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muss sie zwei Bedingungen vereinen, die gleichzeitig zufriedenzustellen sind, die zusammenzuführen aber äußerst schwierig ist. Es muss sowohl das Individuum wie die Individuen geben, die fähig sind zu sehen, sich zu entwickeln, sich neu zu erschaffen im Ebenbild des Geistes und sowohl ihre Idee wie deren Kraft auf die Masse zu übertragen. Und zur gleichen Zeit muss es eine Masse geben, eine Gesellschaft, ein Gemeinschaftsgeist, oder zumindest die Bestandteile eines Gruppenkörpers, die Möglichkeit einer Gruppenseele, die den Geist zu empfangen und sich wirksam einzuverleiben vermag, die zu folgen bereit ist und auch wirklich ankommt, die nicht durch ihre eigenen ihr innewohnenden Schwächen, ihre mangelnde Vorbereitung gezwungen ist, auf dem Weg anzuhalten oder zurückzufallen, bevor der entscheidende Wandel vollbracht ist. Eine derartige Gleichzeitigkeit hat es bisher noch nie gegeben, wenn auch der Eifer des Augenblicks bisweilen den Anschein hiervon erweckte. Dass diese Kombination der beiden Bedingungen eines Tages gelingen muss, ist gewiss.“ — Sri Aurobindo

      Dieses Zitat aus dem Werk Sri Aurobindos wurde der Mutter von einem Schüler vorgelesen, der Sie fragte, ob die Zeit gekommen sei, dass die Bedingungen, die Sri Aurobindo niedergelegt hat, erfüllt werden. Der Schüler sagte, dass die erste Bedingung bezüglich „dem Individuum und den Individuen“ durch Sri Aurobindo und die Mutter erfüllt sei. Aber wie steht es mit der zweiten Bedingung einer „Masse, einer Gesellschaft, eines Gemeinschaftsgeistes oder eines Gruppenkörpers“, fähig zu empfangen und aufzunehmen?

      „Genau dafür gibt es Auroville. Aber Auroville ist noch weit davon entfernt, die notwendigen Bedingungen zu erfüllen.“ — Die Mutter

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Teil I

      Kapitel 1

      Die Menschheit –

      Ihre bisherige Entwicklung und was es zu tun gilt

      Das Trachten des materiellen Menschen ist allein darauf gerichtet, zu leben und auf seinem Weg von der Geburt bis zum Tod so viel Bequemlichkeit und Vergnügen wie möglich zu bekommen, jedenfalls aber zu leben. Er kann dieses Ziel wohl hintanstellen, er kann es aber nur den anderen Trieben der physischen Natur unterordnen: der Fortpflanzung und der Erhaltung der Art in der Familie, der Klasse oder der Gemeinschaft. Die egoistischen Interessen, häusliches Leben, die herkömmliche Ordnung der Gesellschaft und der Nation sind die konstituierenden Elemente der materiellen Existenz. Ihre außerordentliche Bedeutung für die Ökonomie der Natur ist offensichtlich, und entsprechend groß ist auch die Bedeutung dieses menschlichen Typus, der sie darstellt. Er gewährleistet der Natur die sichere Festigkeit der Struktur, die sie erschaffen hat, und die geordnete Dauer und Erhaltung ihrer früheren Gewinne.

      Aber gerade durch ihre große Nützlichkeit sind solche Menschen und das von ihnen geführte Leben zu einem beschränkten, unvernünftig konservativen und erdgebundenen Leben verurteilt. Die gewohnte Routine, die hergebrachten Institutionen und die ererbten oder gewohnheitsmäßigen Formen des Denkens sind der wahre Lebensatem ihres Daseins. Sie erkennen wohl die Veränderungen an, die durch das fortschrittliche Mental in der Vergangenheit erzwungen wurden, und verteidigen sie eifersüchtig. Mit gleichem Fanatismus bekämpfen sie aber die Umwandlungen, die von den fortschrittlich Gesinnten in der Gegenwart unternommen werden. In den Augen des materiellen Menschen ist der lebende fortschrittliche Denker ein Ideologe, ein Träumer oder ein Verrückter.

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      Die Vordergründe des Lebens sind leicht zu verstehen. Ihre Gesetze, ihre charakteristischen Abläufe und praktischen Vorteile liegen auf der Hand, und bei hinlänglicher Gewandtheit und Schnelligkeit können wir sie ergreifen und von ihnen profitieren. Doch bringen sie uns nicht sehr weit. Sie genügen für ein tätiges, oberflächliches Leben von einem Tag zum anderen, doch sie lösen nicht die großen Probleme des Daseins.

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      Das Wort Zivilisation, auf diese Weise angewandt, hat nur eine relative Bedeutung oder überhaupt keinen festen Sinn. Wir müssen es daher von allem ablösen, was vorläufig oder zufällig ist und es auf dieses unterscheidende Merkmal festlegen, dass Barbarei derjenige Zustand der Gesellschaft ist, in welchem sich der Mensch fast ausschließlich mit seinem Leben und Körper beschäftigt, mit seinem wirtschaftlichen und physischen Dasein... Es ist deutlich, dass im Zustand der Barbarei die rohen Anfänge einer Zivilisation liegen können. Es ist ebenfalls deutlich, dass in einer zivilisierten Gesellschaft sehr viel Barbarei oder zahlreiche seiner Überbleibsel fortbestehen können. So gesehen sind alle Gesellschaften lediglich halb zivilisiert.

