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verlangten und dessen mörderisches Klima stündlich wie aus heiterem Himmel seine Opfer fordern konnte, bewirkten, dass trotz aller Händel, die zwischen den einzelnen herrschen und oft in nicht eben ritterlicher Weise beigelegt werden, doch ein gemeinsames Band die bunt zusammengewürfelte Gesellschaft umschließt. »Man haust hier in einer kleinen Republik in allerdings fast zu unbeschränkten sozialen Verhältnissen, meist ohne viel Beschäftigung, ohne gegenseitige geistige Anregung, unter dem demoralisierenden Druck der klimatischen Einflüsse, die alle Keime von Leidenschaft steigern, und führt eine Art von Kneipenleben, das eben durch die Umstände bedingt ist«, schreibt in diesen Jahren der österreichische Konsul.

      Zum Schutz des Handels und der Missionen unterhielten Frankreich, England, Sardinien und Österreich-Ungarn Konsulate, die zumeist von Kaufleuten als Honorarkonsuln geführt wurden, die gelegentlich nicht einmal der von ihnen vertretenen Nation angehörten. Unter dem besonderen Schutz des österreichischen Konsulats stand die römisch-katholische Mission, zugleich »Apostolisches Vikariat für Zentralafrika«. Sie war 1846 durch Papst Gregor XVI. ins Leben gerufen worden und erfreute sich des persönlichen Patronats Kaiser Franz Josephs. Im Wesentlichen auf freiwillige Beiträge Österreich-Ungarns gegründet, gehörte zu ihrem Aufgabengebiet die Bekehrung der Schwarzen zum Christentum sowie die geistliche Betreuung der im Sudan lebenden Europäer. Ihren Aufschwung verdankt die Mission dem Jesuitenpater und nachmaligen apostolischen Vikar Dr. Ignaz Knoblecher. Brehm, der mit ihm die Anreise von Ägypten nach Khartum unternahm, hat ihm in seinem Buch ein freundliches und respektvolles Denkmal gesetzt. Keiner aus der damaligen Reisegesellschaft ahnte, dass im folgenden Jahrzehnt mehr als 50 Geistliche und Laienbrüder dem sudanesischen Klima zum Opfer fallen sollten, ohne dass der Mission – von der Bekehrung angekaufter Sklaven abgesehen – ein Erfolg beschieden gewesen wäre.

      Die Sterblichkeit unter Fremden wie Sudanesen erreichte einen hohen Grad. 1854 starb fast die gesamte europäische Kolonie Khartums aus. Malaria, Diphtherie und Cholera wüteten mit unglaublicher Heftigkeit; Brehm berichtet immer wieder von Fieberanfällen, die ihn für Wochen niederwerfen. Lebensgier und Lebensfreude Khartums stehen hierzu in grellem Kontrast. Türken und Europäer genießen das Leben, das in Khartum so wenig zu bieten hat, so gut es eben geht. Das Verhältnis der turkoägyptischen Überlagererschicht zu den Europäern ist größtenteils intim und freundschaftlich. Die wenigsten Türken hatten Skrupel, höchst ungezwungen mit den Ungläubigen zu verkehren und deren Sitten und schlechte Gewohnheiten rasch anzunehmen. Umgekehrt nehmen an den glänzenden Festlichkeiten des Gouverneurs und der Regierungsbeamten mit Feuerwerk und Musik, nubischen Tänzerinnen, Gauklern, Schnurranten und Narren mit ihren obszönen Späßen neben der türkischen Oberschicht regelmäßig auch die Europäer teil; unglaubliche Mengen von Spirituosen werden vertilgt, eine Gewohnheit, die sich bis auf den heutigen Tag in Khartum erhalten hat. So beschreibt der amerikanische Reisende Bayard Taylor Festlichkeiten und Ausflüge in die Umgebung:

      »Die Boote wurden am Ufer festgetäut, Feuer angezündet, die Pfeifen angesteckt und Kaffee zubereitet. Im Lichte des vollen Mondes saßen wir in Gruppen im Sand. Um Mitternacht gab es das übliche Schaf, das von zwei Flaschen Rotwein begleitet war. Daraufhin gab Abou-Balta (ein reicher Kaufmann) vor, entrüstet zu sein, allerdings nur solange, wie mohammedanische Diener sich in seiner Nähe aufhielten. Als die Luft rein war, räkelte er sich wie ein zweiter Falstaff auf dem Sand, wobei sein fröhliches Gesicht im Mondlicht strahlte. Dann probierte er verschmitzt das verbotene Getränk, das ihm gut mundete.

