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Job im Stiftungsrat von Gut Lankenhorst sah Clara-Louise nicht als wirkliche Arbeit an. Sie war glücklich, dadurch ab und an den Rest der Familie einmal zu sehen. Die jüngere Tochter des Barons, die allerdings nicht allzu viel Wert auf adlige Titel legte, lebte mit Ihrer Familie in Köpenick, im Südosten Berlins.

      Ihre drei Jahre ältere Schwester Irmi lebte mit ihrer Familie am anderen Ende der Millionenstadt in Frohnau, einem noblen Vorort im Nordwesten. Nicht, dass sie das Bedürfnis hatte, ihre Schwester öfters zu sehen, Irmi war immer eine etwas oberflächliche Person und mit ihrem Schwager Wolfgang, einem Immobilienmakler, wurde sie auch nicht so richtig warm, aber es war ja nun mal ihre Verwandtschaft.

      Pflichtbesuche zu den Kindergeburtstagen und zu den großen Feiertagen gehörten dazu, aber ansonsten war man lieber doch etwas auf Distanz.

      Jetzt war Clara-Louise jedenfalls auf Gut Lankenhorst eingetroffen. Alles war noch still. So früh am Morgen schliefen natürlich alle Bewohner des Gutshauses. Sie überlegte, ob es sich noch lohnen würde, ein kleines Schläfchen zu machen. Clara-Louise kannte ihr Zimmer und wusste auch, dass ihr Vater dafür gesorgt hatte, dass dort alles tipptopp in Ordnung war.

      Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihr noch einmal, dass sie noch genug Zeit hatte. Leise und vorsichtig stieg sie die große Treppe hinauf und öffnete die Tür zu dem kleinen Zimmer ganz hinten am Ende des Ganges.

      Das Zimmer war geheizt, ein paar Blumen waren auf dem Tisch als Willkommensgruß und auch eine Schachtel mit belgischen Sahnetrüffeln stand bereit. Clara-Louise musste lächeln. An alles hatte Papa gedacht. Sie sank aufs Bett und schlief auch in den nächsten Minuten ein.

      Es sollte der letzte sanfte Schlaf für längere Zeit sein. Die Ereignisse der nächsten Tage sollten sich tief in ihr Bewusstsein graben.

      Die Stifter

       Etwas über Stiftungen

      

       Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahre 2005 hat Erstaunliches über moderne Stifter herausgefunden. Früher waren Stifter bereits tot, wenn ihr Stiftungswerk anfing aktiv zu werden. Heutzutage sind ungefähr achtzig Prozent schon zu Lebzeiten als Stifter tätig. Dies hängt vor allem mit dem veränderten Charakter der Stiftungen zusammen. Viele Stiftungen dienen heute als Rahmen für ein gemeinnütziges Tätigkeitsfeld, in dem sich neben den Stiftern selbst auch viele andere Menschen aktiv mit einbringen können. Sinn und Zweck dieser Stiftungen sind nicht die Gewinne.

       Viele der Stifter sind inzwischen auch keine alten Leute mehr, sondern stehen im Vollbesitz ihrer physischen und geistigen Kräfte. Und was ganz wichtig ist: man muss als Stifter nicht mehr vermögend sein! Nur knapp zwanzig Prozent der heutigen Stifter verfügen noch über ein Vermögen über 250.000 Euro. Die meisten kommen mit deutlich weniger als 100.000 Euro aus. Moderne Stifter sind gebildet, viele sind religiös oder stark sozial engagiert.

       Trotzdem glauben viele, dass eine Stiftung etwas sehr Ungewöhnliches sei. Argwöhnisch wird vermutet, dass es sich bei einer Stiftung um ein Sammelbecken von Steuerflüchtlingen, Erbschleichern und Geizkragen handle. Nicht wenige Menschen gehen darüber hinaus davon aus, dass Stiftungen Geldwaschanlagen sein könnten. Für misstrauische Mitbürger sind die Stiftungen daher äußerst suspekt und werden nur zum Zwecke des privaten Vergnügens der Stifter betrieben. Dieser Argwohn gegenüber Stiftungen hat sich quer durch alle Bevölkerungsschichten bis in die Gegenwart erhalten.

      I

      Verkehrsfunk von Antenne-Brandenburg

      Montag, 23. Oktober 2006

      ... und hier eine neue Meldung von unserem Mann über den Wolken, Verkehrsflieger Bodo Glock:

      »Also, ich kreise hier gerade über einem Stau auf der Fernverkehrsstraße B 2, kurz hinter Biesenthal. Hier scheint sich ein größerer Unfall ereignet zu haben. Die Straße ist vollständig gesperrt. Bitte umfahren Sie Biesenthal großräumig und nutzen Sie die B 109, um weiter Richtung Norden zu kommen. Für die Pendler nach Berlin empfehle ich die Umfahrung über Wandlitz.«

      Ja, liebe Hörer, Sie haben es gehört, was da unser Verkehrsflieger Bodo Glock gerade durch den Äther geschickt hat. Also bitte Vorsicht auf den Straßen Brandenburgs. Denken Sie daran, aufkommender Nebel und nasse Fahrbahnen sind ein Grund mehr, etwas vorsichtiger zu fahren.

