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ganz überwiegend von weiblichen Autoren für weibliche Leser verfasst: „Pornography By Women For Women, With Love“, titelt Russ 1985.

      Zum Slash (signalisiert auch als M/M) gehört – im Rahmen einer symptomatischen Asymmetrie markierter Terminus – der Femslash (bzw. Femmeslash); ein Beispiel für „Roman femslash in epic poem format“ (so selbstironisch die Autorin) bietet die eben zitierte Aeneis-Fic, die die latinische Prinzessin Lavinia – bei Vergil passives Objekt väterlicher Verheiratungspläne – ins Zentrum des Geschehens rückt und sie weder mit ihrem ursprünglichen Bräutigam Turnus noch mit dem seinen Rivalen im Zweikampf tötenden Heros Aeneas, sondern mit Turnus’ Schwester Juturna vereint. Führt eine Fic derart zwei (oder auch mehr) im Ausgangswerk nicht liierte Figuren gleichen Geschlechts zusammen, wird der betreffende Text ‚geslasht‘ (slashed, slashé, slashato…): der Slash, auch ins Russische als слэш oder слеш transliteriert, hat sich im internationalen Fanjargon sowie quer durch alle erdenklichen Fandoms etabliert.

      Zwar kennt die Fanfiction sehr wohl ein mit dem Kürzel PWP bezeichnetes Subgenre ‚Porn Without Plot‘ (zunächst dechiffriert als ‚Plot? What Plot?‘); doch handelt es sich bei Slash und Femslash um keine müßige pornographische Spielerei: Die Fankultur, die insgesamt „from a position of cultural marginality and social weakness“ operiert (Jenkins 1992: 26), formiert sich auch als Forum für minoritäre Stimmen, die sich im Mainstream weder zu Star-Trek-Frühzeiten noch heute adäquat repräsentiert sehen. „I began writing because as a queer woman I couldn’t find any representation in literature. Just the fact that I could be gay in this space is what mainly kept me going“, erklärt eine indische Autorin den Reiz eines auch in puncto Gender fluiden Genres (zit. Sarangan 2019). „For me, fanfic is partially a political act“, betont ein anderer Fan: „MGM [d. h. die US-Filmproduktions- und -vertriebsgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer] is too cowardly to put a gay man in one of their multimillion-dollar blockbusters? And somehow want me to be content with the occasional subtext crumb from the table? Why should I?“ (zit. Grossman 2011).

      Wie politisch Fanfiction, speziell Slash auch heute noch sein kann, zeigt ein Blick über den westlichen Kontext hinaus. In Russland bietet der Slash angesichts einer weit verbreiteten und von offizieller Seite favorisierten Homophobie ein kreatives Ventil: Eifrig wird neben diversen fiktiven und historischen Figuren auch die zeitgenössische Politprominenz geslasht, im Rahmen lustvoll transgressiver Fics, die pikante Pairings à la Putin/Medvedev, Putin/Naval’nyj (etc.) variieren; über die einschlägigen Sites hinaus funktioniert Slash als „discursive device“ in der Debatte über LGBT-Agenden (Rajagopalan 2015).

      Sehr viel drastischer gestaltet sich die Situation in der Volksrepublik China: Hier gab es mehrfach, so im Jahr 2014, exemplarische Repressionswellen gegen Slash-Autorinnen; Ende Februar 2020 wurde der Internetzugriff auf eines der größten internationalen Fanfiction-Portale blockiert (Romano 2020a). Die westliche Berichterstattung über „China’s Insane Witch Hunt For Slash Fiction Writers“ (Tang 2014) ist freilich von einer gewissen Hypokrisie geprägt; besagte Slash-Affäre wird diskursiv instrumentalisiert, um „human rights issues in China in ways that clearly separate ‚us‘ from ‚them‘“ zu framen (Hampton 2016: 237), unter Ausblendung dessen, dass auch einige der okzidentalen Sphäre angehörige Staaten zeitweise eine sehr restriktive Linie gegenüber tatsächlich oder vermeintlich pornographischer Fanfiction verfolg(t)en: Dies betrifft Kanada (ibid.: 236) und besonders Australien, das sich nach einer größeren Kampagne 2007 – samt „mass deletion of fanfic blogs“, u. a. Harry-Potter-Slash – mit dem Projekt einer neuen Internet-„filter policy“ auf ein Zensurlevel mit „states such as Iran and Saudi Arabia“ zu begeben drohte (McLelland 2010).

      „La vera storia di…“: Geschichte und Geschichten

      International betrachtet stellt Fanfiction derart bis heute ein Politikum dar; das Genre wirft auch anderweitige juristische wie ethische Problematiken auf. Ganz besonders gilt dies für die lange Zeit in der Fan-Community selbst tabuisierte sogenannte RPF (Real Person Fiction oder Real People Fiction) und speziell den Real Person Slash (RPS) bzw. Real-Life Slash (RLS). Wenig überraschend beschäftigt RPF sich oft mit Sportstars (Sportfic), Schauspieler*innen (Actorfic), Boybands (Bandfic) etc.; zum Bestseller schafft es Anna Todds Zyklus After rund um Harry Styles, Sänger der Boygroup One Direction: Die ursprüngliche RPF erreicht auf der Plattform Wattpad bis 2014 über eine Milliarde Aufrufe, wird daraufhin als Romanserie in mehr als 40 Ländern herausgebracht und 2019 verfilmt.