      Ein ganzes Schaf wurde aufgetragen, mit Reis gefüllt und mit Brot, Zwiebeln, Rettichen und Weintrauben garniert. Wir machten unseren rechten Arm frei und stürzten uns mit bloßen Fingern und mit so viel gutem Willen über das dampfende Fleisch, dass nach einer halben Stunde nur noch ein bildschönes Skelett auf der Platte übrig geblieben war.« – oder einen Empfang bei Sultana Nasra, einem Mitglied der ehemals regierenden Familie von Sennar:

      »Alle ihre Sklavinnen waren Mädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren, unbekleidet bis auf einen Rähad, einen Gürtel aus Lederfransen, über den Hüften. Es war offensichtlich, dass sie nach ihrer Schönheit ausgesucht worden waren; zwei von ihnen erschienen in der Symmetrie ihrer Formen und in der Anmut ihrer Bewegungen unvergleichbar, obwohl sie schwarz wie gusseiserne Statuen waren. Die Sklavinnen brachten uns die Pfeifen und Kaffee, und wenn sie nicht beschäftigt waren, standen sie mit vor der Brust gefalteten Händen in einer Reihe nebeneinander am äußeren Ende des Zimmers.«

      Der gleiche Reisende vermerkt allerdings auch den Revers der Medaille:

      Brehms Reisebericht ist nur einer in der reichen Reiseliteratur über den Sudan, wenn auch in seiner genauen, gründlichen und gemütvollen Betrachtungsweise eine für das bildungsbewusste 19. Jahrhundert besonders typische Schilderung. Während Khartum und der Sudan mit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts das Ziel zahlreicher europäischer Besucher wurde, existieren nur wenige Zeugnisse über Reisen vor der turko-ägyptischen Zeit. Nach der Pilgerfahrt des niederrheinischen Ritters Arnold von Harff, der 1496 seine Reise antrat, die ihn über Ägypten bis nach Nubien und Äthiopien bringen sollte, vergehen zweihundert Jahre, bis der Franziskanerpater Theodor Krump aus Augsburg 1701 mit anderen Missionaren aus Kairo aufbricht und über die alte Karawanenroute, über die Oase Selima-Moscho-Dongola-Sennar, die Hauptstadt des Fungkönigtums erreicht. Ein Jahr darauf gelingt ihm die beschwerliche Rückkehr aus Abessinien; 1710 erscheint in Augsburg sein denkwürdiges Buch. Nach dem Schotten James Bruce, der siebzig Jahre später aus Gondar über Sennar nach Assuan zurückkehrt, verdanken wir dem Schweizer Johann Ludwig Burckhardt die klassische Schilderung Nubiens und des nördlichen Sudan am Vorabend der ägyptischen Eroberung. 1813 durchkreuzt er mit einer Sklavenkarawane die Nubische Wüste und erreicht über Berber und Schendi die Hafenstadt Suakin am Roten Meer.

      Mit dem Aufschwung der Dampfschifffahrt auf dem Mittelmeer, insbesondere durch den Triester Lloyd, wurden die Verbindungen nach Ägypten erheblich erleichtert. Ganze Scharen von Europäern strömten in das alte Land der Pharaonen, nur wenige wagten sich über die Nilkatarakte nach Süden hinaus. Aber nach dem Fall der Mamelukkenherrschaft werden auch die Regionen am oberen Nil stärker besucht, Nubien, Kordofan und Sennar wurden für Kaufleute und Missionare, für Reisende, Abenteurer und Forscher zugänglich, und neue Verkehrswege etablieren sich. Viele von ihnen, die die Neugier, Glaubenseifer oder das Abenteuer trieb, die Elfenbein oder geographische Entdeckungen suchten, hinterließen Beschreibungen, Tagebücher, Notizen und Korrespondenz. Schon über die Expedition der ägyptischen Truppen besitzen wir reichhaltiges Quellenmaterial, den Bericht des Bostoner Artillerieoffiziers G. B. English, das mehrbändige Werk Frédéric Cailliauds Voyage à Méroë, das die meroitischen Altertümer Nubiens erschließt. Linant de Bellefonds’ Memoiren über den Eroberungszug wurden erst ein Jahrhundert später in der Khartoum University Press publiziert. Der Preuße Ferdinand Werne berichtete über die Feldzüge und die Expedition zur Entdeckung der Nilquellen. Die erste gründliche Beschreibung Kordofans 1843 verdanken wir der Reise des Österreichers Ignaz Pallme. Neben Franzosen und Italienern – die Engländer gehören in eine spätere Phase – sind es vor allem deutsche Reisende, deren Schriften zu den Standardwerken über den Sudan gehören. Allen voran die glanzvollste Schilderung der Epoche, Fürst Pücklers Aus Mehmet Ali’s Reich. Wie kein anderer hat der Grandseigneur der deutschen Orientreisenden den morgenländisch-afrikanischen Charme des Landes geschildert, dem er in Gestalt der nubischen Sklavin Machbuba selbst erlag und die er mit der selbstverständlichen Gelassenheit des Standesherren der Wiener Hofgesellschaft in Mamelukkentracht als seine Favoritin vorstellte.

      Das aufgeklärte, bildungsbewusste Preußen Friedrich Wilhelms IV. rüstete zwei wissenschaftliche Expeditionen aus: 1842 bis 1845 bereiste der spätere

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