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eine andere Sache über mich. Ich laufe nicht vor meinen Ängsten davon und verstecke mich nicht hinter Was-wäre-wenn. Ich stelle mich den Dingen, und der einzige Weg, Syrien hinter mir zu lassen, ist, mir Pittsburgh und meinen Job vorzunehmen.

      Allerdings machte ich einen kleinen Umweg und flog erst nach New York zu Sals Familie. Er war nicht verheiratet und hatte keine Kinder, also wurde es ein trauriger Besuch bei seinen alternden Eltern, die sich erstaunlich gleichgültig über seinen Tod gaben. Sie waren ziemlich überrascht, mich vor der Tür stehen zu sehen, ließen mich aber freundlich rein. Einen ganzen Nachmittag sprachen wir über Sal. Zwar habe ich ihn nicht allzu gut gekannt, doch ich hätte mein Leben für ihn riskiert. Sie haben mich nicht danach gefragt, was genau geschehen ist an dem Abend, als ich gefangen wurde, was gut so war. Ich habe meinen Bericht noch nicht abgegeben und hätte sowieso keine Details verraten dürfen. Und ich war froh, ihnen nicht erzählen zu müssen, dass es meine Schuld war, dass er und Jimmy sterben mussten.

      Ich betrachte das Foto von Jimmys Tochter Avery und frage mich, ob es einmal so weit kommen würde, dass sie erfährt, welche Rolle ich beim Tod ihres Vaters gespielt habe. Anna wird ihr vielleicht alles erzählen, oder auch nicht, und bisher weiß ich noch gar nicht, was Anna genau darüber weiß. Da sie hier arbeitet, ist sie ein bisschen anders und wird wahrscheinlich manche Dinge eher für sich behalten.

      Bevor ich Kynan nicht Bericht erstattet habe, kann ich ihr sowieso nicht sagen, was ich in der Wüste alles getan habe. Momentan muss ich meine Trauer und das schlechte Gewissen unter Verschluss halten.

      Mein Blick schweift von Avery zu Anna. Sie ist eine unglaublich hübsche Frau mit goldenem Haar und ungewöhnlich blaugrauen Augen, die je nach Lichteinfall die Farbe zu ändern scheinen. In der Bar, in der wir an dem letzten Abend abhingen, hielt ich sie für kornblumenblau, doch in dem Neonlicht der Küche scheinen sie fast silbern mit einem Hauch Himmelblau zu sein.

      „Also, du arbeitest jetzt hier, was?“ Die lahmste Begrüßung, die es überhaupt gibt. Ich weiß, dass sie hier arbeitet, denn ich habe Cage gefragt, weil ich wissen musste, ob ich sie zerstört habe, als ich ihren Mann sterben ließ.

      „Ja.“ Sie lacht leise, streicht sich Haare hinters Ohr und legt das Handy ab. Ihr Ausdruck wird trauriger und sie senkt kurz den Blick. „Ich musste einfach ein Teil hiervon werden, nachdem …“ Ihre Worte hängen schwer in der Luft, und in meiner Kehle bildet sich ein Kloß. „Das klingt bestimmt albern, oder?“ Sie sieht mich wieder an und versucht, gelassen zu lächeln.

      „Nein, gar nicht“, versichere ich ihr und denke mir, jetzt kann ich auch gleich sagen, was gesagt werden muss. Ich räuspere mich. „Hör zu, Anna, das mit Jimmy tut mir furchtbar leid. Ich kann mir kaum vorstellen, wie schwer es für dich sein muss.“

      Ich wappne mich für Tränen und bin überrascht, als ihr Ausdruck weicher wird, ihre Finger mit dem Handy spielen und sie den Blick senkt.

      „Für dich war es auch hart. Ich freue mich wirklich, dass du wieder da bist. Das macht alles ein bisschen …“

      Sie bricht ab, als ob sie nicht sicher wäre, was das alles zu bedeuten hat. Ich kenne das Gefühl. Den Verlust der Richtung und die Frage, was zum Geier sich das Schicksal dabei gedacht hat, diese Umstände zu erschaffen.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit hebt sie den Kopf und sieht mich wieder an. Obwohl ich diese Frau nicht kenne, sind wir durch das Geschehen in der Wüste miteinander verbunden. Es fühlt sich wie ein wichtiger Moment an, und ich habe keine Ahnung, wie ich darauf eingehen soll.

      Anstatt etwas Vages zu sagen oder das Gespräch in harmlosere Gefilde zu leiten, sprudelt die brutale Wahrheit aus mir heraus. „Es fällt mir schwer, mit dir zu reden.“

      Anna blinzelt erstaunt und runzelt dann die Stirn.

