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      Fahimeh Farsaie

      Die gläserne Heimat

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      Fahimeh Farsaie

      Die gläserne Heimat

      Erzählungen

      Aus dem Farsi

      von Kaweh Parand

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      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über >http://dnb.ddb.de< abrufbar.

      ISBN 978-3-943941-57-9

      Gedruckte Ausgabe, Frankfurt 1989

      © Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2015

      INHALT

       Sieben Bilder

       Das Fenster zum Rhein

       So ist das Leben

       Die gläserne Heimat

       Warum nicht?

       Nachwort

      SIEBEN BILDER

      Gleich kommen die Beamten, und ich hab’ noch nichts erledigt. Ich möchte ja schließlich nicht meine Sachen von dieser und jener Straßenseite auflesen müssen. Alles muss ich ordentlich zusammenpacken.

      (Gol, meine Gute! Ich bitte dich, quängle nicht ewig und lauf mir nicht zwischen den Füßen rum! Du in deinem unansehnlichen Aufzug. Ach!)

      Schön wär’s, wenn ich wüsste, wie ich diese Bilder in all meinem alten Kram verstauen soll, dass sie nicht zu Schaden kommen. Ein Leben lang hab’ ich sie mit größter Hingabe gehütet, und jetzt will ich nicht, dass sie unter die Rubrik »Räumungsschäden« fallen.

      (Gol, dich mein’ ich! Lass mich doch zum Nachdenken kommen! Du allein genügst schon, dass ich mich hinlegen und sterben möchte … Geh mir aus dem Weg!)

      Auch zu Herrn Nossrat hatte ich gesagt: »Das heißt also, ich soll mich hinlegen und sterben?«

      Und er, mit seinem glattrasierten, bleichen Gesicht, hatte das rechte Ende seines langen, dichten Schnurrbarts gezwirbelt und im Ton eines Richters, der im voraus sein Urteil gefällt hat, erwidert: »Das habe ich nicht gesagt.«

      Während er diesen Satz mit kalter Stimme von sich gab, hielt er die Augen geschlossen, als hätte er vergessen, dass er mich noch vor ein paar Minuten fixiert und gesagt hatte: »Meine Dame, Sie sind hier überflüssig!«

      Ich fragte nur: »Was soll das heißen?« und blickte dabei auf die Wand hinter seinem Kopf, wo sich eine helle Stelle von der Größe eines Bilderrahmens abzeichnete.

      Herr Nossrat hatte gleichgültig geantwortet: »Das heißt, dass wir für Sie nichts mehr zu tun haben!«

      Und mir war plötzlich eingefallen, dass dieses saubere Viereck an der Wand die leere Stelle vom Bild des Schahs war, und ich begriff, dass mein Hin- und Hergeschobenwerden zu diesem Amt und zu jener Abteilung nur stattgefunden hatte, um das Terrain vorzubereiten.

      Sie hatten mich als Rechtsberaterin der Organisation eingestellt, doch die einzige Tätigkeit, die mir nicht anvertraut wurde, war das Beraten. Aus dem einfachen Grund, weil die Akten, die ich anlegte, ausnahmslos zu Ungunsten der Arbeitgeber waren: Arbeitgeber, die sich in den meisten Fällen entweder mit dem Sprecher der Provisorischen Regierung den Besitz ein und derselben Immobilie teilten oder mit dem Erdölminister bei einem Hypothekengeschäft Bekanntschaft geschlossen hatten oder Blutsverwandte dieses Kraftmeiers waren, der dem Fernsehen vorstand und für den eben diese Arbeitgeber und die Basarkaufleute Unterschriftensammlungen veranstalteten.

