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größeren Umkreis auf. Es blieb nur noch eine Möglichkeit. Und da war sein Kopf plötzlich überhaupt nicht mehr taghell. Es blieb nur der Schrank, an den sich der Käptn für seinen letzten Schlaf gelehnt hatte. Besser gesagt: auf den er gedrückt wurde, weil das Schiff dabei war, kopfüber wegzukippen. Strøm schluckte. Er sah, dass der Käptn mit offenen Augen und abgeknicktem Kopf schlaff dasaß. Das sah nicht gesund aus.

      »Der ist, das darf nicht wahr sein, der ist – nein! – tot? Käptn, aufwachen! Chef, wir brauchen Sie. Unser Pott geht baden. Chef!« In irgendeinem Film hatte er mal gesehen, dass man Ohnmächtigen Ohrfeigen verpassen musste, aber er traute sich nicht. Schließlich hatte er dem Käptn grad eben erst eine gepfeffert. Er versuchte es dann doch, setzte eine ganz sanfte Ohrfeige an, und sofort schlug Arndahlens Kopf zur Seite wie eine Kokosnuss auf einem Grashalm, riss in der Seitwärtsbewegung den Körper halb mit in die Schräglage.

      Strøm schossen wider Willen die Tränen in die Augen. Seit er denken konnte, vom ersten Tag seiner praktischen Ausbildung an, war er unter Arndahlen zur See gefahren. Und selbst jetzt, nachdem Strøm sich noch vor ein paar Minuten derart daneben benommen und den Käptn zu Boden geschlagen hatte, selbst auf diesem Schlafgesicht mit den weit aufgerissnen Augen lag so etwas wie ein Lächeln. Er schien es ihm jedenfalls nicht krumm genommen zu haben.

      »Wieso«, ging es Strøm durch den Kopf, »wieso ist der tot? Ich leb doch auch noch. Wer weiß, vielleicht ist der im Sturz auf einen spitzen Gegenstand gefallen. Auf eine Kante geknallt. Wer weiß.« Strøm nahm all seinen Mut zusammen und schob die Leiche ächzend zur Seite. »Dass so kleine, leichte Männlein wie Arndahlen derart schwer werden, wenn sie tot sind!«

      Nachdem der Trawler inzwischen fast senkrecht stand und mit seinen letzten Lichtern wie ein spärlich flackernder Leuchtturm aus dem Wasser ragen mochte, war nichts anderes möglich, als den Käptn unsanft zur Seite zu schieben und rüber auf eine der andern Schranktüren zu hieven. Nein, eine blutende Wunde war nicht zu entdecken.

      »Wahrscheinlich sein Magengeschwür. Und ich Wahnsinniger zimmer ihm genau da so 'n Hammerschlag drauf! Ich hab den, den hab ich auf dem Gewissen. Ganz allein: ich! Das ist, das war Mord.«

      Strøm hatte mal was gehört von Magengeschwürdurchbruch, aber er hatte keine Ahnung, ob man daran so schnell sterben konnte. Und ob man so was überhaupt von außen, durch einen Schlag in die Magengrube etwa, bewirken konnte. Kam ihm eher unwahrscheinlich vor. Also vielleicht lag es doch an was anderem und er trug nicht die Verantwortung für Arndahlens Tod. Vielleicht.

      Egal jetzt, der Käptn musste weg da. Und zwar schnell. Strøm zerrte ihn vollends zur Seite und fand tatsächlich den Kanister. Natürlich viel kleiner, als er gedacht hatte, vielleicht drei, vier Liter Fassungsvermögen, wenn's hoch kam. Aber auch ein seidener Faden war ein Faden! Er zog den Schlauch ab, der aus dem Kanister Richtung Scheibenwischer führte, schüttete das Wasser achtlos in den sperrangelweit offen stehenden Unterschrank und klebte mit Lassoband den Ausfüllstutzen des Kanisters zu, um ihn dann mit dem Deckel zusätzlich zu verschrauben. Würde wohl, musste einfach dicht sein. Strøm sah, dass jetzt das Fjordwasser in dicken Bächen und Fontänen durch die Wandverkleidungen eindrang, und als er aus dem Hauptkabelbaum der Brücke die längste Strippe, die er kriegen konnte, riss, dröhnte hinter ihm ein ohrenbetäubender Knall in den halbgewässerten Raum: die Wand mit Funkgerät, Radarmonitor und was der Navigationsgerätschaften mehr waren, war halb aus der Verankerung gerissen und öffnete einem gewaltigen Sturzbach Tür und Tor. Aber da hatte Strøm das Kabel bereits dem angesichts des Wasserschwalls noch jämmerlicher wirkenden Kanister durch den Griff gesteckt, zu einer Schlaufe gebunden und sich diese unter einem Arm durch um die Brust gelegt. Einzige Überlebenschance, nachdem die Schwimmwesten absolut unerreichbar irgendwo da unten in den Kajüten im Wasser trudeln mochten.

