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konnte, ohne zu kollabieren. Allein die tropischen Temperaturen im Gewächshaus und die endlosen Ausführungen des Biologie-Professors der Universität, der seinen Vortrag sichtlich genoss und stundenlang über den Werdegang einer Würgefeige referierte. Wagners Bleistift raschelte flink über den Notizblock. Das Diktiergerät hatte er nicht für notwendig erachtet, was sich nun als Fehler herausstellte. Das Leben einer Würgefeige stellte sich doch als einigermaßen interessant dar. Gleichzeitig sprudelte es nur so aus dem kleinen, bebrillten Professor heraus, der bei diesen Temperaturen zu einem lindgrünen Seidenhemd tatsächlich einen Schlips trug, einen exotisch anmutenden mit prallen Farben. Wagner war genötigt, sich zwischen die Kollegen der Konkurrenz zu schieben und nahe an den Professor heranzurücken, weil gleich neben der Würgefeige das Dschungelgebirgsbachimitat in einiger Lautstärke sprudelte.

      Soweit Wagner es nun verstanden hatte, war aller Anfang einer Würgefeige ein Vogel, der die Frucht besagter Feige aß und seinen Kot irgendwann irgendwoanders niederließ, egal ob auf einem beliebigen Tropenbaumblatt oder auf dem Urwaldboden. Daraus entspross nun im Laufe der Zeit eine kleine Feige, die sich am Wirtsbaum gütlich tat, indem sie als Luftwurzel dem Boden entgegenwuchs, dann wieder aus dem Boden herauswuchs und mit der Zeit immer größer, länger und stärker wurde und bald anfing, den Wirtsbaum zu umschlingen, an ihm emporzuwachsen, dem Licht entgegen. Alle im Gewächshaus schwitzten und schrieben in ihre Notizblöcke. Jene mit Diktiergeräten ärgerten sich über die laute Klimaanlage und dieses blöde Gebirgsbachimitat. Der Professor stand mit schlohweißen Haaren direkt unter der Würgefeige, und Wagner stellte sich vor, wie diese Feige sich allmählich von oben an diesen Schlaumeier heranmachen würde. Dann wieder notierte er, dass irgendwann im Laufe der Jahre die Würgefeige, die nun ständig am Wirtsbaum auf und ab wuchs, ein eigenes Gehäuse gebildet hatte, das jenen einschloss und ihm Luft und Licht nahm. Endlich würde nach Jahrzehnten der alte Wirtsbaum in sich zusammenfallen und die Würgefeige sich vollends dessen Energiequellen bedienen. »Meine Damen und Herren, womit wir, wenn wir das alles im Zeitraffer bestaunten, ein wunderbares Zeugnis natürlichen Kommens und Gehens vor Augen hätten, wie man es so rein und unabänderlich und gleichzeitg so brutal nirgendwo wie hier im Urwald erlebte.« Der Professor ließ den linken Arm wie zu einem fallenden Vorhang sinken, und Wagner sah sich endlich nicht mehr gezwungen, ständig auf den wachsenden Schweißfleck zu starren, der sich auf dessen Hemdstoff unter der Achselhöhle gebildet hatte. »So weit, so gut«, der Professor rückte energisch den Schlips am Knoten zurecht. Er kam sichtlich in Form und marschierte über die Gehwegplatten voraus auf eine Gruppe verschiedener Farne zu. »Wenn wir aber nicht auch die Welt der Farne beleuchtet haben, werden wir das ganze System im tropischen Regenwald nicht verstehen.« Wagner hatte genug. Schweißüberströmt suchte er den Ausgang und hatte ihn endlich gefunden, indem er einfach entgegen der Richtung der roten Pfeile lief. Er atmete tief die frische Luft ein, als er draußen vor der gläsernen Tür stand. Erste Schlagzeilen taten sich auf: Langes Sterben in der grünen Hölle. Oder Wenn Pflanzen zu Kannibalen werden.

      Wagner machte an den Rhododendronbüschen kehrt und hielt nun wieder auf den weißen Mercedes zu, der oberhalb der Parkanlagen an einer Steinmauer stand. Es wurde bereits dunkel. Wagner ärgerte sich über seine Chefredakteurin, dieses bullige Wesen, an dem niemand vorbeikam und das die Sätze mit ihren dicken Fingern in die Tastatur hieb, und immer an den Manuskripten anderer herumnörgelte, sie wegbellte. So wie Wagners Reportage zum diesjährigen Schützenfest, die sie ihn x-mal hatte umschreiben lassen, weil ihr der Text nicht bissig genug war. Schließlich gebe es gerade dieses Jahr ja auch Kritisches zu vermerken, erklärte sie, stand breitbeinig im Türrahmen und nestelte mit einer Hand an ihrer neuen Pagenfrisur, die sie noch dominanter aussehen ließ als ohnehin. Was sei denn mit diesen Gerüchten um mangelnde Sicherheit bei der Achterbahn und den Unregelmäßigkeiten bei den Losbuden, die merkwürdig wenig Gewinne auswarfen? Aber gut, wenn Wagner es eben nicht besser könne, werde sie diese letzte Fassung als Grundlage nehmen, aber mehr auch nicht.

      Wagner schnaufte die leichte Steigung hinauf, an der großen Buche vorbei, die den Weg vor ihm verdunkelte. Er war nun allein im Park, im Tal blinzelten erste Straßenlaternenlichter. Noch etwas mehr als eine Runde. Mücken begannen aufzusteigen.

