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großen braunen Ohren, die von einem breiten Lächeln – »Hi!« – fast berührt werden. Richtig putzig findet Alma den und lächelt amüsiert zurück. Er tritt ihr in den Weg und drängt sich neben sie. Plötzlich fühlt Alma sich eingeengt, will schneller gehen, die Typen abschütteln. Die drei jedoch bleiben ihr auf der Pelle, dicht dran, unangenehm nah – viel zu nah!

       »Go, please!«

      Mit einer Handbewegung versucht sie die jungen Männer wegzukomplimentieren. Ein dreifaches Auflachen ist die Antwort. Und plötzlich steht Alma vor einer Hauswand, rechts von ihr ein Karren. Sie ist eingekeilt. Die Männer rücken noch näher, sodass sie fast Almas Schultern berühren, flüstern einander zu und kichern. Sie gestikulieren, ein Schwall aus unverständlichen Worten rauscht über Alma hinweg. Zorn brodelt in ihren Adern. Und – verdammt! – einer hat ihr an den Po gefasst! Da geht ihre Ladung hoch: Heftig stößt sie den Typen zurück und schreit mit überschnappender Stimme: »Pfoten weg! Hau ab! Zieh Leine!« Mit beiden Ellbogen stoßend quetscht sie sich an den Männern vorbei.

      Ein paar Leute sind stehen geblieben, ein älterer Mann blafft die Jungs an und stellt sich ihnen in den Weg. Die Augen gesenkt, scheren sie zur Seite aus, schlängeln sich geduckt durch die Menge und verdrücken sich so schnell sie können. Als Alma sie so sieht, flüchtend wie geprügelte Hunde, tun sie ihr fast leid, doch sie spürt noch immer den Druck der Finger und beim bloßen Gedanken daran schüttelt sie sich und ballt die Fäuste.

      Als sie sich umblickt, fällt ihr auf, dass die ganze Straße nur so von Männern wimmelt. Jungen Männern, alten Männern, Halbwüchsigen, Knaben. Hier und da sieht sie eine Frau, eindeutig zielgerichtet unterwegs. Dort drei Frauen in einer Fahrradrikscha, beladen mit Einkaufstüten, drüben eine alte Frau, die Müll in ein eisernes Wägelchen sammelt. Die Männer hingegen scheinen im Entspannungsmodus, zumindest die jungen. Adrett in Bügelfaltenhose oder Jeans gekleidet und in der Hemdtasche eine Garnitur Kugelschreiber. An Wände gelehnt, auf Plastikstühle gelümmelt, über ihre Motorräder gestreckt, auf Karren hockend räkeln sie sich lässig, locker, beinahe gockelig. Haben die nichts zu tun? In der Hand das unvermeidliche Handy oder ein chai-Glas, palavernd. Und immer wieder der angeberische Griff an die kostbare Männlichkeit. Meine Güte, was für ein Zirkus! Alma muss fast lachen über diese naiven Machoposen. Aber sie ist immer noch wütend. Wehe, einer wagt es, ihr noch mal zu nahe zu kommen! Jawohl, sie wird sich Respekt verschaffen! Vielleicht wäre es eine gute Idee, ihren schwarzen Judogürtel sichtbar zu tragen? Der Spaßvogel, der sie angefasst hat, kann jedenfalls von Glück sagen, dass sie ihn nicht in den Würgegriff genommen hat. Echt!

       DEMOGRAFISCHES

      Am 11. Mai 2000 überschritt Indiens Bevölkerungszahl offiziell die Milliardengrenze. Mit rund 1,15 Milliarden Einwohnern hat Indien nach der Volksrepublik China den zweiten Platz der bevölkerungsreichsten Staaten der Erde inne. Indiens Reichtum ist seine Jugend: Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre. Ein Drittel der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt, und die Gruppe der 15- bis 20-Jährigen umfasst fast 300 Millionen Menschen. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt in Indien bei 63 Jahren (Deutschland: 79 Jahre). Indien gehört zu den Ländern, in denen es mehr Männer als Frauen gibt.

       What’s the problem?

      »Genau, lass dir nichts bieten!«, feuert Friedrich Alma an und freut sich, dass sie die Situation so energisch gemeistert hat.

      Bevor Sie selbst aber in den Ring steigen, lassen Sie uns das Geschehen noch einmal genauer ansehen. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? War Alma möglicherweise an der Eskalation der Situation beteiligt? Das soll natürlich keinesfalls heißen, dass sie selbst schuld daran war.