      Ich schüttele den Kopf und halte eine Hand hoch. „Es ist nur, weil … ich lebe noch und Jimmy ist tot. Ich hoffe, du weißt, dass ich sofort meinen Platz mit Jimmy tauschen würde, wenn ich die Möglichkeit hätte, alles noch einmal zu machen.“

      Anna richtet sich alarmiert kerzengrade auf. „Das würde ich nie von dir verlangen. Von niemandem. Und du darfst nicht so denken. Sei dankbar, dass du am Leben bist. Das musst du feiern, Malik. Ich tue es jedenfalls.“

      Tja, das ist leichter gesagt als getan. Arme Anna, die mit dem Tod ihres Mannes und der Erziehung ihres Kindes allein fertig werden muss. Sie wird nie verstehen, warum ich niemals über Jimmys Tod hinwegkommen werde.

      Auf ihre Worte hin bringe ich ein Lächeln zustande, unterstütze es noch durch ein leichtes Kopfnicken und hoffe, dass es reicht, um sie von Trauer und Schuld abzulenken.

      Dann nicke ich Richtung Flur hinter der Küche, wo sich die privaten Apartments befinden. „Ich werde eine Weile hier wohnen. Kynan hat mir gerade den Schlüssel gegeben, also richte ich mich mal eben häuslich ein.“

      In meinem Ton schwingt etwas Endgültiges mit, was anzeigt, dass das Gespräch jetzt beendet ist.

      Nickend greift Anna nach ihrem Kaffee. „Okay, klar. Ich wollte dich nicht aufhalten und muss jetzt auch nach unten an die Arbeit. Der Boss ist ziemlich fordernd und so.“

      Anna nimmt sich ihre Handtasche, noch einen Donut und ihre Kaffeetasse. Noch ein Lächeln, das ich mit einem kurzen Heben meines Kinns beantworte, und sie ist fort.

      Seltsamerweise war dieses Gespräch, auch wenn es mir schwergefallen ist, das ehrlichste seit meiner Befreiung. Ein Teil von mir wünscht sich mehr davon.

      *

      Mich in meinem neuen Apartment einzurichten, dauert ganze fünf Minuten. Ich muss nur meine Klamotten in die Kommode legen und in die Küchenschränke schauen, um festzustellen, was an Lebensmitteln da ist.

      Als ich nach Pittsburgh gekommen bin, um bei Jameson zu arbeiten, habe ich keine Zeit gehabt, mich nach einer Bleibe umzusehen. Ich habe auf der Couch eines alten Marines-Kumpels gepennt, der am Rand der Stadt wohnt. Und dann bin ich sofort für die Mission in Syrien eingeteilt worden, wo Geiseln befreit werden sollten. Ich hielt es nicht für eine zu schnelle Veränderung, von den Marines zu einer Befreiungsmission im Mittleren Osten überzugehen. Ehrlich gesagt, kam es mir eher wie ein alter Hut vor.

      Jetzt weiß ich nicht, was die Zukunft für mich bereithält, aber für den Moment ist es die Arbeit bei Jameson, und das Angebot für dieses Apartment ist eine praktische Sache. Ich hätte mit demselben Mitbewohner von vorher zusammenziehen können, will aber diesmal lieber allein sein.

      Ich bin hier, um das sprichwörtliche Pferd wieder zu besteigen und ein wertvolles Mitglied des Teams zu sein. Es ist wichtig, hier erfolgreich zu sein, denn bisher habe ich nur versagt, was mehr über mich aussagt, als ich akzeptieren kann.

      Ein Klopfen an der Tür lässt mich zusammenzucken. Vor allem, weil ich fünf Monate in einem Erdloch gehaust habe. Das Konzept von geschlossenen Türen und Privatraum ist mir ein bisschen fremd geworden.

      Ich gehe durch das kleine Wohnzimmer zur Tür und öffne sie schwungvoll. Kynan steht davor. Ich bitte ihn wortlos herein, indem ich zur Seite trete.

      „Hast du dich schon eingerichtet?“, fragt er beim Eintreten.

      „Fertig und zu allen Schandtaten bereit.“ Ich schließe die Tür und verriegele sie. Nicht aus Gewohnheit, sondern aus Vorsicht. Vielleicht auch nur aus purer Freude, eine richtige Tür zu haben, die man abschließen kann.

      Kynan geht zur Couch und setzt sich, nickt zu dem Sessel, der ihm gegenüber steht. Das Apartment ist zwar klein, aber gemütlich ausgestattet. Die Möbel sind hochwertig. Zierleisten an den Decken in jedem Raum und die Küchengeräte sind top. Es ist die schönste Wohnung, in der ich je allein gelebt habe. Ich setze mich mit dem Hintern vorn auf die Kante, falte die Hände vor mir, lege die Ellbogen auf die Knie und sehe Kynan erwartungsvoll an.

      „Debriefing morgen früh um 08:00“, sagt er direkt.

      Ich nicke und halte seinen Blick. Zwar ist es das Letzte, was ich will, noch einmal alles durchzugehen, was geschah, aber es

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