      Jeden Morgen ließ mich der Vorgesetzte in sein Büro rufen, machte mir Vorwürfe, weil das Tippfräulein »ablenen« statt »ablehnen« geschrieben hatte, und sagte, ich hätte nicht die juristische Kompetenz, gegen den und den Arbeitgeber eine Klageschrift aufzusetzen, was er folgendermaßen begründete:

      »Wie kann jemand, der nicht weiß ob ›ablehnen‹ mit oder ohne h geschrieben wird, beurteilen, ob Herr Soundso, der ein ehrbarer Mann ist und erst gestern 100.000 Toman als die vom religiösen Gesetz vorgeschriebene Armensteuer entrichtete, es abgelehnt hat, die Versicherungsprämien für die Arbeiter seiner Fabrik zu bezahIen?«

      Ich zog die Nase kraus und sagte: »Was diese Dinge miteinander zu tun haben, ist mir unklar!«

      (Gol, mein Liebes! Hab’ ich dir denn nicht grade eine Flasche voll Tee mit Kandis gegen dein Wehweh gegeben? Ist’s meine Schuld, dass keine Milch zu haben ist? Wie oft soll ich dich unter den Arm klemmen und von Apotheke zu Apotheke ziehen? … Ich bitte dich, plärr nicht ständig!)

      Obwohl ich mir Mühe gab, jeden Tag noch mehr Umsicht als am vorhergehenden Tag in meinem Auftreten und meiner Tätigkeit walten zu lassen, fanden die zunächst zweimal wöchentlich sich abspielenden Zusammenkünfte mit dem Herrn Vorgesetzten bald jeden zweiten Tag und danach täglich statt, und ich beantragte schließlich, um ihm seltener meine Aufwartung machen zu müssen, zwanzig Tage Urlaub.

      Noch war keine Woche vergangen, da stellten sie mir durch einen meiner Kollegen den Bescheid über meine Entlassung zu: Das Säuberungs-Komitee hatte mich für »konterrevolutionär« befunden.

      Als ich mich Herrn Nossrat gegenübersetzte, legte ich absichtlich meine rechte Hand, deren Haut vom Verbrennen mit Zigarettenglut verschrumpelt ist, auf den Tisch und fragte wütend: »Konterrevolutionär?!«

      Ich zeigte ihm das Führungszeugnis, das ich für meine Einstellung von der Polizeibehörde erhalten hatte. Darin stand: »Die Genannte ist wegen Aktivitäten, die gegen die Sicherheit des Kaiserreiches gerichtet waren, zu drei Jahren Haft verurteilt gewesen.«

      (Ja doch … ja doch … ja doch … Gleich steh’ ich auf und koche dir Kartoffeln … Ich bitt’ dich nur, weine nicht so und steh mir nicht immerzu im Weg, Gol!)

      Und ich zeigte ihr das Bild »Die Kartoffelesser«:

      (Sieh mal, alle essen sie Kartoffeln! Die Kartoffeln haben sie eigenhändig gepflanzt, mit diesen Händen: mit denen sie jetzt essen.)

      Mir schien, dass das spärliche Licht, das die Bildatmosphäre erhellte, mit jedem Augenblick trüber und die bekümmerten, nachdenklichen, knochigen Gesichter der Kartoffelesser mit jedem Augenblick hagerer wurden. Ich blickte Gol in die Augen und fand diese Gesichter in ihren hellen Pupillen widergespiegelt, nur kleiner …

      Es war mir klar, dass sie den Sinn meiner Worte nicht begriff. Sie starrte nur mit ihren gleichmäßig grünen Augen auf das dunkle Grün des Bildes und sah es sich aufmerksam an, und Staunen, Neugierde und oberflächliches Wahrnehmen bewirkten, dass ihre Augenbrauen sich zusammenzogen.

      (Wie sehr sie in dieser Verfassung Hosseyn gleicht!)

      Bei diesem Gedanken zog sich meine Nase kraus. Auch als Hosseyn Abschied nahm und fortging, hatte ich aus lauter Verzweiflung die Nase kraus gezogen. Als er am Morgen Brot kaufen gegangen war, hatten sie ihn in der Schlange vorgelassen. Er erzählte: »Was für eine lange Schlange! Aber sowie die Leute meine Uniform sahen, sagten sie: Herr Offizier, … bitte gehen Sie vor! Ihr seid das Licht unserer Augen …« Und vor Freude und Stolz lachte er von Herzen.

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