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gestern oder vorgestern außer den Kopfschmerzen auch Angstschweiß, schießt mir wie ’n Springbrunnen aus den Poren, und ich krieg das Zeug nicht gebändigt. Auf ’n Tod nicht.« Aber ist auch kein Wunder: Du siehst dich gezwungen, dich mal eben selbst unter Mordverdacht zu stellen – ist ja nun nicht ganz ohne! Und dann als Kripomensch! Da soll einem nicht der Schweiß in Strömen … Da soll man nicht meschugge … Klar, dass einem da die Gedanken vorkommen wie aufgespießt und festgenagelt von Eiszapfen, nein, warte mal, man wünscht sich gradezu, die Gedanken wären festgefroren, ein fetter Gletscher drübergezogen, und wer weiß, nach Jahrtausenden kämen sie wieder zum Vorschein. In ’ner halben Ewigkeit. Wenn’s dich längst nicht mehr gibt. Gerne gerne, jedenfalls hättest du sie dann jetzt erst mal aus den Füßen. Und trotzdem würden sie festgehalten, vom Eis.

      Vorher allerdings nimmt die Wernigge dich noch ’n bisschen in die Mangel: »Und Magenkrämpfe und Essstörungen.«

      »Woher wissen ... Sie?«, fragst du entgeistert.

      »Psychotante eben. – Hatten Sie in letzter Zeit den Eindruck, Sie würden immer mehr von Tagträumen entführt?«

      »Tags oder nachts, völlig egal. Jedenfalls oft, verdammt oft Träume, die ich hasse wie die Pest. Wie meine Tochter auf Island ... Island, so lang ich denken kann meine Traumwelt, und ausgerechnet da ... aber, aber nicht nur Island; vor allen Dingen sind’s Träume, die weit zurück in die Vergangenheit ... ich bin ein Knirps noch, und was ich da erlebe, das tut mir verflucht nicht gut.«

      »Wie gesagt, da kommen wir noch zu«, bremst die Seelenwringwernigge dich aus, »erst mal: Gibt es weitere Dinge im Alltag, die Ihnen irgendwie spanisch vorkommen?«

      »Na ja, nee, eigentlich – obwohl – diese Zettel.«

      »Ja?«

      »Okay«, du staunst nicht schlecht, dass du das alles hier so ausplauderst, »im Büro, da ist man das ja gewohnt, da fliegen immer auch mal fremde Zettel von wer weiß wem auf’m Schreibtisch rum, aber zu Hause?!«

      Das ist doch nun wahrhaftig ein, wie sagt man: unglaublicher Vorgang! Auf dem eignen Schreibtisch zu Haus: Notizzettel mit ’ner Handschrift, die du überhaupt, die du überhaupt nicht ... Mitten im Stapel von Papieren, die nun wirklich deine Privatklamotten sind! Wo keiner außer dir selbst drin rumfingert! Zettel, die du nie vorher gesehn hast, auf die du dir beim besten Willen keinen Reim ... in einer Schrift, die du überhaupt nicht kennst. Überhaupt nicht.

      »So, und jetzt sagen Sie mir«, sagst du, nachdem sie also auch das aus dir rausgequetscht hat, »sagen Sie mir, was ich hab, verflucht noch mal!«

      »Dissoziative Identitätsstörung!«

      »Wie bitte was?«

      - . -

       11

      Erst der Black-out. Und dann der Sturz! Das ist die Reihenfolge, die total verrückte Reihenfolge. Nicht andersrum. Kann nur so gewesen sein.

      Absturz, Katastrophe, und da muss dein Schädel sofort den schwarzen Vorhang zugezogen haben. Und zwar rückwirkend. Hat auch noch die Sekunden vor dem Absturz zugezogen. Denn du kannst dich beim besten Willen nicht mehr dran erinnern, wie du ins Straucheln gekommen bist, wie du die Eiswand, wenigstens ein Stück von der Eiswand an dir hast vorbeifliegen sehn. Zeitbruch im Kopf, stundenlang. Du musst, keine Ahnung, du musst seit Stunden hier hängen, zwischen Fels und Eis. Obwohl aber – verflucht, komisch das – obwohl der Arm, der dich hält, an dem du hängst, mit deinem ganzen Gewicht, obwohl der Arm schmerzt, als hätte er dich schon eine Ewigkeit halten müssen, ist die Sonne kein noch so winziges Stück weitergekommen. Steht immer noch genau an dem Fleck, wo du sie zuletzt gesehn hast: lugt so grade eben übern Snæfellgipfel und bohrt sich durch dessen Nebel-Halskrause. Und die Wolken, die Wolkenbilder, obwohl die auf Island bekanntlich immer rasend schnell wechseln, sind noch genau so, wie sie sich bei deinem letzten Blick eingebrannt haben in die Schädeldecke. Keinen Millimeter verändert. Kann also nur ein paar Minuten, höchstens ein paar Minuten ... obwohl der Arm ... wenn bloß der Arm nicht ... dass der Arm, die Hand so höllisch ... das schreit alles wie am Spieß.