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      Der Mensch ist ein abnormales Wesen, das noch nicht seinen normalen Zustand gefunden hat. Er kann sich einbilden, dies sei der Fall. Er kann in seiner Art als normal erscheinen. Aber dieses Normalsein ist nur eine provisorische Ordnung. Obwohl der Mensch unendlich vollkommener ist als Pflanze und Tier, ist er in seiner eigenen Natur nicht so vollendet wie diese. Solche Unvollkommenheit ist nicht beklagenswert, sondern ist eher ein Vorrecht und ein Versprechen, denn sie öffnet uns ungeheure Möglichkeiten der Selbstentwicklung und Selbstüberschreitung. Der Mensch ist auf seiner höchsten Stufe ein Halbgott, der, aus der tierischen Natur entstanden, in ihr herrlich abnormal ist. Das aber, was er erlangen will, die ganze Gottheit, ist so viel größer als sein derzeitiger Zustand, dass es ihm ebenso abnormal erscheint wie er selbst dem Tier. Er hat deshalb die mühsame Arbeit des Wachstums vor sich, aber auch die herrliche Krönung seiner Art und ihren Sieg. Ein Königreich ist ihm angeboten, im Vergleich zu dem seine gegenwärtigen Triumphe im Bereich des Mentals über die äußere Natur nur ein schwacher Abglanz sind.

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      Das verwirklichte mentale Wesen und das verwirklichte spirituelle Wesen sind zwei verschiedene Ebenen in der Ordnung unserer Existenz. Die eine ist übergeordnet und göttlich, die andere untergeordnet und menschlich. Zu der ersteren, der göttlichen Ebene, gehören die vier göttlichen Prinzipien: das unendliche Sein, das unendliche Bewusstsein und sein Wille, die unendliche Seligkeit und das unendliche, umfassende, aus dem Selbst wirksame Wissen des Supramentals. Zum mentalen Wesen gehören die drei menschlichen Prinzipien: das mentale, das vitale und das physische Wesen. So wie diese Prinzipien in ihrer Natur in Erscheinung treten, sind die beiden Wesensarten einander entgegengesetzt; das eine ist die Umkehrung des anderen. Das göttliche Wesen ist unendlich und unsterblich; das menschliche ist das in Zeit, Feld und Form begrenzte Leben. Es ist Leben, das eigentlich Tod ist und danach strebt, Leben zu werden, das Unsterblichkeit ist. Das göttliche Wesen ist ein unendliches Bewusstsein, das über alles hinausgeht und alles umfasst, was es in sich manifestiert. Das menschliche ist Bewusstsein, das aus dem Schlaf des Unbewussten errettet wurde. Es ist den Mitteln, die es verwendet, unterworfen und durch den Körper und das Ego begrenzt. Es sucht Beziehung zum Bewusstsein anderer Wesen, zu ihrem Körper und ihrem Ego durch verschiedene Mittel: auf positive Weise durch zur Einheit führenden Kontakt und Sympathie, auf negative Weise durch verschiedene Arten feindlichen Zusammenstoßes und Antipathie. Das göttliche Wesen ist unveränderliche Selbst-Seligkeit und unverletzliche All-Seligkeit. Das menschliche Wesen ist eine Empfindung des Mentals und des Körpers, die nach Seligkeit suchen, aber nur Lust, Gleichgültigkeit und Schmerz finden. Das göttliche Wesen ist ein alles umfassendes supramentales Wissen und ein alles bewirkender supramentaler Wille. Das menschliche Wesen ist Unwissenheit, die nach Wissen dadurch strebt, dass sie die Dinge in Teilen und Bruchstücken verstehen kann, die sie dann ungeschickt zusammensetzen muss. Es ist ein Unvermögen, das dadurch Kraft und Willen zu erwerben sucht, dass es seine Macht stufenweise entsprechend der allmählichen Ausweitung seines Wissens ausdehnt. Diese Ausdehnung kann es aber nur durch partielle, stückweise Willensübung fertigbringen, die der partiellen und stückweisen Methode seines Wissens entspricht. Das göttliche Wesen gründet sich auf Einheit und ist Meister über die Transzendenz und Totalität der Dinge. Das menschliche Wesen gründet sich auf eine gesonderte Vielfalt und ist auch dann den Dingen unterworfen, wenn es Meister ihrer Trennung, ihrer Zerteilung und des schwierigen Versuches ist, das Zerteilte zusammenzuflicken und zu vereinen. Zwischen beiden Wesensarten gibt es für das menschliche einen Vorhang und einen Verschluss, die es nicht erst daran hindern, das göttliche Wesen zu erlangen, sondern schon, es zu erkennen.

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      Unter allen Geschöpfen der Erde ist es allein für den

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