Скачать книгу

als er auf gut Glück den erstbesten Gang entlang schleichen wollte, kreuzte ein junger Polizist in Uniform vor ihm auf. »Sind Sie der …?«

      »Ja, genau der bin ich. Wo liegt denn Ihre Leiche?«

      Der Polizist musste schlucken. »Also, so was hat man ja auch nicht alle Tage. Also, das könnense mir glauben, das is schon … Nee, also, so Verkehrsunfälle und Badeunfälle, ja, das is … Aber so was, da bin ich …«

      Linthdorf musterte den jungen Beamten. Auf seiner Uniform hatte er die Rangabzeichen eines Anwärters. So viel Schlimmes konnte er noch nicht erlebt haben.

      Etwas mitfühlend klopfte Linthdorf dem jungen Mann, der höchstens Mitte Zwanzig war, auf die Schulter. »Na, dann wollen wir mal.«

      Der Riese hatte etwas Probleme, dem behänden jungen Polizisten zu folgen. Der sprang wie aufgezogen durch die schmalen Gänge.

      Schließlich erreichte das ungleiche Paar den Fundort. Eine mehrfach mit Folien geschützte Sektion voller Apfelmieten über der sich drei weitere stapelten. Die roten Äpfel glänzten wie frisch poliert. Linthdorf sah im ersten Moment nur die Früchte, die bei ihm einen plötzlichen Appetit auslösten.

      Äpfel mochte er sehr. Aber jetzt war er hier wegen einem Leichenfund. Ob es sich dabei um ein Verbrechen oder um einen Unfall handelte, hatte er in den nächsten Minuten zu entscheiden.

      Ein zweiter, deutlich älterer Polizist in Uniform stand etwas unschlüssig herum. Neben ihm ein nervös dreinschauender Glatzkopf und eine Frau mit modischem Kurzhaarschnitt. Alle schienen schon eine Zeitlang hier zu warten. Man sah ihnen den Kälteaufenthalt an. Die Gesichtsfarbe tendierte zu einem blassen Weiß.

      Linthdorf nickte in die Runde und stellte sich kurz vor. Er schüttelte allen Anwesenden die Hand und erfuhr so, wer die hier versammelten Leute waren. Der Uniformierte stellte sich als Polizeiobermeister Lurz vor, der nervöse Kahlkopf war der Besitzer der Obstplantage und auch der Lagerhalle. Er nickte nur kurz und nannte seinen Namen: »Malzbrandt, Werner Malzbrandt!« Die Frau klimperte mit ihren falschen Wimpern, hüstelte etwas gewollt und ließ dann eine erstaunlich tiefe Altstimme ertönen: »Dorothea Bunzmann-Höll, ich bin die Sekretärin von Herrn Malzbrandt.«

      »Und wo ist die Leiche?«

      »Da!«

      »Wo?«

      »Na da!«

      Ungläubig folgte Linthdorf dem Fingerzeig der Sekretärin, die auf die Apfelmiete direkt vor ihm wies. Dann sah er den Arm, der seitlich aus der Folienabdeckung der Äpfel ragte. Die fünf Finger waren gespreizt, schienen einem älteren Mann zu gehören. Der Arm war von einem Ärmel umhüllt, der zu einem Anzug gehören könnte.

      Linthdorf kratzte sich am Kopf. So etwas hatte er nicht erwartet. Mindestens sieben Zentner bester Lageräpfel türmten sich über der Leiche. Er überschlug im Kopf, wie lange es wohl dauern würde, die Äpfel wegzuräumen um an den darunterliegenden Körper zu kommen.

      Heiligabend konnte Linthdorf vergessen. Auch die beiden Polizisten ahnten, dass eine Menge Arbeit auf sie zukommen würde.

      »Okay, dann wollen wir mal … Wer hat denn die Leiche gefunden?«

      Malzbrandt meldete sich. »Det war ick!«

      »Und? Wann war das?«

      »Na heute früh. Ick hab jestan noch nen dicken Auftrach rinbekommen. Fuffzehn Zentner Undine nach Holland.«

      »Undine?«

      »Kuchenäppel. Beste Kuchenäppel. Eijentlich viel zu schade für die Holländer. Die wollen die sowieso bloß mosten. Zu Saft verwerten. Schade drum. Aba die zahln jut. Na, is ja nu auch ejal.«

      »Okay, Sie haben also nachsehen wollen, ob genügend Äpfel bereitstehen? Verstehe ich das richtig?«

      »Ja.«

      »Und? Was passierte dann?«

      »Ja. Dann bin ick zu die Undineäppel. Weil die imma hinta die Elstar und die Granny Smith steh‘n. Wern normalaweise erst spät in nen Handel jebracht. Also erst imma so in Februar. Un die Hollända wolln die schon noch Anfang Januar. Ja, un da hab ick dann den Arm jeseh’n, wie der da so raushing.«