      Was ihn aber eigentlich an dieser Bulldogge von einer Redakteurin aufregte, war, dass sie nicht auf seinen Vorschlag eingegangen war, als er versucht hatte, die Reportage zum Mord in der Schwebebahn an Land zu ziehen. Immerhin sei er ja selber Zeuge gewesen, hatte er sich gebrüstet. Er spüre, dass verdammt viel dahinter stecke, er würde da gern recherchieren, und hatte einen listigen Gesichtsausdruck versucht. »Verdammt viel dahinter?« hatte sie geblafft. »So wie hinter Ihrer Reportage über das Schützenfest, ja?« Wagner hätte beinahe damit geprahlt, dass es ihm immerhin schon gelungen sei, eine Herrentasche und Edelsteine an sich zu bringen, hielt sich aber im letzten Moment noch zurück. Stattdessen hatte die Chefredakteurin ihn hierher in den Botanischen Garten zu diesen lächerlichen Würgefeigen geschickt. »Da, lieber Freund, können Sie sich beweisen. Vielleicht findet sich ja im Dschungeldickicht was Interessantes über die Verstrickungen der Universität mit dem Förderverein, bei dem man sich fragt, wie die es schaffen, immer wieder öffentliche Gelder für den Botanischen Garten loszueisen. Gehen Sie mal hin, und das mit der Schwebebahn, das kann Buchholz machen, der kennt sich mit so was aus.«

      Wagner bog schnaufend zur letzten Runde ein. Der nasse Fleck auf dem T-Shirt war inzwischen größer geworden. Wagner fragte sich, ob es in Thailand auch Würgefeigen gab, das war ja gewissermaßen gleich bei Sumatra um die Ecke. Zumindest was Flora und Fauna anging. Er würde Nok fragen und stellte sich vor, was daraus würde, wenn er die Würgefeige Noks wäre. Es waren die typischen Phantasien eines Erschöpften.

      Wagner war zwanzig Meter vor dem Mercedes, als er sah, wie jemand dem Wagen entstieg. Eigentlich sah er das nur aus den Augenwinkeln, er war mittlerweile zu ausgelaugt, als sich auf etwas anderes konzentrieren zu wollen als auf das Laufen. Er hörte nur ein paar Schritte auf dem Schotter, die auf ihn zukamen. Als er dann doch den Kopf hob, sah er einen breitschultrigen Mann direkt auf sich zukommen. Schütteres Haar und das rote Gesicht eines Menschen mit zu hohem Blutdruck. Graue Brusthaare quollen aus dem offenen Hemd hervor. Der Mann stank schon aus der Entferung von fünf Metern nach billigem Parfüm. Er stelzte merkwürdig steif mit herunterhängenden Armen auf Wagner zu, der langsam begriff, dass der Mann etwas von ihm wollte. Er überragte Wagner um einen Kopf und schaute hasserfüllt auf ihn herab.

      Wagner versuchte, den Mann zu ignorieren und ihm mit einem Ausfallschritt auszuweichen. Doch einer der behaarten Arme zog ihn einfach am T-Shirt zu sich heran. Wagner roch Schnaps. Der Mann holte aus und schlug ihm mit der rechten Faust ins Gesicht. »Pass auf, du Armleuchter!« Wieder schlug er zu, die Lippe platzte auf. Wagner schmeckte sogleich das Blut, das ihm übers Kinn lief. »Hör genau zu! Wenn du deine Drecksfinger nicht von meiner Frau lässt, mache ich dir die Hölle heiß. Dagegen ist das hier nur‘n Vorspiel.« Der Mann nahm Wagner jetzt in den Schwitzkasten und schleuderte ihn wütend herum. »Hast du mich verstanden, du Sau? Keine Besuche mehr, nicht einen!«

      »Ja, aber wo denn?« Wagner bekam kaum Luft. Er hätte sich am liebsten fallen lassen.

      »Komm mir nicht so blöd. Meinst du, ich kenn Leute wie dich nicht? Geiles Pack! Euch läuft doch schon der Seiber im Mund zusammen, wenn ihr nur ne Thailänderin seht. Also, letzte Warnung!« Der Kerl hielt Wagner weiter in der Mangel, holte zu einem Uppercut aus und traf ihn genau auf das linke Auge. Dann ließ er ihn fallen. Wagner hörte, wie sich der Mann auf dem Schotter entfernte, er hörte die Tür des Mercedes zufallen und den Motor anspringen. Dann setzte der Wagen zurück, spendierte Wagner eine Portion Auspuffgas und rollte davon.

      7.

      Wagners Bauch drückte gegen den Rand des Waschbeckens. Vor dem Spiegel darüber betastete Wagner die dicke Lippe. Die rechte Mundhälfte war ziemlich stark geschwollen. Er fasste vorsichtig die Schneidezähne dahinter und prüfte, ob sie wackelten. Zum Glück nicht. Das linke Auge machte ihm Sorgen. Er nahm den Waschlappen vom Wandhaken, befeuchtete ihn mit kaltem Wasser und betupfte die Schwellung. Probehalber schloss er das andere Auge und stellte fest, dass er mit dem verletzten Auge momentan nicht viel erkennen konnte. Verschwommen nahm er im Spiegel sein lädiertes Gesicht wahr. Erneut drückte er den Waschlappen auf das Auge, ungeduldig und etwas fester, als würde das etwas nutzen. Da klingelte es an der Wohnungstür.

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