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      Schmerzen. Schmerzen. Schmerzen. Sie strahlten bis in den Oberschenkel aus. so dass Anja Bömer kaum noch gehen konnte.

      „Du musst zum Arzt”, sagte Roland Bömer, der nicht mehr mit ansehen konnte, wie sie sich quälte.

      „Du weißt, was ich von Ärzten halte”, gab Anja geringschätzig zurück. „Das sind doch alles bloß Quacksalber und Kurpfuscher. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Doktor gebraucht”, fügte sie stolz hinzu. „Ich bin auch ohne ärztliche Hilfe fünfundvierzig Jahre alt geworden.”

      „Dieses Ischiasleiden muss behandelt werden. Anja”, sagte Roland Bömer eindringlich.

      Er saß im Wohnzimmer auf der Couch, die Tageszeitung auf den Knien, eine Flasche Bier in Reichweite. „Seit Monaten schleppst du dich nur noch ächzend und stöhnend herum und wartest darauf, dass es von selber wieder gut wird. Aber es wird nicht. Warum willst du dir nicht endliche helfen lassen? Ich kann dein schmerzverzerrtes Gesicht nicht mehr sehen. Ich leide mit dir. Du musst endlich etwas dagegen unternehmen. Ich geb' dir einfach keine Ruhe mehr, Anja. Morgen gehe ich mit dir zu Doktor Bretthammer. Ich seh’ mir das nicht länger an.”

      Dr. Karl Bretthammer war seit Jahren Roland Bömers Hausarzt. Aber nur seiner, denn Anja Bömer stand auf dem Standpunkt, dass der Mensch sehr gut ohne ärztliche Hilfe leben konnte. Besser sogar.

      Aber heute war der Ischiasschmerz wohl besonders quälend, denn heute gelang es Roland Bömer zum ersten mal, seiner Frau die Einwilligung zu einem Arztbesuch abzubringen.

      Er nahm sich den nächsten Vormittag frei, damit Anja keinen Rückzieher machen konnte, und fuhr mit ihr zu Dr. Bretthammer.

      Das Einsteigen in den Wagen war für die Kranke eine wahre Tortur, und beim Aussteigen machte sie auch einiges mit. Sie ging krumm. Ihr Rücken war verspannt, der Körper verzogen. Roland Bömer wagte seine Frau kaum anzufassen. Jedes mal, wenn sie aufstöhnte, glaubte er, er habe ihr weh getan.

      Er bot ihr seinen Arm. ,,Komm, häng dich bei mir ein, Oder möchtest du dich auf mich stützen?”

      Sie hängte sich ein. Für eine Strecke von hundert Metern — vor dem Haus des Arztes war alles verparkt — brauchte Anja Bömer eine halbe Ewigkeit.

      Und dann musste sie auch noch eine Treppe hochsteigen. Roland Bömer führte seine Frau zuerst ins Wartezimmer und meldete sie dann bei der Sprechstundenhilfe an. Sie mussten eine halbe Stunde warten. Dann wurde Anja über einen schnarrenden Lautsprecher aufgerufen.

      „Ich geh’ mit dir rein”, sagte Roland Bömer.

      Aber das wollte sie nicht. Sie schleppte sich allein ins Behandlungszimmer und kam kurz danach mit einem Rezept wieder heraus.

      „Und? Was hat Dr. Bretthammer gesagt?”, wollte Roland Bömer gespannt wissen.

      „Er hat sich natürlich gefreut, dass ich endlich auch mal zu ihm komme.” Anja seufzte.

      „Er ist doch ein netter Mensch, oder? Und ein guter Arzt ist er ebenfalls. Also, ich kenne jedenfalls niemanden, der schon mal etwas Nachteiliges über ihn gesagt hat.”

      „Er hat mir eine Salbe und Tabletten verschrieben.”

      „Wir holen die Sachen gleich aus der Apotheke”, entschied Roland Bömer.

      „Ich soll Rücken und Lendenbereich stets gut warm halten.”

      „Ich werde dir die Salbe kräftig einmassieren, das wird die Durchblutung anregen.”

      Er führte seine Frau zum Wagen zurück, fuhr zur nächsten Apotheke und holte, was Dr. Bretthammer seiner Frau verschrieben hatte. Zu Hause gab’s dann wieder einen Kampf, weil Anja Bömer grundsätzlich gegen das Einnehmen von Tabletten war. Aber Roland Bömer setzte seinen Willen so energisch wie noch nie durch, und Anja schluckte mit viel Wasser, was ihr Mann ihr gab.