      »Der ist doch nicht erst gestern da reingekommen?«

      »Nee, nee, der wird wohl schon ne Zeitlang da drinne sein, der Tote. Naja, is ja kalt jenuch. Un die Äppel hier im Laga sin ja alle uff CA, det macht se haltbarer. Also, der Tote dürfte daher ooch uff CA sin. Hia die Undines hab ick sojar uf ULO. Det hat den Toten bestimmt mit konsaviert. Nehm ick ma an …«

      »CA? ULO? Können sie mal kurz erklären, was das ist?«

      »Na, die Äppel müssen doch scheen knackich un saftich blei’m. Da hat ma ein schlauer Mensch sich wat einfallen lassen und ne optimale Lagerung entwickelt. Det nennt man CA. Wat englischet: controlled atmosphere. Auf jut deutsch: die Äppel komm in so ne Art Schutzatmosphäre mit wenich Sauastoff un ville Stickstoff und Kohlendioxid, dazu die Temparatur runta uff maximal ein bis vier Grad. So wird ihr Reifeprozess extrem verlangsamt und die Biesta blei’m frisch.«

      »Und was ist ULO?«

      »Ooch wat englischet: Ultra Low Oxygen. Also, det jibt et noch nich so lange. Da würd der Sauastoff uff unta ein Prozent herabjesetzt und det Kohlendioxid dafür uff fünf Prozent hochjefahrn, Rest is Stickstoff. Macht ma bei jute Lagaäppel, die bis weit ins Frühjahr frisch blei’m. Det kann ma hia mit die Adsorbers und Konverters janz jenau einstell’n.« Dabei zeigte er auf ein paar große Metallkästen, die mit Displays ausgerüstet waren.

      »Aha.«

      Linthdorf zuckte für den Bruchteil einer Sekunde zusammen. Wenn die arme Seele, die hier unter den Äpfeln begraben lag, noch gelebt haben sollte, war die Vorstellung eines Erstickens in der ULO-Lagerung nicht gerade angenehm. Aber welcher unnatürliche Tod war schon angenehm. Es galt vorerst zu klären, wer der Tote in den Äpfeln war und woran er gestorben war. Linthdorf telefonierte kurz mit Potsdam.

      »Okay, und nun gehen wir hier alle erst mal raus. Die Kollegen von der Technik kommen gleich und kümmern sich.«

      Dann wandte er sich an Malzbrandt. »Gibt es hier irgendwo einen warmen Platz? So etwas wie ein Büro oder einen Verkaufsraum?«

      Die Sekretärin, sichtlich erleichtert aus dem kühlen Apfellager herauszukommen, nickte eifrig. »Wir haben hier ein kleines Büro. Das ist auch beheizt und man kann sich setzen.«

      Linthdorf, Malzbrandt und die beiden Streifenpolizisten folgten der resoluten Dame. Am anderen Ende der riesigen Lagerhalle wartete ein kleines, einstöckiges Häuschen. Es war einer dieser typischen Fertigteilbauten, die man auch auf den Baustellen sah. Schmucklos, funktional, praktisch.

      Im Innern war es jedoch erstaunlich gemütlich und geräumig. Umständlich hatte die Sekretärin mit ihrem klappernden Schlüsselbund die Tür geöffnet. Ihre klammen Finger machten das Aufschließen zu einer zeitraubenden Übung.

      Es roch etwas muffig im Innern, war aber angenehm warm. Ein kleines Plastikweihnachtsbäumchen auf dem Schreibtisch wies auf das beginnende Fest hin. An der Wand prangte ein Kalender, der viele handschriftliche Einträge aufwies.

      »Ich mach uns erstma nen Kaffe. Oda? Herr Malzbrandt? Ooch noch Plätzchen?«

      Damit begann sie wie aufgezogen in dem Büro herum zu flitzen und Tassen, Teller, Zuckerdose, Löffel und Sahnenäpfchen zu verteilen. Die Männer hatten sich auf den Stühlen niedergelassen.

      Es herrschte eine angespannte Stille. Jeder erwartete, dass einer der Anwesenden zu sprechen anfing. Nur Linthdorf blickte entspannt in die Runde. Er hatte sich eines der Zimtsternchen von dem Plätzchenteller genommen und verspeiste es mit ziemlichem Appetit.

      Die Streifenpolizisten waren von dem Anblick des aus der Apfelmiete ragenden Arms mit den im Todeskampf erstarrten Fingern paralysiert. Malzbrandt zupfte nervös an seiner wattierten Jacke herum.

      »Na, Herr Kommissar? Sie müssen uns doch befragen, oda? Das ist doch imma so bei

Скачать книгу