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das Bett fallen. Von unten hörte er wieder Stimmen. »Wenn er es herausfindet ... wir müssen Luìs warnen ...« Er war sich jedoch nicht sicher, ob er alles nur in seinem Delirium fantasierte. Mitten in der Nacht schreckte er auf. Etwas berührte ihn im Gesicht. Er fuchtelte panisch herum, bis er schließlich merkte, dass es sein umgeklappter Hemdkragen war. Baptista mühte sich auf. Seine Kleider waren durchnässt. Er zog sich einen Schlafanzug an. Dann nahm er wieder zwei Aspirin und öffnete das Fenster. Eine sternenklare Nacht. In Berlin mochte er den Mond, auch wenn man ihn nicht so oft sah. Hier erschien er ihm unheimlich. Einige Fledermäuse gingen auf Jagd. Baptista schloss das Fenster und schlief unruhig wieder ein.

      Donnerstagmorgen, 13. Juni

      Am Morgen wachte er mit bestialischen Kopfschmerzen auf. Die Sonne schien auf seinen Kopf. Bereits eine kleine Drehung nach links verursachte einen Schmerz, als würde ein glühend heißes Eisen in seine Augen gebohrt. Wie spät war es? Er blinzelte auf seine Armbanduhr. Kurz nach neun. Er wollte früh aufstehen, um sich eine Strategie für den Tag zurechtzulegen. Wollte nicht Delgado um zehn kommen? Schon das Denken führte zu einem leichten Wummern in seinem Schädel. Er griff zu den Aspirin. Zwei Stück waren noch in der Schachtel. Baptista entschied daher, nur eine zu nehmen und die andere für den frühen Abend zu bewahren. Morgen sollte der Arzt kommen. Er zerbiss die Tablette und wartete, bis die Wirkung eintrat.

      Dann stand er auf und machte sich fertig. Qualvoll. Als er angezogen die Türe öffnete, war er bereits wieder schweißgebadet. »Bom dia«, begrüßte ihn die Dame des Hauses überschwänglich. »Einen Galão?« »Obrigado«, murmelte Baptista. »Ein herrlicher Tag, nicht wahr?« Baptista überhörte den Satz einfach. Als Kaffee und Milch seinen Hals hinunter rannen, begann er sich etwas besser zu fühlen. Senhora Lancha ließ sich nicht entmutigen: »Eine Cousine von mir lebte in Furnas auf São Miguel. Dort bin ich rettungslos den Bolos Levados verfallen, die sie in den nächsten Tagen hier zum Frühstück bekommen. Guten Appetit!« Baptista wollte noch immer nicht sprechen. Er biss in einen kleinen Bolo und spürte trotz seines schon wunden Halses ein angenehmes Gefühl. Dann kam auch schon Delgado. Nun krächzte Baptista auch sein »Bom dia.« »Wo fangen wir an?«, fragte Delgado. »Mit dem Ort des Geschehens. Wir sollten uns die Fundstelle ansehen. Danach möchte ich gerne mit der Familie von Francisco Amaral sprechen.« Sie stiegen in den Wagen und fuhren höchstens zwei Minuten zum Hafen. Auf der Hafenmauer saßen bereits die älteren Dorfherren und beäugten interessiert, wie die beiden ausstiegen.

      »Wir haben insgesamt drei Häfen auf Corvo. Da gibt es einmal den alten Hafen Porto Novo. Er wird jedoch nicht mehr als Hafen benutzt. Eigentlich schwimmen wir und die Touristen nur noch darin. Hier stehen wir am Casa. Er ist am wenigsten geschützt. Aber die Mole entspricht modernen Anforderungen und da drüben gibt es sogar einen kleinen Kran.« Delgado wies nach rechts. »Naja, und dann gibt es noch den Fischerhafen de Boqueirao. Aber außer für kleine Boote ist er nicht zu gebrauchen.« Delgado grüßte einen Bekannten in einer Bar nebenbei. »Ein Cousin von mir. Kommen Sie. Hier an der äußeren Mole hat man Francisco gefunden.« Delgado parkte das Auto gegenüber der Gruppe alter Männer. Als sie ausstiegen, waren sie gezwungen an den Herrschaften vorbei zu gehen. Während Delgado allen freundlich zunickte, kam sich Baptista wie unter einem Mikroskop vor. Nicht dass er solche Situationen nicht kennen würde. Im Gegenteil, sie waren typisch für seinen Beruf. Aber er hatte auch nach über zwanzig Jahren keine Routine entwickelt. Jeder Tote stürzte Baptista in tiefe Trauer und die Beobachtung von Fremden verursachte Unbehagen. Damit lebte er und seine Gesundheit musste es ausbaden.

      Delgado führte ihn zu einer niedrigen Hafenmauer. Kleinere Fischerboote hatten dort festgemacht. Obwohl die Boote verwittert wirkten, machte das Hafenbecken einen romantischen Eindruck auf Baptista. Vielleicht war es auch einfach die Vorstellung, auf einer winzigen Insel mitten im Atlantik zu sein. Dennoch brannte die Sonne dermaßen intensiv auf seinen mit Schmerzen angefüllten Kopf, dass ihm selbst keine Sekunde romantisch zu Mute war. »Stellen wir uns einige Fragen«, begann Baptista die beruflichen Überlegungen. »Kann der Mord hier geschehen sein? Und wenn nicht, wie gelangte die Leiche hierher?« »Als Todeszeitpunkt wurde Mitternacht angegeben. Um die Zeit ist hier niemand auf der Straße. Allerdings liegen um den Hafen herum einige Häuser. Dort hätte man sicher die Schreie gehört.« Baptista ließ seinen Blick schweifen.