      II

      Lutger von Quappendorff

      Etwas genervt von der Störung durch den Verkehrsfunk drehte Lutger von Quappendorff an seinem Autoradio. Er war sowieso schon schlecht gelaunt an diesem trüben Herbstmorgen. Sein Terminplan war zum Bersten gefüllt mit wichtigen Meetings und Besprechungen.

      Dieser Tag draußen auf dem alten Gut passte ihm überhaupt nicht, aber er war schon lange geplant. Nach jedem der vierteljährlichen Treffen vereinbarten die fünf Stifter den nächsten Termin. Alle nahmen dabei Rücksicht auf seine Terminplanung, denn die vier übrigen Stifter wussten über seine knappen Wochenplanungen Bescheid.

      Dass er an diesem Klamauk teilnahm, war sowieso nur dem guten Zureden seines Onkels zu verdanken. Eigentlich hatte er für solche Projekte gar nichts übrig. Seine Welt war einfach ein paar Nummern größer. Immerhin war er Investment Operator bei einer renommierten, international tätigen Holding und leitete seit kurzem deren Expansionsabteilung »Middle Europe«. Also auf gut deutsch war er für die neuen Geschäftsfelder in Ostdeutschland, Polen und dem Baltikum zuständig. Die Anzahl der Projekte war zwar noch gut überschaubar, aber immerhin ... Er nahm teil an allen wichtigen Vorstandssitzungen, er durfte wichtige Interna einsehen und ihm war gestattet mit einer großen, edlen Limousine als Dienstwagen durch das Land zu kurven.

      Lutger trug Designeranzug, band sich jeden Morgen äußerst sorgfältig eine dezent gemusterte Krawatte, benutzte nur die teuersten Duftwässerchen und leistete sich eine Frisur, die mindestens einmal pro Woche nachgebessert werden musste, um perfekt auszusehen. Zweimal wöchentlich besuchte er ein Fitness-Studio, dreimal joggte er durch den Tegeler Forst. Ihm war seine äußere Erscheinung stets sehr wichtig. Mühsam hatte er sich einen federnden Gang angewöhnt, den er einmal bei amerikanischen Schauspielern in einer Serie über Banker und Manager gesehen hatte.

      Überhaupt hatte er sein Ideal in den Kreisen des US-amerikanischen Großkapitals gefunden. Hier spürte er die Macht über Geldströme und damit über das Schicksal ganzer Wirtschaftsbranchen, hier konnte er den süßlichen Geruch des Luxus förmlich spüren und hier wurde in einer Sprache gesprochen, die ihm suggerierte, wer hier wirklich Ahnung von den geheimen Strukturen der Welt hatte.

      Sein etwas widerborstiges Haar bändigte er mit Unmengen Gel und gab sich so einen smarten, stromlinienförmigen Look. Stets gehörte auch ein Päckchen Chewing Gums, früher auch als Kaugummis bezeichnet, zu seiner Ausrüstung. Lutger wollte immer einen superfrischen Eindruck hinterlassen.

      Jetzt war es wieder mal soweit. Die vielen Autos, die ihm den Weg verstopften, nervten. Er spürte förmlich, wie der Ärger in ihm aufstieg und sich als leicht säuerlicher Geschmack auf seiner Zunge manifestierte. Nervös fingerte er in seinen Taschen nach den länglichen Streifchen herum, wovon er sich gleich zwei in den Mund schob. Eine Welle frischen Pfefferminzgeschmacks machte sich in ihm breit und Lutger atmete dreimal heftig durch. Er hatte sich extra aus den USA eine Sorte Chewing Gum per Internet bestellt, die mit ihrer Superfrische und totalen Minzigkeit warb. Nun, die Herstellerfirma hatte nicht übertrieben. Tränen schossen ihm in die Augen und er hatte das Gefühl eine Sauerstoffvergiftung zu bekommen. Nach knapp zwanzig Sekunden konnte er wieder normal atmen und den Verkehr beobachten.

      Er stand mit seinem dunklen Audi A 6 in einer Reihe mit Fernlastzügen, Baufahrzeugen, Kastentransportern und Kombis. Die Nobelkarosse stach aus der Blechschlange heraus wie ein außerirdisches Raumschiff. Lutger

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