       Plötzlich ... wie schnell das geht! ... Von jetzt auf gleich, zack, war diese Schwärze über die gleißende Weiße des Neuschnees geworfen.

      Der Rest ist Rekonstruktion: Während du also nicht ohne Stolz beobachtet hast, wie oben deine Tochter sich in die Eiswand krallte, absolut fachmännisch mit dem Pickel den Ansatz für die Eisschraube freihackte – da sahst du, siehst du, dass du überhaupt nichts mehr siehst. Außer eben dieses Schwarz. Du musst im freien Fall die Eiswand runtergeschossen und bei der Gelegenheit irgendwie irgendwo mit dem Kinn aufgeschlagen sein. Die Zähne gegeneinandergeschlagen, dass dein Kopf nicht mehr wusste, wo unten, wo oben, wo er mit dem ganzen Dröhnen hin soll. Und die Unterlippe zerbissen dabei, dass sie runterhängt wie ’n rot triefender Waschlappen.

      Wahrscheinlich ist diese ganze Eisschuppe da aus der Wand gebrochen, als du mit dem Pickel reingehämmert hast, um Halt zu ... Eben nicht! Du hast eben keinen Halt gefunden. Im Gegenteil. Ein ordentliches Stück von der Eiswand muss dir entgegengekommen sein. Noch schneller runter als du. Und ohne irgendwas zu sehn, im Zustand, tatsächlich, im Zustand geistiger Umnachtung und gleichzeitig absoluter Geistesgegenwart, ohne dich jedenfalls dran erinnern zu können, musst du eine von deinen Expressschlingen über den letzten Haken geworfen ... und der hält, was für ’n Wahnsinn, der hält! Und du musst im gleichen Atemzug zugepackt haben. Mit einer, mit dieser einen Hand, die jetzt so verflucht, so verflucht ... Wird wohl, muss wohl. Aber wissen, wissen tust du’s nicht.

       Was ist in Wahrheit geschehn? Was hast du gesehn in dieser winzigen, dieser rasenden Zwischenzeit? Welcher Horror, von dem du nichts mehr weißt, haust unter deinem Schädeldach und dröhnt so durchdringend? Und wo ist das geblieben, was du mitten im Sturz dachtest? Der bittre Geschmack von geschmolzenem Eis auf der Zunge. Wo ist, was du hörtest, rochst, spürtest? In welcher Dunkelkammer? – Zutritt verboten.

      Du bist älter geworden.

      - . -

       12

      »Ja, das ist alles nicht ohne«, murmelt die Mahnemannsche und nimmt zwei Treppenstufen auf einmal. Sie hat eine irgendwie unnachahmliche Art drauf, diese Endlostreppen im Präsidium tapptippentapp hinter sich zu bringen, das musst du neidlos anerkennen. Dieser rasante Rhythmus, mit dem sie die Füße todesmutig abwärtsschiebt und zwei Treppenstufen tiefer schlafwandlerisch sicher wieder aufsetzt, wahrhaftig beeindruckend! Ein Gletscherabstieg ist nichts dagegen. Bleibt dir nur, hinter ihr her zu stolpern, um nicht ganz abgehängt zu werden. Als sie begreift, dass der Abstand so groß geworden ist, dass du sie kaum noch verstehen kannst, stoppt sie und dreht sich fast mitleidig zu dir um. »Im Labor, die haben festgestellt, da waren jede Menge Fingerabdrücke von Ihnen drauf.«

      »Auf meinen Handschellen?«, grinst du überlegen. »Logisch sind da meine Fingerabdrücke drauf.«

      »Etliche waren ziemlich verwischt. Und außerdem hat sich an einigen Stellen Talkumpuder abgesetzt. Von Latexhandschuhen. Was dafür spricht«, salbadert sie weiter, »dass Ihre Handschellen beim letzten Einsatz nicht mit bloßen Händen benutzt worden sind.«

      »Was? Das müsste ich doch wissen!«

      »Das ist ja – ohne Ihnen zu nah treten zu wollen – ist ja nicht das Einzige, das Sie nicht mehr wissen.«

      Ihr seid inzwischen im ersten Stock gelandet und absolviert den langen Marsch durch die Flure. 1-214. Du stößt stumm die Tür auf, huschst rein und willst eben die Tür rücklings hinter dir zuziehn, als du einen Widerstand spürst: einen der schlankranken Mahnefraufüße! »Sheriff, das ist, das hat kein’ Zweck ...«, raunt sie dir in den Nacken.

      Was soll keinen Zweck haben? Der Kollege von der Materialausgabe wirkt auch schon leicht verstört und guckt deine aufgeregte Assistentin mit schiefgestelltem Kopf an.

      »Kollege, ich brauch neue Handschellen!«, preschst du vor, »aber bitte von der neuen Liefe...«

      »Moment bitte!«, geht die Mahnemannsche

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