      Sie musste sich bäuchlings ins Bett legen. Er trug die Salbe dick auf und begann sie intensiv einzumassieren. Dann legte er ein vorgewärmtes Tuch auf Anjas Kreuz und half ihr, ein Flanellnachthemd anzuziehen.

      „Von nun an geht's wieder aufwärts”, sagte er und streichelte zärtlich ihre Wange. „Bald kannst du wieder Rock’n Roll tanzen.”

      Sie lächelte. Wenn sie sich bewegte hatte sie keine Schmerzen. „Bist ein guter Ehemann, Roland.”

      Er nickte heftig. „Der beste. Ich liebe dich, Anja, und ich bin irrsinnig gern mit dir verheiratet. Ich kann mir ein Leben ohne dich gar nicht mehr vorstellen. Man gewöhnt sich im Laufe der Zeit so sehr aneinander, dass man sich allein irgendwo halbiert fühlt. Nicht komplett.” Er beugte sich über sie „Wird schon wieder, Schatz. Hab' nur noch ein bisschen Geduld. Rheuma ist die Volksgeißel Nummer eins. Aber man kann zum Glück etwas dagegen tun. Versuch etwas zu schlafen. Oder möchtest du fernsehen? Soll ich dir den Portable-Apparat auf die Waschkommode stellen?”

      Sie wollte nicht fernsehen.

      Er ließ sie allein und ging in die Küche, um eines von den ungefähr zehn Gerichten zuzubereiten, die er kochen konnte. Er war froh, Anja endlich einmal zum Arzt gebracht zu haben. Vielleicht war der Bann jetzt gebrochen. In jungen Jahren konnte man unter Umständen ohne gelegentliche ärztliche Betreuung auskommen, aber wenn man die Vierzig überschritten hatte und sich die ersten Wehwehchen einstellten, war es vernünftig, umzudenken.

      7

      Dr. Sören Härtling ging mit Moni Wolfram, seiner Sekretärin, die Post durch. Moni hatte zuvor schon die Spreu vom Weizen getrennt, so dass sich der Klinikchef nur noch mit den wirklich wichtigen Dingen zu befassen brauchte

      Moni war eine echte Entlastung für ihn. Da sie den Klinik-Betrieb bestens kannte und sehr selbstständig zu arbeiten verstand, konnte er ihr weitgehend freie Hand lassen.

       Die aparte junge Frau, die mit einem Assistenzarzt der Paracelsus- Klinik verheiratet war, schreckte vor keiner Verantwortung zurück und war so zuverlässig, dass Dr. Härtling ihr blind vertraute.

      Er diktierte drei Antwortbriefe und sagte: „Die sollten so bald wie möglich rausgehen.”

      „Ich schreib sie sofort”, erwiderte Moni. „In fünfzehn Minuten kann ich sie Ihnen zur Unterschrift vorlegen.”

      „Wunderbar.” Sören ließ sich von seiner Sekretärin zuvor noch schnell mit der Rechtsanwaltskanzlei von Dr. Axel Lassow verbinden. „Hallo, Schwager”, rief er in die Sprechmuschel, als er den Ehemann seiner Schwester Trixi an der Strippe hatte. „Hier ist Sören.”

      „Sören! Wie geht's?”

      „Mir geht es ausgezeichnet. Alles in Ordnung bei euch?”

      „Alles bestens.”

      „Auch mit den Kindern?”

      „Auch mit den Kindern. Was kann ich für dich tun?”

      „Da unser Clan — wie allgemein bekannt ist —großen Familiensinn besitzt, findet Jana, dass wir das wieder einmal beweisen sollten”, erklärte Sören Härtling.

      „Habt ihr vor, mal wieder ein nettes Familienfest in eurem Haus zu veranstalten?”, fragte Axel Lassow.

      „So ist es, und wir würden uns freuen, wenn auch ihr mit den Kindern kommen würdet.”

      „Wann?”

      „Samstag in einer Woche”, antwortete Sören.

      „Ist schon notiert.”

      ,,Jana wird sich über eure Zusage freuen.”

      Kurz nachdem ihr Chef das Gespräch beendet hatte, brachte Moni Wolfram die Briefe. Er überflog sie, obwohl es eigentlich nicht nötig gewesen wäre, denn Moni machte keine Fehler, setzte seine Unterschrift schwungvoll unter die Zeilen — und dann war es Zeit für die Vormittagssprechstunde.

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