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2.

      Die junge Frau, die sich auf dem Achterdeck des ranken Viermasters mit der einen Hand an den Strecktauen festhielt und mit der anderen ein Spektiv an die Augen führte, zog Männerblicke für gewöhnlich magisch an. Doch jetzt, in diesem heulenden und brüllenden Inferno, hatte niemand die Zeit, ihre langen, schwarzen Haare, ihre mandelförmigen, leicht schräggestellten Augen und ihre samtene Pfirsichhaut zu bewundern. Selbst für die Rundungen ihrer makellosen Figur, die sich unter einer roten Bluse und blauleinenen Schifferhosen verbarg, hatte heute niemand einen Blick.

      Siri-Tong, die man auch die Rote Korsarin nannte, hatte bereits seit gestern alle Hände voll zu tun, um ihr Schiff im wahrsten Sinne des Wortes über Wasser zu halten. Der Sturm, der über dem Atlantik westlich der Azoren tobte, verlangte nicht nur der schlanken Eurasierin, sondern auch ihrer gesamten Crew einiges an seemännischem Können ab. Dennoch hatte sich nicht vermeiden lassen, daß auch der „Rote Drache“ einige kleinere Sturmschäden abkriegte.

      Die etwas mehr als 400 Tonnen große Galeone, die früher einmal „Albion“ hieß, hatte die Rote Korsarin einst auf Bora-bora dem größenwahnsinnigen El Supremo abgejagt. Wie sich in England herausgestellt hatte, war der moderne Segler ebenfalls von Hesekiel Ramsgate erbaut worden.

      Das Schiff fiel nicht nur durch seine leuchtend roten Segel auf, sondern auch durch seine zahlreichen Geschützpforten und sein geräumiges Hauptdeck. Letzteres wurde nicht mehr durch das sogenannte Quarterdeck verkürzt, sondern zog sich vom Vorderkastell glatt bis zum Achterkastell durch und bot insgesamt vierundzwanzig schweren Kanonen Platz.

      Der „Rote Drache“ war bereits Anfang Juni zusammen mit der „Isabella IX.“, dem Schwarzen Segler, der „Wappen von Kolberg“ sowie der „Le Vengeur III.“ und der „Tortuga“ in Plymouth aufgebrochen, und zwar mit Kurs auf die Karibik. Westlich der Azoren, unweit der Insel Flores, war man dann auf den Verband der Spanier gestoßen.

      Die „Isabella“, die unter dem Kommando des Seewolfs stand, segelte nach einem Gefecht mit den Dons und nach Rücksprache mit den übrigen Kapitänen des Seewölfe-Verbandes nach Flores, um die Überlebenden der „Confianza“ dort abzusetzen.

      Siri-Tong bemühte sich seitdem zäh und verbissen, nicht nur den Kontakt zum eigenen Verband aufrechtzuerhalten, sondern auch des spanischen Flaggschiffs „Vencedor“ habhaft zu werden. Sie hatte sehr wohl mitgekriegt, welch übles und intrigantes Spiel der Kapitän dieses Schiffes mit der versenkten „Confianza“ getrieben hatte. Und diese Sache, die zum Himmel stank, mußte ihrer Meinung nach geklärt werden.

      Die „Vencedor“, das Flaggschiff der Spanier, hatte scheinbar helfend in die direkte Auseinandersetzung zwischen der „Confianza“ und der „Isabella“ eingegriffen. Aber nur scheinbar. Nur wenige hatten im allgemeinen Kampfgetümmel gesehen, wie die „Vencedor“ ihre günstige Position ausnutzte und der „Confianza“, einem Schiff ihres eigenen Verbandes, den sogenannten Fangschuß verpaßte.

      Den wachen Augen Al Conroys, des Stückmeisters der „Isabella“, war das jedoch nicht entgangen. Er hatte ohne Zweifel bemerkt, daß seine eigene Breitseite die „Confianza“ gar nicht erreicht hatte. Die „Vencedor“ aber hatte der Galeone einige Treffer ins Heck gedonnert und sich dann so rasch wie möglich verholt. Die „Confianza“ sank.

      Nach außen hin sollte das Ganze wohl so aussehen, als sei das Schiff im Gefecht von den Engländern versenkt worden. Somit war ganz offensichtlich, daß man auf seiten der spanischen Verbandsführung eine Riesenschweinerei ausgeheckt hatte. Aber die Seewölfe und alle, die zu ihrem Verband gehörten, waren fest entschlossen, diese verbrecherischen Machenschaften aufzudecken.

      So sehr Siri-Tong jedoch den Kieker bemühte, die „Vencedor“ war nicht mehr zu entdecken. Die tobenden Naturgewalten hatten den spanischen Verband längst auseinandergesprengt und in die verschiedensten Himmelsrichtungen gepeitscht. Allein die „San Mateo“ geriet von Zeit zu Zeit an der grauverhangenen Kimm in ihr Blickfeld, und die Rote Korsarin bemühte sich mit eiserner Energie, diese Kriegsgaleone nicht aus den Augen zu verlieren.

