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stellte Ägypten um 1830 eine Macht dar, mit der die europäischen Mächte zu rechnen hatten und die sich für das Osmanische Reich als lebensbedrohend erweisen sollte. Das Interesse Mohammed-Alis ist in diesen Jahren darauf gerichtet, sich von der Oberherrlichkeit der Pforte freizumachen und seiner Dynastie die Erblichkeit der Herrschaft über Ägypten zu sichern. Mit 61 Jahren musste es ihm darum zu tun sein, seine faktische Unabhängigkeit auch völkerrechtlich anerkannt zu sehen.

      Nur zu gut war ihm der enge Spielraum dieses Terrains bewusst, wollte er sich nicht die dünne türkische Oberschicht Ägyptens in ihrer nach wie vor bestehenden Loyalität gegenüber dem Sultan entfremden. Nach der Niederlage der Pforte hielt er den Zeitpunkt für gekommen, seine Ziele zu verwirklichen. Seine Ambitionen waren zu weit gediehen, als dass er sie nicht auch gegen den Willen seines Souveräns durchzusetzen entschlossen war. Zuvörderst erstrebte er die Angliederung Syriens an Ägypten. Zu Beginn des Jahres 1832 rückte Ibrahim in Syrien ein und stand nach Jahresfrist als Sieger mitten in Kleinasien. Er schlug die Türken bei Homs, bezwang die anatolischen Pässe, errang einen weiteren Sieg bei Konya; der Weg nach Konstantinopel stand offen. Angesichts der kritischen Lage der Pforte und der daraus resultierenden Gefährdung des internationalen Gleichgewichts intervenierten die europäischen Mächte, und im Frieden von Konya gelang es der Pforte, günstige Bedingungen zu erreichen. Zwar wurde der Anschluss Syriens an Ägypten vollzogen, aber der weitere Siegeszug Mohammed-Alis blieb blockiert. Der Jubel, der in Syrien den neuen Statthalter Ibrahim-Pascha begrüßte, verflog rasch; das ägyptische Regime mit seinen rigorosen Steuereintreibungen und zahllosen Zwangsrekrutierungen für die Armee empfand man bald als stärkere Unterdrückung denn die vorausgegangene Türkenherrschaft. Als ebenso kurzfristig sollte sich mehr als ein Jahrhundert später der analoge Enthusiasmus Syriens beim Anschluss an Nassers Ägypten erweisen. Die Unzufriedenheit in Syrien wuchs, Aufstände mehrten sich, Sultan Mahmoud II. setzte seine Armee gegen Ibrahim in Marsch. Bei Nisib, westlich vom Euphrat, wurden die türkischen Truppen am 24. Juni 1839 von Ibrahim-Pascha wiederum vernichtend geschlagen. Jedoch abermals intervenierten die europäischen Mächte. Konnte man dulden, dass die Landenge von Suez in die Hände eines jungen und soliden Staates geriet? War es nicht vorteilhafter, den Weg nach Indien, an den Persischen Golf und nach Südostasien in der Obhut des schwachen Osmanischen Reiches zu wissen? Darüber hinaus musste die Auflösung der osmanischen Türkei alle Interessengegensätze der Mächte aufleben lassen, seine Erneuerung unter Mohammed-Ali erschien noch weniger wünschenswert. So sprach alles dafür, den Sultan in Konstantinopel zu stützen. Unter den religiösen Gemeinschaften im Libanon wurden Waffen verteilt; Christen und Drusen revoltierten. Ein englisch-österreichisches Landungskorps eroberte Beirut und schlug Ibrahims Truppen im Libanon. Die englische Flotte vor Alexandria erzwang die endliche Unterwerfung Mohammed-Alis. Am 1. Juli 1841 erging der Investiturfirman der Pforte, der für seine Familie die Erblichkeit der Herrschaft über Ägypten nach Maßgabe des in der Türkei geltenden Thronfolgegesetzes zugestand, den der Pforte zu zahlenden jährlichen Tribut auf 80.000 Beutel (rund sechseinhalb Millionen Goldmark) festsetzte, die Räumung Syriens und aller anderen eroberten Gebiete sowie die Rückgabe der übergelaufenen türkischen Flotte vorsah und dem Vizekönig das Recht zum Abschluss nichtpolitischer Verträge und die Ernennung der Beamten sowie der Offiziere seines auf nominale Stärke beschränkten Heeres zugestand.

      Als Brehm sechs Jahre nach diesen Ereignissen das Ägypten Mohammed-Alis bereiste, war dieser ein nahezu achtzigjähriger Greis. Die Unterwerfung unter die Souveränität des Sultans und damit das zumindest partielle Scheitern seiner Pläne hatten ihn erschöpft, gegen Ende seines Lebens verließ ihn die geistige Schaffenskraft, so dass 1848 die Belehnung Ibrahims mit der Regierung erforderlich wurde, nachdem schon seit 1844 in den letzten Jahren seiner Herrschaft sein Sohn an den Staatsgeschäften teilgenommen hatte. Am 2. August 1849 starb Mohammed-Ali, ihm folgte sein Enkel Abbas I.