      Er suchte mit der linken Hand irgendwo Halt, bückte sich, fuhrwerkte – bis zum Hals im Wasser – mit der Rechten auf der Schranktür unter seinen Füßen herum und förderte tatsächlich den Absperrriegel des Armaturenschranks zutage. Eine schnelle Drehung und der Eisenriegel zertrümmerte mit lautem Getöse die Heckscheibe der Brücke, die – waagerecht jetzt – den Blick in den Himmel freigab. Übersät von Glassplittern und Schnittwunden, zog Strøm sich mit seiner Kanisterschwimmweste am messerscharf glasgespickten Fensterrahmen nach oben. Und, obwohl Klimmzüge noch nie seine Stärke waren, kam er schreiend vor Schmerz und Anstrengung nach oben, bekam einen Stahlbügel zu fassen und konnte ein Bein ums Fensterkreuz schlingen, so dass er sich schließlich auf die Rückwand der Kommandobrücke ziehen und aufrichten konnte.

      Wie ein Desperado der sieben Weltmeere stand er breitbeinig auf seiner langsam sinkenden Eiseninsel und blickte in den Nachthimmel. Die Nebel hatten sich verzogen, aber der Himmel war immer noch pechschwarz zugezogen und ließ nicht einen einzigen Stern blinken. Strøm fror. Und von unten stieg ihm allmählich das Wasser entgegen.

      ___3.

      Sack und Asche! Diese Frau, was starrt die mich so an? Ganze Zeit schon. Mein Gott, was die für 'en Blick hat. Augen wie Vulkanseen – komische Idee –, na jedenfalls abgrundtief. Und wie Feuer. Glühend. Brandheiß. Oder? Oder, Mann, stimmt gar nicht, sieht mich nicht an, überhaupt nicht, sieht gradewegs an mir vorbei! Wohin denn? Kann man gar nicht ausmachen, die Richtung, in die die da guckt. Seltsam. Guckt wirklich an allem vorbei. Und ich muss ständig hingucken. Werd ich ja schließlich für bezahlt, hier auf die Bilder von diesem Beckmann, wie der heißt, aufzupassen. Dass keiner von diesen kunstbeflissenen Trotteln dem Pinselstrich zu nah kommt. Wär ja noch schöner, wenn hier was passieren tät. Wenn so Bilder – sind ja 'n Vermögen wert, was man so hört – wenn die sich also im Jahre des Herrn 1975 schon mal einmal in dreitausend Jahren nach Trondheim verlaufen. Da ist es weiß Gott besser, wenn man die unter meine Fittiche gibt, unter die von Gunnar, dem Bootsmann, den diese beschissene losschnarrende Ankerkette vor drei Jahren den Fuß gekostet hat. Wenn man diese sündhaft teuren Schinken von meinen Adleraugen bewachen lässt.

      Teuer vielleicht, aber schön? Also alles was recht ist! Du zum Beispiel, Tänzerin oder was du bist, schön? So richtig schön? Eher dunkel. Finster das Gesicht, trotz all der weißen Haut. Sieht aus, als hättste Puder drauf. Und die Lippen viel zu fett rot angemalt, knallrot, am Mundwinkel bisschen verschmiert. Kein Wunder, wenn du so viel drauf machst, zentimeterdick! Und die Augenlider auch geschminkt, schwarz. Da wirken die Augen noch größer. Fast größer als das Gesicht, die Augen. Irgendwie enorm die Augen, wie die gucken und wohin. Schwarzglühend. Aber die Nase bisschen breit, wirft Schatten aufs Gesicht, aufs puderweiße. Und das lange braune Haar fällt dick und schwer und schön und wirft auch düstere Schatten ins Gesicht. Schlagschatten, wie man das nennt, glaub ich.

      Dieser Blick, Anblick, diese Frau, es ist der Wahnsinn!

      Mist, hält sie diesen Fächer, oder was es ist, vor die Brust. Genau davor, kann man gar nicht sehn, wie viel Holz die hat vor der Tür. Scheinen aber nicht besonders schwer zu sein, die Brüste. Die rechte, da, die gibt der Fächer ja 'n Stück frei, also schwer nicht, nicht sonderlich, kein Kracher, kein Wonnevulkan. Aber passt irgendwie gut, zwischen die Arme, irgendwie genau.

      Jetzt stellt sich dieser Kerl, Sack und Asche, genau davor vor die Frau, und ich kann nichts mehr sehn. Stellt sich davor und glotzt se an. Was hat der die anzulinsen?! Spannmichel der! Glubsch woanders hin, Pupillenverrenker, gefälligst! Sonst kriegst du's mit Gunnar zu tun, der hat zwar nur ein' Fuß, aber zur See gefahren ist der, Kraftpaket, sag ich dir, mit dem ist nicht zu spaßen! Also sieh zu, dass du deinen Knick in der Optik auf 'ner andern Alm weiden gehst!

      Aber nix da, der glotzt die immer noch an, staksiger Spieritz der, glotzt unmöglich lang, rührt sich nicht vom Fleck, stiert ihr mitten ins Gesicht, untern Fächer auf die Dutten gradzu. Die werden abgenutzt, noch kleiner, unter dem seinen quadratgeilen Schmirgelblicken. Für die eitrigen Tränensäcke untern läufigen Augäpfeln zu dränieren oder was? Steht unverfrorn und stundenlang genau vor dieser Frau. Museumsbesucher sind einfach dreist, sag ich doch. Aber ich will ja nichts sagen, hab ich wenigstens einen Job hier. Aber wenn ich noch den zweiten Fuß noch hätt und anständig auf See – obwohl, dann hätt ich dich ja auch nicht vorm Visier hier.

      Du jedenfalls hast dich nicht gerührt. Kein Stück. Lässt dir nichts anmerken. Guckst einfach vorbei an dem Kiebitz,

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