      Barba, ihr Steuermann, hatte gerade die Festigkeit der Taue überprüft, die die Boote auf dem Hauptdeck festhielten. Jetzt enterte er mit grimmigem Gesicht und triefendnasser Kleidung den Niedergang zum Achterdeck hoch, immer darauf achtend, daß seine Hände irgendwo festen Halt fanden.

      „Hoffentlich läßt dieser verdammte Sturm bald etwas nach!“ brüllte er mit Donnerstimme, damit Siri-Tong ihn überhaupt verstehen konnte. „Rasmus scheint diesmal den Hals nicht voll genug zu kriegen.“

      Die Rote Korsarin nahm das Spektiv vom rechten Auge und wischte sich eine lange, schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, die Wind und Regen dort festgeklebt hatten.

      „Ob es Rasmus paßt oder nicht!“ rief sie zurück. „Wir werden dranbleiben! Zumindest die ‚San Mateo‘ darf uns nicht entgehen.“ Ihre Augen funkelten wie die einer Wildkatze.

      Barba grinste. Er kannte die Ausdauer Siri-Tongs nur zu gut. Wenn sie sich erst einmal in etwas verrannt hatte, dann würde sie selbst den Teufel am Schwanz packen, um ihr Ziel zu erreichen. Ja, und wie er sich selber kannte, würde er ihr, ohne mit einer Wimper zu zucken, dabei helfen.

      „Und wie sieht der Kontakt zu unserem eigenen Verband aus?“ fragte er.

      „Schlecht“, erwiderte Siri-Tong, „sofern man überhaupt noch von Kontakt reden kann. Es wird sich wohl nicht umgehen lassen, daß wir uns eine Zeitlang aus den Augen verlieren.“

      Tatsächlich hatte es sich als schier unmöglich erwiesen, die befreundeten Schiffe im Auge zu behalten, denn deren Kapitäne, Thorfin Njal, Arne von Manteuffel, Oliver O’Brien sowie Jean Ribault und Jerry Reeves, hatten bei diesem Höllentanz der Elemente selber alle Hände voll zu tun. Ob es ihnen paßte oder nicht, ihr Verband hatte sich in den letzten Stunden mehr und mehr aufgelöst. Der Sturm tobte unvermindert weiter.

      War der „Rote Drache“ anfangs noch unter Fock und Besan gelaufen, so konnten längst nur noch die nötigsten Sturmsegel gesetzt werden, und selbst das stellte schon ein unwägbares Risiko dar.

      Das Schiff wurde von der Urgewalt der Elemente hin und her gebeutelt, krängte in der einen Minute hart nach Steuerbord, in der anderen nach Backbord über und begab sich dann wieder auf eine schwindelerregende Berg- und Talfahrt. Überkommende Seen gurgelten über das Backbordschanzkleid, klatschten auf die Kuhl und liefen schäumend und brodelnd durch die Speigatten ab.

      Siri-Tongs Mandelaugen wanderten prüfend über das Hauptdeck.

      „Eigentlich können wir froh sein, daß wir bisher außer einigen kleineren Schäden nichts abgekriegt haben!“ rief sie zu Barba hinüber.

      Der hünenhafte Mann nickte und wischte sich mit dem Handrücken über das nasse Gesicht.

      „Wir werden unser Schiffchen schon wieder zusammenflicken“, sagte er grinsend.

      Da ließ ihn die gellende Stimme Siri-Tongs heftig zusammenzucken.

      „Wahrschau! Die Rah!“ tönte ihre Stimme hell wie eine Glocke über das Schiff.

      Barba, der dem Aussehen nach einem Schläger übelster Sorte glich, aber ein grundehrlicher und anständiger Kerl war, setzte sich sofort in Bewegung.

      Aber da geschah es auch schon.

      Die Großmarsrah hatte sich losgerissen und sauste mitsamt dem aufgetuchten Segel krachend nach unten. Leinen brachen und schwangen wie Henkerstaue durch die Luft.

      Drei Mann der Besatzung, die um die Wette fluchten, konnten sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.

      Barba arbeitete sich, so schnell es ging, auf das Hauptdeck hinunter.

      „Schafft das Zeug über Bord“, brüllte er. „Und kappt die Taue, bevor noch Schlimmeres passiert!“

      Die Männer hielten sich an den Manntauen fest und gingen mit ihren Enterbeilen an die Arbeit, bis schließlich das wirre Tauwerk und die zerbrochene Großmarsrah leewärts über Bord geschafft war. Trotz ihrer Flüche waren sie froh darüber, daß nicht

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