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      1 ~ 1885

      Der Earl of Wentworth lag im Sterben.

      Im Zelt herrschte eine unerträgliche Hitze, obgleich es aus dem gleichen schwarzen Material wie die Beduinenzelte gefertigt war. Kein Lüftchen bewegte die Blätter an den Palmen in der Oase.

      Roberta tauchte ein Stück Stoff in das Wasser, das sie aus einer Ziegenlederflasche in eine Schüssel gegossen hatte und das beinahe ebenso warm wie die Luft war. Mit dem Tuch betupfte sie die Stirn ihres Vaters. Er hatte lange Zeit geschlafen oder war ohne Bewußtsein gewesen, nun aber öffnete er die Augen.

      »Möchtest du etwas trinken, Papa?« fragte sie.

      Einen Moment glaubte sie schon, ihr Vater habe sie nicht gehört, doch dann nickte er leicht. Sie holte das Glas mit Brandy, das sie, um es zu kühlen, in eine Schale mit Wasser gestellt hatte.

      Sie hob vorsichtig seinen Kopf und hielt ihm das Glas an die Lippen. Der Earl war sehr bleich durch die Krankheit, aber er sah noch immer gut aus. Kein Wunder, daß so viele Frauen ihn lieben, dachte Roberta unwillkürlich.

      Er nahm ein paar kleine Schlucke zu sich, und es schien, als ob ihn das ein wenig beleben würde, denn als sie seinen Kopf sanft auf das Kissen bettete, begann er zu sprechen.

      »Es tut mir leid, Liebling.«

      »Was denn, Papa? Du kannst doch nichts dafür, daß du krank bist!«

      »Ich werde sterben - das weißt du«, entgegnete der Earl. »Und noch dazu an einem sehr ungelegenen Ort.«

      Roberta schrie leise auf.

      »So etwas darfst du nicht sagen, Papa! Du darfst mich nicht verlassen! Was sollte ich ohne dich anfangen?«

      Der Earl holte tief Luft, als müsse er all seine Kraft aufbringen.

      »Hör zu, mein geliebtes Kind, wir haben nicht mehr viel Zeit. Wenn ich tot bin, begrabe mich hier im Sand.«

      Roberta hätte ihm widersprochen, doch merkte sie, daß das Reden ihren Vater größte Mühe kostete. Also schwieg sie lieber.

      »Hassan wird dich nach Algerien bringen, in Sicherheit«, fuhr ihr Vater fort, als denke er laut. »Sage den Männern, du kannst sie erst auszahlen, wenn ihr in Algier seid. Dadurch vermeidest du eventuelle Schwierigkeiten.«

      »Ja, Papa, das werde ich tun«, murmelte Roberta leise. Danach herrschte Stille im Zelt. Ihr Vater hatte die Augen wieder geschlossen, so daß Roberta glaubte, er sei wieder eingeschlafen, doch schließlich sagte er: »Ich habe darüber nachgedacht wie unangenehm es für dich wäre, nach Hause zurückzukehren.«

      »Ja, Papa, das wäre es. Deshalb darfst du mich jetzt nicht allein lassen! Du weißt, wie mich die Familie behandeln würde, wenn ich zurückkäme.«

      Der Earl of Wentworth nickte, als pflichte er ihr bei. Nach einem Moment des Schweigens meinte er: »Fahr zu deiner Tante Margaret - sie ist von meinen Geschwistern die netteste und ich denke, du wirst glücklich bei ihr sein.«

      Verdutzt blickte Roberta ihn an.

      »Erinnerst du dich nicht?« fügte der Earl hinzu, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Deine Tante Margaret war mir ähnlicher als meine anderen Geschwister - sie lief mit einem amerikanischen Prediger davon.«

      »Ach ja!« rief Roberta aus. »Jetzt erinnere ich mich!«

      »Ihr Nachname ist Dulaine. Unter meinen Papieren bei der Bank in Algier findest du auch einen Brief von ihr, der ist allerdings fast zwei Jahre alt.«

      »Aber Amerika? Das ist so weit weg, Papa!«

      »Ja, ich weiß, mein Kind. Doch kannst du nur zwischen zwei Möglichkeiten wählen: Entweder lebst du bei deiner Großmutter und wirst für deine Sünden bestraft, oder du beginnst ein ganz neues Leben in einer neuen Welt, bei Tante Margaret.« Seine blassen Lippen verzogen sich zu einem zaghaften Lächeln, als er hinzufügte: »Ich weiß, für welches Leben ich mich entscheiden würde.«

      Roberta nahm sich mit aller Kraft zusammen und erwiderte: »Ja, Papa, du hast recht, das wird eine lange Reise, aber wenn du nicht bei mir bist, wird es ziemlich langweilig werden.«

      »Ich wünschte, ich könnte bei dir bleiben, mein Liebling. Ich würde gern Amerika sehen.«

      Er schloß erneut die Augen. Es mußte ihn unsagbare Mühe gekostet haben zu sprechen. Roberta hielt ihm das Glas mit Brandy an die Lippen, und er nahm gehorsam zwei Schlucke. Aber es schien ihr, als sei er schon sehr weit weg von ihr. Sie hockte sich neben sein Lager, eine Matratze auf dem Sandboden, und dachte verzweifelt nach, ob sie nicht irgendetwas unternehmen könne.