      RPF wird aber auch zu hochkanonischen ‚Celebrities‘ aus der Kultur- und Literaturgeschichte verfasst, beginnend wiederum mit Homer, den Fanfic-Autorin Scytale gemeinsam mit Euripides und Catull einen klassischen „Gender Change“ vollziehen lässt (The Other Muses, AO3, 16.02.2020). La vera storia di Publio Virgilio Marone verspricht Afaneia auf dem italienischsprachigen Portal EFP (27.04.2011); in der Kategorie ‚18th Century CE RPF‘ erwarten die interessierte Leserin zahlreiche Stories zu Goethe & Schiller, bevorzugt als literarisches Liebespaar: „Was wäre gewesen, wenn Johann doch eines Tages einfach mit Friedrich nach Italien durchgebrannt wäre?“ (SwanFloatieKnight: Kennst du das Land…, AO3, 13.04.2019). ‚Schoethe‘-Fic wird nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Russisch oder Mandarin publiziert.

      Gerade unter RPF figurieren auch mancherlei Texte, die gegen mehr als nur den guten Geschmack verstoßen, etwa Mein-Kampf-Slash; dies nicht auf den deutschsprachigen Sites (die auf dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag basierende virtuelle Hausordnung des Portals FanFiktion.de enthält eine eigene Klausel zum Thema „Rassismus, Nationalsozialismus“); anderswo geht es diesbezüglich weniger streng zu. Unweigerlich hat jene digitale Demokratisierung, an der die Fanfiction partizipiert und von der sie profitiert, ihre Schattenseiten. In dieser literarischen Parallelwelt finden sich auch „die ungeheuerlichsten Texte, die man sich vorstellen kann“; so Setz (2015), der sich auf das Terrain der „Anne-Frank-Fanfiction“ vorwagt: „Wer Narrenfreiheit sehen will, dem fliegt sie hier um die Ohren.“

      Mit neuer Virulenz stellt sich in diesem populärkulturellen Kontext die Frage nach der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschichte und Geschichten. Kontrovers diskutiert wurde eine britische Enquete aus dem Jahr 2008, der zufolge fast ein Viertel (23 %) der interviewten 3 000 Teenager Winston Churchill – Star eines eigenen RPF-Corpus – für eine fiktive Figur hielt, bei Richard Löwenherz mit 47 % beinahe die Hälfte; von einer Mehrheit als historisch real betrachtet wurden dagegen König Arthur (65 %) und Robin Hood (51 %) (Simpson 2008). Während der Historiker Correlli Barnett „a complete lack of common sense and respect for our greatest heroes of the past“ anprangert (zit. Camber 2008), frohlockt die Sherlock-Holmes-Community, deren Held immerhin 58 % der Respondent*innen als authentische geschichtliche Figur galt (Simpson 2008).

      Von fluktuierenden Figuren und alternativen Welten: Fiktion, Transfiktion, Fanfiction

      Das Ganze ist nicht nur eine Frage historischer Unbildung. Ivan Gončarov, Schöpfer des ikonischen Oblomov, meditiert über jene von Don Quijote, Hamlet, Lady Macbeth, Don Juan & Co. bevölkerte „Welt schöpferischer Typen“, die „gleichsam ihr eigenes besonderes Leben“ besitzt (1955: 104). Wie ist der Status derartiger durch die Literatur-, Theater-, Musik- und Filmgeschichte irrlichternder Gestalten zu fassen? Saint-Gelais (2011: 373–383) spricht von der „émancipation transfictionnelle“ literarischer Held*innen gegenüber Autor*in wie Ausgangswerk, Eco (2011: 94) von „‚fluktuierende[n]‘ Figuren“:

      Wie viele Menschen, die über das Schicksal Anna Kareninas im Bilde sind, haben Tolstois Roman gelesen? Und wie viele von ihnen kennen Anna nur aus Filmen […] oder TV-Serien? Ich weiß keine genaue Antwort, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass viele fiktive Personen außerhalb der Partitur „leben“, in der sie zur Welt gekommen sind, und sich in einer Zone des Universums bewegen, die sich schwer eingrenzen lässt.

      Auch Fanfiction beruht sehr häufig nicht exklusiv auf einem konkreten Werk (wie z. B. Tolstojs Roman), sondern auf einem ganzen intertextuell-intermedialen Konglomerat, das sich rund um den jeweiligen Quell- oder „urtext“ (Sandvoss 2007: 23) entfaltet. Selbst eine „brava classicista“, deklarierter Homer-Fan, gesteht zugleich ihre

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