      Am Hafen waren die Fassaden besser gepflegt als etwa in Delgados Straße. Die Wände leuchteten weiß, Türen und Fenster waren in strahlendes Blau gefasst. Es gab drei kleinere Bars, die die Fischer und andere mit dem Wichtigsten versorgten. Wie kann man in so einer Umgebung einen Mord begehen, fragte sich Baptista. Möglicherweise gab es ein wirklich perfides und sadistisches Gehirn, das den Mord detailliert geplant hatte. Dann hätte er das Opfer betäubt und mit einem Wagen hier her gebracht, um es vor allen Augen in den Hafen zu werfen. Baptista erschien das völlig unglaubwürdig. Das sind Methoden der organisierten Kriminalität, die auf Corvo wohl nicht zu finden ist. Und überhaupt: Warum sollte man sich auf einer fast unbewohnten Insel ausgerechnet den Hafen für ein Verbrechen aussuchen? »Kann es sein, dass die Leiche hier angeschwemmt wurde?«, fragte Baptista. »Möglich ist das auf jeden Fall. Sehen Sie dort.« Delgado wies auf einen dunklen Fleck, der mit einem Netz an der Hafenmauer befestigt war. »Das ist ein toter Hai. Er wurde erst gestern vom offenen Meer hereingeschwemmt. Allerdings müssen dafür die Strömungen günstig stehen. Der Golfstrom erzeugt einen ungeheuren Sog, der alles von den Inseln wegspült.« Baptista sah auf den toten Fisch und überlegte, ob Fische auch Schmerzen spüren konnten.

      »Im Obduktionsbericht stand, dass er einige Stunden im Wasser lag. Tagsüber wäre es wohl ausgeschlossen, dass er diese lange Zeit unbemerkt blieb. Über Nacht ist das natürlich denkbar. Trotzdem: Ihn mitten im Hafen abzuwerfen erzeugt unnötige Aufmerksamkeit.« Bei diesen Überlegungen beließen es die beiden. »Kommen Sie. Ich bringe Sie nun zu seiner Frau.« Delgado lief in Richtung Wagen. Wieder wurden sie von den rund zehn älteren Männern argwöhnisch betrachtet. »Sag schon, Teo. Es war doch Pão. Das Schwein!« Baptista sah etwas erschrocken auf. Der Mann, der ihnen die Worte zurief, hatte ein verwittertes Gesicht. Tiefe Furchen zogen sich vom Mund nach unten. »Wer ist das?«, raunte er Delgado zu. »Ach, der alte Bastelio. Die Sonne hat sein Gehirn ausgetrocknet, als er einmal zu lange auf dem Meer blieb. Nehmen Sie ihn bloß nicht ernst.« »Und dieser Pão. Warum verdächtigt er ihn?« »Pão ist ein Einzelgänger. Er ist der Bruder von Francisco und tickt nicht mehr ganz richtig. Er wohnt am Rand des Kraters. Bei Vollmond zündet er ein Feuer an und tanzt laut schreiend herum. Die Leute glauben, er sei an allem Schuld.« Dann wandte sich Delgado an Bastelio. »Sag deinen Schafen einen Gruß. Und mach ihnen keine Angst mit deinen Geschichten.« In Bastelios Gesicht machte sich beinahe ein Lächeln breit. Die anderen gaben ein leises Gekicher von sich. Delgado und Baptista verließen mit dem Auto Vila Nova und fuhren ein Stück auf einem Feldweg, bis sie ein Haus erblickten.

      Maria Grazia arbeitete im Garten. Sie hatte die einfache Kleidung der Bauersfrauen an und zupfte zwischen den Beeten das Unkraut. Unwillig hob die fünfzigjährige rüstige Frau den Kopf, als sie das Auto wahrnahm. Delgado reichte ihr die Hand. »Maria, gut, dass du da bist. Das hier ist Senhor Baptista. Er untersucht den Fall.« Mit großer Skepsis betrachtete Senhora Maria Grazia den Herrn aus Europa. »Wie soll ein Fremder denn helfen können?«, meinte sie wenig erfreut. Das fragte sich Baptista auch. Dennoch sagte er mit überzeugender Stimme: »Nun ja, ich werde mein Bestes tun. Und Senhor Delgado unterstützt mich ja auch tatkräftig. Hätten Sie ein paar Minuten Zeit für einige Fragen?« »Zeit, Senhor Baptista, davon haben wir auf Corvo im Übermaß. Man kann daran ersticken.« Baptista war überrascht über die unverhohlene Feindseligkeit, die Senhora Grazia gegen ihn zu hegen schien. Aber er hatte bei den Angehörigen von Mordopfern in seiner Laufbahn schon oftmals sehr überraschendes Verhalten erlebt. Vor Jahren wurde auf einer Hochzeit der Bräutigam in der Kirche von seinem besten Freund erschossen. Als Baptista die junge Witwe besuchte, gab sie ihm eine heftige Ohrfeige und begann zu weinen. Die ersten Reaktionen können eine gute Hilfe bei den Ermittlungen darstellen. Man musste sie allerdings richtig zu deuten wissen.

      Sie gingen in das Haus. Von außen schien es beinahe zusammenzufallen. Im Wohnzimmer knarrten die nicht gut befestigten Fensterläden im Wind. Sie setzten sich an den Esstisch. Baptista hustete und hatte zum wiederholten Male das Gefühl, dass sein Brustkorb platzen würde. Maria Grazia machte nicht die geringsten Anstalten, ein

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