      Ja, ihr Vater hatte recht - er würde sterben, das wußte sie. Dasselbe Fieber hatte seine Geliebte einen Monat zuvor erfaßt, und sie war daran gestorben. Sie hatten sie vor den Toren eines kleinen arabischen Dorfes begraben, nicht einmal ein Kreuz hatten sie auf ihr Grab stellen können.

      Warum kann ich nicht auch sterben? dachte Roberta hoffnungslos. Dem Fieber, das sich in der Karawane verbreitet hatte, waren auch zwei junge Kameltreiber zum Opfer gefallen und Francine, die der Earl so sehr geliebt hatte. Dann hatte das Fieber ihn erfaßt. Er war schwächer und schwächer geworden, bis er keine Kraft mehr hatte weiterzuleben.

      Wenn Roberta zurückblickte, wunderte sie sich, daß sie so lange ohne Krankheiten oder andere Rückschläge ihre merkwürdigen faszinierenden Reisen durch Nordafrika hatten fortsetzen können. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, daß sie einmal ein solches Leben führen würde, als sie damals, ausgestattet mit dem Unabhängigkeitsdrang und Abenteuergeist ihres Vaters, so mutig gewesen war, aus dem düsteren kalten Haus in Essex davonzulaufen. Das Haus, in dem sie mit ihren Verwandten gewohnt hatte, die ununterbrochen an ihr herumkritisiert und ihr vorgehalten hatten, welche Schande ihr Vater über sie alle gebracht habe. Diese ständigen Vorhaltungen und Nörgeleien waren ihr unerträglich gewesen, und sie hatte nur zu gut verstanden, daß ihr Vater es nach dem Tode ihrer Mutter in England nicht mehr ausgehalten hatte.

      Er hatte Worth Park, den Besitz seiner Vorfahren, eines Morgens verlassen, ohne jemandem ein Wort zu sagen, und war nie wieder zurückgekehrt. Der Umstand, daß er die Gattin des Lord Lieutenant der Grafschaft mit sich genommen hatte, machte sein Benehmen in den Augen derer, die zurückblieben, nicht gerade verzeihlicher.

      Robertas Großmutter, die verwitwete Countess, war mit Lady Emily, ihrer jüngsten, unverheirateten Tochter, erschienen, um den Haushalt von Worth Park aufzulösen. Roberta hatten die beiden Frauen mit sich nach Essex genommen.

      Nur zu gut erinnerte sich Roberta noch daran, wie verzweifelt sie gewesen war, als sie nach dem Tod ihrer Mutter zwei Jahre zuvor nun auch noch ihren Vater, die Pferde, die sie liebte, und dazu die Dienstboten, die sie seit ihrer frühesten Kindheit umsorgt hatten, verlieren sollte. Obendrein entließ die Großmutter noch Robertas Gouvernante, mit der Begründung, daß sie leichtfertig sei. Lady Emily sollte von nun an Roberta Unterricht geben. Und zusätzlich wurde täglich eine ältliche Lehrerin, die nicht mehr im Amt war, aus dem Nachbardorf geholt, um Roberta in den Fächern zu unterrichten, in denen ihre Tante nicht bewandert war.

      Roberta, die sehr intelligent war, langweilten diese Unterrichtsstunden, ebenso das Leben, das sie nun führte - ein Leben an der Seite zweier älterer Damen, die sich besonders darin einig waren, Robertas Vater lautstark zu verurteilen. Täglich mußte das Mädchen wahre Schimpfkanonaden über sein so schändliches Verhalten über sich ergehen lassen. Und gab sie sich einmal Mühe, charmant zu sein, hübsch zu wirken oder auch nur zu lachen, so brachte ihr das sofort die Bemerkung ein, sie erinnere die beiden an den sündigen Duncan.

      Wäre Roberta jünger gewesen, hätte sie vielleicht mit der Zeit selbst geglaubt, daß ihr Vater durch und durch unmoralisch und schlecht sei, wie die beiden alten Damen es darstellten. Sie war jedoch beinahe vierzehn gewesen, als er damals fortging, und sie erinnerte sich noch lebhaft an seinen Charme und sein gutes Aussehen und daran, daß sich die allgemeine Stimmung augenblicklich hob, wo immer er auftauchte, und auch an die Blicke der Frauen, die sie ihm zuwarfen.

      Und dann erinnerte sie sich noch daran, wie glücklich sie alle zusammen gewesen waren, als ihre Mutter noch lebte. Es gab kein Wochenende, an dem sie nicht zu einer Gesellschaft

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