      Die Leistung Mohammed-Alis für Ägypten kann heute nicht hoch genug veranschlagt werden. Wenn in unserer Zeit Ägypten zur Vormacht der arabischen Staatenwelt wurde, so beruhen die Fundamente hierfür nicht zuletzt auf den von ihm geschaffenen Strukturen. Fürst Pückler, der zu seinen Bewunderern gehört und von dem wir eine der lebhaftesten Schilderungen Ägyptens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besitzen, schreibt von ihm:

      »Die unbestreitbaren spezielleren Verdienste Mohammed-Alis, wie sie als Fakta vor aller Augen stehen, sind Folgende: Er hat mit bewunderungswürdigem Organisationstalent in einem der verwahrlosesten und verwildertsten Ländern der Welt Ordnung und Sicherheit, die ersten Bedürfnisse eines zivilisierten Staates, herzustellen gewusst. Er hat in der Ausübung der Justiz und in der Verwaltung innerhalb seines Gebiets mehr Gerechtigkeit und feste Norm eingeführt, als in irgendeinem anderen orientalischen Staate noch existiert. Er hat den Fanatismus gebändigt, eine größere Toleranz in religiösen Dingen geübt, als in manchen christlichen Staaten stattfindet, und die Christen in seinen Ländern nicht nur beschützt, sondern selbst in einer Art bevorzugt, die fast zur Härte für die Muselmänner wurde. Er hat den Handel mit Europa nicht nur belebt, er hat ihn größtenteils neu geschaffen und durch die großartigsten Anlagen aller Art den in Ägypten gänzlich untergegangenen Sinn für Industrie wohltätig wiedererweckt. Er hat für die Bildung der künftigen Generation ein Erziehungs- und Schulwesen gegründet, von dem man vor ihm im Orient seit Jahrhunderten gar keinen Begriff mehr hatte, und ungeheure Summen diesem edlen Zwecke geopfert. Er hat mehr gebaut und mehr gemeinnützige Anstalten ins Leben gerufen als irgendein Beherrscher Ägyptens seit Saladins Zeiten.«

      In der Tat hat Mohammed-Ali nahezu ein halbes Jahrhundert methodisch daran gearbeitet, aus Ägypten ein modernes Land zu machen. Seine Landwirtschaftsreformen beruhten auf der Einführung von Bewässerungssystemen und dem Anbau neuer Kulturen, die Exportzwecken dienen sollten. Als er zu Gunsten der Baumwolle im Delta die permanente Bewässerung einführte, tat er den ersten Schritt zu einem Umschwung, auf den sich seither die Wirtschaft des Landes gründet. Er grub Kanäle, errichtete 1836 den berühmten Barrage du Nil, der die Fellachen, die bisher allein auf die Flut angewiesen waren, das ganze Jahr hindurch für ihre Saaten mit Wasser versorgte. Die einmalige Wasserversorgung während der Überschwemmungszeit wurde durch das System dauernder Bewässerung mittels zahlreicher Kanäle und Wasserläufe ersetzt. Im Gefolge kam der verstärkte Anbau von Getreiden und Hülsenfrüchten, Baumwolle, die 1821 aus Indien eingeführt wurde, Indigo, Zuckerrohr und Ölfrüchten.

      Der Pascha ist Schöpfer der ägyptischen Industrien und Ölmühlen. Papier- und Glasfabriken entstanden, Arsenale, die Werft von Alexandria. Er gründete Schulen, errichtete die erste Druckerei, reformierte das Gesundheitswesen und schuf nach europäischem Vorbild eine moderne, schlagkräftige Armee. Um sein Programm verwirklichen zu können, musste er Fremde ins Land rufen. Albaner, Türken, Armenier, Griechen, eine Handvoll Europäer. Über seine Erfahrungen mit europäischen Experten befragt, gab Mohammed-Ali Pückler gegenüber, der ihm vorwarf, sich fortwährend von Abenteurern, Scharlatanen und unwissenden Projektemachern täuschen und betrügen zu lassen, die auch in unsere Zeit der Entwicklungshilfe passende Antwort: »Ich weiß«, sagte er, »dass unter fünfzig Menschen, die aus Europa kommen, um mir ihre Dienste anzubieten, neunundvierzig nur unechten Edelsteinen gleichen. Ohne sie zu erproben, kann ich aber den einen echten Brillanten, der vielleicht darunter sein mag, nicht herausfinden. Ich kaufe sie also vorläufig alle, und habe ich dann den rechten entdeckt, so ersetzt er mir oft allein den erlittenen Verlust hundertfältig.«

      Seine europäischen Instruktoren, Techniker, Archäologen, Wissenschaftler, Ärzte, sind vornehmlich Franzosen. Die Namen Clot Beys, Cérisys, Bersons, Sèves oder derjenigen, die mit ihnen ins Land kamen, begegnen in Brehms Schilderung immer wieder. Der Einfluss Frankreichs war außerordentlich. Der Pascha erwies den Franzosen eine exzeptionelle Zuneigung. Er misstraute den Engländern gründlich und vermied auch späterhin möglichst jeden Kontakt mit ihnen und vergaß niemals ihre wiederholte Einmischung in das Schicksal Ägyptens.

      Denkt man an Zeiten und Milieu, aus denen der kleine türkische Offizier einst hervorgegangen war, so sind sein Interesse und seine Sympathien für Frankreich bemerkenswert. Frankreich errang in Ägypten eine solide Position. Seine Offiziere organisierten die Armee, seine Techniker beherrschten den Wirtschaftsaufbau, seine Erzieher hatten Schulen gegründet, die von 10.000 Schülern besucht und deren fähigste Absolventen nach Frankreich zum Studium gesandt wurden. Selbst die Anhänger der Lehre St. Simons nahm Ägypten bereitwillig auf.

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