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wurden bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit geprüft.

      Als sie den Tacora-Paß endlich überquert hatten, war es Nachmittag.

      Der Himmel war von grauweißer Farbe, der Wind blies so eisig, daß sie die Kapuzen tief in die Gesichter gezogen hatten. Jeder trug unter der Kapuze noch eine Wollmütze. Ihre Hände steckten in den dicken Handschuhen, die sie vom Tacna-Kloster hatten. Die gefütterten Pelzjacken hielten die eisige Kälte ab, und im stillen schickte jeder der Männer einen Gruß an den alten Will Thorne. So eisigkalt und frostig hatten sie sich diese Regionen doch nicht vorgestellt.

      Pater Aloysius fand, daß es immer noch nach Schnee roch, nach einem Schneesturm vielleicht, obwohl die hier relativ selten waren. Aber er hatte ein Gespür dafür entwickelt.

      Selbst die Männer, die diese Regionen nicht gewöhnt waren, spürten, daß etwas in der Luft lag. Der Himmel hatte sich verändert. Aus dem Grauweiß war eine undefinierbare Farbe geworden, die an kalten Haferbrei erinnerte.

      Nicht lange danach tanzten ein paar feine Schneeflocken durch die Luft. Der orgelnde Wind packte sie und trieb sie waagerecht auf den Trupp zu. Es wurden immer mehr Flocken, schließlich betrug die Sicht bestenfalls noch fünfzig, sechzig Yards. Wie scharfe Eiskristalle fegten die Schneeflocken heran.

      Genau das hatte Pater Aloysius befürchtet. Wenn es hier einen Schneesturm gab, würde er die umliegende Bergwelt in eine brüllende Hölle verwandeln.

      Er überlegte, ob sie zurück aufs Plateau sollten, aber der Weg erschien ihm zu weit. Es war besser, wenn sie sich beeilten, denn weiter vorn gab es ein paar Höhlen in einem Felszug. Außerdem befand sich bei den Höhlen eine Pukara, eine noch ganz gut erhaltene Festungshütte der alten Inka.

      Als er diesmal sprach, hörten die Männer den besorgten Unterton deutlich heraus. Der kalte Wind wehte ihm fast die Worte von den Lippen, und er mußte laut brüllen.

      „Es wird noch schlimmer werden, Männer! Schneestürme sind hier zwar selten, aber wir haben eben das Pech. Seilt euch jetzt hintereinander an und überprüft die Seilhalterungen, damit keiner verloren geht. Und dann Beeilung! Weiter voraus gibt es ein paar Felshöhlen. Die müssen wir erreichen, bevor die Schneeverwehungen den Pfad total versperren und unpassierbar werden lassen.“

      Hasard begann schon mit dem Anseilen. Der Pfad war hier zwar etwas breiter, aber rechts von ihnen befand sich immer noch eine tiefe Schlucht, die jetzt kaum zu sehen war, als der Schnee immer dichter heranfegte.

      Wenn das noch stärker wird, überlegte er, dann wird der Pfad schon allein durch die immer höher werdende Schneedecke unpassierbar. Der Pater hatte recht, wenn er jetzt zur Eile antrieb.

      Aloysius schob sich an den Männern vorbei, um die Spitze zu übernehmen.

      Inzwischen seilten sich auch die anderen jeweils am Vordermann an.

      Das Heulen und Tosen wurde stärker. Es jaulte in schrillen Tönen, pfiff und orgelte, daß die Männer fast umgeblasen wurden. Eine Verständigung war nur noch laut schreiend möglich.

      Der Schnee fiel jetzt so dicht und wurde so scharf herangeblasen, daß die Sicht nicht mal mehr auf den Vordermann reichte. Schritt um Schritt bewegten sie sich neben den Maultieren vorwärts. Pater Aloysius legte ein Tempo vor, daß selbst den abgebrühtesten Männern angst und bange wurde.

      Wirbelnder, eisiger Schnee, scharf wie Millionen spitzer Dolche bohrte sich in die Kleidung, fand seinen Weg durch die kleinsten Schlitze in der Kleidung und drang schmerzhaft in die Haut. Schon bald waren die Augenbrauen weißverkrustet, die Wimpern fast gefroren und die Bärte voller Schnee.

      Sie tappten mehr, als sie gingen, blindlings ins Ungewisse, jeden Augenblick daran denkend, daß ein Fehltritt den sicheren Tod bedeuten konnte. Die Schneebrillen konnten sie jetzt nicht aufsetzen, denn sonst sahen sie gar nichts mehr. Stenmark versuchte es einmal, doch er gab es gleich wieder auf, als sich der Schnee darauf festsetzte.

      Aus den Kapuzen sahen nur noch schmale Schlitze hervor. Die Augen dahinter waren zu einem winzigen Spalt verkniffen. Trotz der warmen Kleidung begann die Kälte durchzudringen und sich festzusetzen.

