchtbaren Druck? Die Gaffelrute, das war der neuralgische Punkt dieser Tartane, nicht der Mast, wie Dan O’Flynn meinte. Das war ein Pfahlmast – ein Stummel im Vergleich zu den Masten der alten „Isabella“, die sowieso überlang gewesen waren.

      Diese Gaffelrute bestand zwar aus drei sich jeweils überlappenden Spieren, die aneinandergelascht waren, was ihre Flexibilität ungemein erhöhte, aber hier galt jetzt der alte Spruch der englischen Bogenschützen: Allzu straff gespannt, zerspringt der Bogen.

      In Hasards Gedanken hinein brüllte Dan O’Flynn: „Laß das Großsegel oben, Sir, sonst ist alles umsonst gewesen!“

      Alles umsonst? Das war es auch, wenn ihnen die Gaffelrute davonflog und vielleicht alles mitriß. War die Tartane erst einmal ein Spielball der Wellen, hatten sie sowieso keine Chance mehr. Im Moment kletterte sie mühsam an einem Wellenhang hoch – nach Lee geneigt, das Schanzkleid schleifte durchs Wasser. Um die Männer herum tobte ein Höllenkonzert. Die See schimmerte weiß, als koche sie über. Auf dem Kamm verharrte die Tartane, als zögere sie, sich in die brodelnde Tiefe zu stürzen. Aber dann neigte sie den Bugspriet und raste in wilder Fahrt zu Tal.

      Hasard biß die Zähne zusammen. Oben auf dem Wellenkamm hatte er es gespürt – der Wind war noch stärker geworden, der Seegang hatte zugenommen.

      Die Natur nahm ihm die Entscheidung ab. Anders herum: sie zwang ihn, zu handeln. Jetzt wurde es gleichgültig, ob sie wieder ins Mittelmeer zurückgefegt wurden. Wichtiger war, zu überleben.

      Sie mußten sich dem Sturm beugen.

      Hasard fuhr zu Dan O’Flynn herum und schrie: „Weg mit dem Groß und der Fock, Mister O’Flynn! Das ist ein Befehl, verstanden?“ Und zu Big Old Shane hinüber brüllte er: „Shane, paß auf! Wir nehmen alles Zeug weg! Versuche, ganz hart am Wind zu bleiben – nahe am Killen, damit wir die Tücher runterkriegen. Und dann herum mit dem Ruder und Gegenkurs. Wir lenzen vor Topp und Takel, achtern werden Schleppleinen ausgebracht. Alles klar?“

      „Alles klar!“ donnerte der Riese. „Wurde auch höchste Zeit!“

      Sie packten alle mit an – Gary Andrews, Batuti, Matt Davies, Dan O’Flynn. Und Hasard selbst. Daß dabei die Schnittwunde wieder aufbrach, bemerkte er nur am Rande. Die lange Gaffelrute gebärdete sich wie verrückt, als sie nach unten weggefiert wurde. Sie stürzten sich über das wild schlagende Segel, begruben es unter sich, um es zu bändigen, und tuchten es auf, so gut es in der Dunkelheit und dem Tosen um sie herum ging. An der Gaffelrute wurde das Segel beigezeist.

      Sofort, als das Großsegel unten war, drückte der Wind die Tartane mit dem Bug nach Lee. Da stand die Fock noch, die jetzt wie ein Hebel wirkte und dazu beitrug, die Tartane vor den Wind zu bringen.

      „Gary, wirf das Fall los!“ brüllte Hasard. „Sonst kriegen wir die Fock nie runter!“

      Es wurde höchste Zeit, alles mußte blitzartig geschehen. Lagen sie einmal vor dem Wind, und die Fock stand noch, dann würde die Tartane wie ein störrischer Gaul durchgehen – und sich auch so benehmen. Da bestand immer die Gefahr des Querschlagens. Wie der Einmaster darauf reagieren würde, war fraglich – entweder wurde das Luvschanzkleid zerschmettert, oder die Tartane kenterte.

      Diese Fock war kein Sturmsegel, sondern ein ziemlicher Apparat. Mit so einem Ding vor dem Sturm herzulaufen und Kurs zu halten, war schier unmöglich.