      Tatsächlich aber konnte Alma die Lage nicht realistisch einschätzen und adäquat darauf reagieren, da sie keine Ahnung hatte, welches Bild viele indische Männer von Frauen aus dem Westen haben und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. In den Augen der meisten Inder sind wir Ausländer, gemessen an den strengen Moralvorstellungen, die in der indischen Gesellschaft herrschen, hemmungslose Charaktere oder sexbesessene Unholde. Eine Vorstellung, die durch US-Kinofilme und das Satellitenfernsehen beeinflusst ist. Und so ist es kaum ein Wunder, dass in den Augen indischer Männer eine westliche Frau, wie die Kinobilder suggerieren, »leicht zu haben« ist. Touristenpaare, die durch zu freizügiges Auftreten gegen einheimische Tabus verstoßen, verstärken dieses verzerrte Bild zusätzlich. So kann es geschehen, dass ein interessierter Blick, ein freundliches Lächeln, ein paar unverbindliche Worte als Einladung zum Sex missverstanden werden. Die wilden Fantasien, die dadurch in zuweilen eindimensional funktionierenden Männerköpfen ausgelöst werden, setzen ein Verhalten frei, das über anzügliches Kichern und unflätige Bemerkungen bis zu körperlichen Übergriffen führen kann. Dieses mit dem beschönigenden Begriff Eve teasing (wörtlich: Eva necken) umschriebene Verhalten, dem auch indische Frauen ausgesetzt sind, geht meist im täglichen Chaos unter. Aufgrund entsprechender Kampagnen von Frauenverbänden werden Übergriffe jedoch neuerdings polizeilich verfolgt, sofern die Beamten durch die öffentliche Meinung dazu gezwungen werden. Ansonsten ist die indische Polizei hier wie in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens oft Täter-Sympathisant, wenn nicht gar selbst Täter.

      Sexualität ist in Indien stark tabuisiert. Die Zeiten des Kamasutra sind längst vergangen und sie hatten zudem nur auf höfischer Ebene Gültigkeit. Indische Mädchen, die ihre Reputation und ihre Chance, einen Ehemann zu finden, nicht aufs Spiel setzen wollen, können es sich nicht leisten, mit einem Jungen nahen Kontakt zu haben. Daher ist die sexuelle Frustration unter jungen Männern erheblich. Bedenken Sie, dass das Durchschnittsalter in diesem Land unter 25 Jahren liegt (Deutschland: 42 Jahre) und Millionen junger Männer in der virilsten Phase ihres Lebens keine Möglichkeit haben, sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Die einzige Aussicht auf regelmäßigen Sex ist die Heirat, doch dazu müssten sie über einen guten Job verfügen, eine halbwegs gesicherte Zukunft, was zumeist nicht der Fall ist. Hinzu kommt der Frauenmangel, hervorgerufen durch die massenhafte Abtreibung weiblicher Föten (mehr dazu in Episode 30). Die weite Verbreitung der Prostitution in Indien, sicher auch ein Ergebnis der herrschenden Moralvorstellungen, ist unter den genannten Bedingungen nicht verwunderlich.

       No problem – relax!

      Wie Sie gesehen haben, kann es leicht passieren, dass Sie als Frau in Indien von Männern belästigt werden. Um Situationen zu vermeiden, in denen Sie bedrängt werden, gibt es ein paar einfache Regeln. Zuallererst: Wenn es Ihnen auch noch so schwer fällt, weil Sie als Gast in einem fremden Land gerne höflich und freundlich auftreten möchten, begegnen Sie fremden indischen Männern grundsätzlich abweisend, um jedes Missverständnis auszuschließen. Seien Sie niemals »zu nett«. Fangen Sie nie im Zug, im Bus oder in Geschäften ein Gespräch mit Männern an. Vermeiden Sie Augenkontakt. Antworten Sie nicht auf Fragen. Bleiben Sie stur. Vertreiben Sie hartnäckige Verfolger mit einer wegscheuchenden Handbewegung und entschieden lauter Stimme: Jao! Jao! (Hau ab!; gesprochen: tschao). Achten Sie darauf, nirgendwo alleine mit einem Mann zu sein. Lassen Sie nicht einmal den Room Service, der immer männlich ist, in Ihr Hotelzimmer, wenn Sie alleine sind. Es versteht sich von selbst, dass Sie es als Frau vermeiden sollten, alleine bei Dunkelheit unterwegs zu sein, auch nicht mit einer Rikscha.

      Sollten Sie dennoch einmal in eine Situation geraten, in der Sie bedrängt werden, ist es ganz wichtig, dass Sie sich lautstark empören, um Passanten auf sich aufmerksam zu machen, die Ihnen sicherlich helfen werden. Ein ernster sexueller Angriff ist ein traumatisches Erlebnis, und Sie benötigen in einer solchen Situation allergrößte Unterstützung. Sie sollten sich deshalb auf keinen Fall allein an die Polizei wenden. Dort werden Sie unter Umständen nicht ernst genommen, selbst beschuldigt oder sind weiteren Angriffen ausgesetzt. Rufen Sie Ihre Botschaft an und bitten Sie dringend um Unterstützung.

       ALLEINREISENDE FRAUEN IN INDIEN

      Nach der brutalen Vergewaltigung einer jungen Frau im Dezember 2012 ließen zahllose Medienberichte über sexuelle Übergriffe Indien als ein für Frauen gefährliches

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