      Unter ihren Stiefeln knirschte und krachte der Schnee, als würden sie ständig über zersplittertes Glas laufen. Der Wind heulte noch stärker und trieb ihnen Unmengen Schnee entgegen.

      Hasard folgte dem Pater wie blind. Es war ihm schleierhaft und unbegreiflich, wie dieser Mann zielstrebig durch die weiße Hölle aus Eis, Schnee und brüllendem Sturm den Weg fand. Zudem zog der Padre wie ein Ackergaul an dem Seil und riß die anderen mit. Hasard gab vor sich selbst zu, daß er längst die Orientierung verloren hatte. Er sah nichts mehr, nicht einmal mehr den Pfad, auf dem die Schneedecke immer höher wurde. Und doch rannte der Mann vor ihm fast. Dabei ging er elastisch, leicht federnd und doch so zielsicher, als liege heller Sonnenschein auf dem Weg und als gäbe es nicht die geringste Sichtbehinderung.

      Die Schneedecke wurde höher. Sie wuchs beängstigend schnell. Dazu war der Schnee trocken wie Schießpulver. Sie marschierten durch ein brüllendes, tosendes Inferno und mußten sich nach vorn beugen, um nicht umgeweht zu werden.

      Hin und wieder sah Hasard dicht vor sich einen Schatten, der auf und niederschwebte wie ein unwirklicher grauer Schemen. Der Schatten hatte es immer eiliger. Er kannte keine Müdigkeit, keine Erschöpfung. Er zog und zog, als hätte er den ganzen Trupp im Schlepp.

      Sie selbst waren gegen diesen bergerfahrenen harten Tiroler Mönch bestenfalls „Flachland-Tiroler“, die das Tempo kaum mithalten konnten.

      Der Schatten brüllte etwas, das Hasard nicht verstand. Aber es klang so ähnlich, daß sie es bis zum Abend vermutlich geschafft haben würden, falls sie das Tempo beibehielten.

      Bis zum Abend! Schon jetzt war es fast dunkel. Der beißende Höllensturm war wie eine Wand, gegen die sie immer wieder anrannten und die nur mit Mühe und Kraft zu durchdringen war.

      Hinter Hasard ging Pater David, der riesenhafte Mann, der selbst den Seewolf und Carberry noch überragte. Auch er hatte zu kämpfen und war schon außer Puste. Dem Profos erging es nicht anders.

      Verdammt, dachte er, wenn dieser mistige Pfad wenigstens eben wäre, aber es ging immer noch bergauf, als wollten sie den Himmel stürmen.

      Und ein Ende dieser eisigen Tortur war vorerst noch nicht abzusehen. Jetzt konnte man schon die Männer auf der „Estrella de Málaga“ und die der „San Lorenzo“ beneiden. Die hockten geschützt an Bord, tranken kühles Bier und klönten. In diesen Höhen wäre ihnen das Bier sicher schnell gefroren. Hier half ein „Wässerchen“ wesentlich mehr und wirkte wahre Wunder.

      Carberry wäre gern einmal stehengeblieben, um an jeden Mann einen wärmenden Schluck zu verteilen. Doch an der Spitze schien ein ausgewachsener Elefant zu traben, der mühelos alles hinter sich herzog und ein Tempo vorlegte, daß einem die Luft wegblieb.

      Der Profos fluchte verhalten, doch der fauchende und brüllende Schneesturm riß ihm die Worte von den Lippen. Nicht mal der Hintermann verstand andeutungsweise, daß er fluchte. Die Luft wurde immer knapper, der Wind noch eisiger, und der brüllende Schneesturm nahm noch an Heftigkeit zu.

      Zu sehen war nichts mehr, absolut nichts. Nicht mal die eigene Hand sah man mehr vor den Augen. Der peitschende Schnee hüllte alles ein, deckte alles zu, webte ein riesiges Leichentuch über die Berge und Pfade und ließ es vereisen.

      Da schmerzten die Beine, stachen die Lungen, jagte das Herz, da drohte der Schädel zu zerspringen, und da war die eisige Kälte, die sich immer tiefer in die Knochen fraß. Hinzu kam das heftige Prickeln der Schnee- und Eispartikel, die immer wie nadelspitze Dolche heranfegten und alles durchbohrten.

      Diese brüllende und eisige Hölle schien nie mehr ein Ende zu nehmen. Mechanisch setzten sie Fuß vor Fuß und folgten dem jeweiligen Vordermann, mit dem sie durch das Seil verbunden waren. Ohne dieses Seil passierte es, daß ein Mann strauchelte. Sobald es dann einen Ruck gab, stemmten die anderen die Beine fest in den Schnee.

      Jeder fragte sich beklommen, ob es diesen fürchterlichen Abgrund neben ihnen noch gab, der jetzt durch das Schneetreiben nicht mehr zu sehen war. Befanden

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