      Aber sie schafften es. In Sekundenschnelle warf Gary Andrews das Fall los, und bevor die Fock auf und davon fliegen konnte, rissen sie das Tuch an Deck hinunter, lösten die Schoten und stopften die Fock ohne lange Umstände in eine Luke.

      Batuti und Matt Davies belegten zwei Trossen an den Heckpollern auf beiden Seiten der Tartane und ließen die Leinen ausrauschen. Sofort benahm sich die Tartane manierlicher, ihre Höllenfahrt wurde gebremst.

      Sie konnten aufatmen, das um so mehr, weil sie bemerkten, daß Hasard tatsächlich im letzten Moment den Befehl zum Segelbergen gegeben hatte. Denn kaum lag die Tartane auf Ostkurs und damit vor Topp und Takel, nahm der Sturm zu. Regen setzte ein und fegte waagerecht über sie weg. Die Tartane gierte und bockte, aber die Schlepptrossen hielten sie fest.

      Hasard ließ noch eine ausbringen, die sie mittschiffs um den Mast belegten.

      „Jetzt wäre ein Rum fällig“, knurrte Matt Davies und fuhr sich mit der gesunden linken Hand – rechts hatte er die Hakenprothese – über das von Regen und Salzwasser triefend nasse Haar. Dabei blinzelte er Hasard an.

      Der blinzelte zurück. „In Ordnung, Matt. Dann hol das Fäßchen und sechs Mucks.“

      Matt verschwand grinsend im Vordeck.

      Sie versammelten sich bei Big Old Shane, teils erlöst, teils grimmig.

      „Na also“, sagte Big Old Shane. Er stand breitbeinig da, die Ruderpinne unter den rechten Arm geklemmt.

      „Was heißt hier ‚na also‘?“ sagte Dan O’Flynn gereizt. „Hast du noch nicht kapiert, daß wir uns auf dem besten Weg zurück ins Mittelmeer befinden?“

      „Na eben“, erwiderte Big Old Shane mit stoischer Ruhe. „Da sind wir lange nicht gewesen, oder? Reg dich ab, Kleiner!“

      „Der Teufel ist …“

      „… dein Kleiner“, unterbrach ihn Big Old Shane grinsend. „Ich weiß, ich weiß. Meinst du, ich jubele, daß wir auf einem Kurs liegen, der alles andere als auf England gerichtet ist? Aber ich hab ja schon immer gesagt, wer gegen den Wind pißt, kriegt nasse Hosen. Wenn’s mal nur die Hosen wären, ha! Wie’s jetzt pustet, hätten wir uns mehr als einen nassen Hintern geholt. Wassermann hätten wir jetzt gespielt, kapiert? Wassermann ist gleich Wasserleiche, damit auch das klar ist. Im übrigen haben wir nun ja Übung, diese verdammte Straße zwischen Spanien und Afrika zu durchsegeln, einmal in diese Richtung, einmal in die andere. Wenn’s aufhört, zu wehen, gehen wir auf Gegenkurs.“

      „Mahlzeit“, knurrte Dan O’Flynn. Er war in dieser Nacht besonders verbiestert. Die Aussicht, „Wassermann“ zu spielen, wenn Hasard nicht das Manöver des letzten Augenblicks befohlen hätte, kratzte ihn nicht im geringsten.

      Matt brachte das Fäßchen, verteilte die Mucks und übernahm auch gleich das Einschenken. Eine Muck bis zum Rand voll mit Rum, das war schon was. Hasard sagte nichts.

      Matt setzte das Fäßchen ab, nahm seine Muck, die Batuti solange gehalten hatte, hob sie und fragte: „Und auf was trinken wir?“

      „Hm.“ Hasard überlegte, aber ihm fiel nichts Passendes ein.

      „Soll ich’s sagen?“ fragte Matt.

      „Schieß los!“

      „Auf dich“, sagte Matt.

      „Auf mich? Wieso das denn?“

      „Weil du im letzten Moment das Richtige tatest, darum.“

      Hasard grinste schief. „Mister O’Flynn ist da gegenteiliger Meinung.“

      „Der hat ja

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