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wie er war.

      »Wieso dauerte das so lange?«, herrschte Rolf Schmalstieg die junge Frau an. »Wo bleibst du denn, Tine?«

      »Entschuldige, ich musste oben helfen, Salate vorbereiten, Schnittchen schmieren und Eier dekorieren. Bald beginnt das Spiel gegen die Türkei. Wir sind aber fast fertig.« Zu dem Kunden im Wartebereich, der gerade die Zeitung am Holzstiel weghängte, sagte sie: »Sie dürfen dann, mein Herr.« Auch sie musterte ihn kritisch. Otto Korittke wusste, dass ihr sein Aussehen missfiel. Seine Kleidung war abgetragen und schlotterte um seinen mageren Körper, die Schuhe dreckig, der Koffer abgestoßen. Er kam direkt vom Bahnhof, hätte sich gerne vorher frisch gemacht, wusste aber nicht, wo. Nach jahrelanger russischer Gefangenschaft hatte er kein Zuhause mehr.

      »Liebes Fräulein, ich würde gerne Frau Korittke sprechen«, sagte er, »Frau Lieselotte Korittke.«

      Rolf Schmalstieg unterbrach sein Gespräch mit dem Kunden. »Um was handelt es sich?«

      »Diese Adresse wurde mir genannt. Hier soll ich sie finden. Stimmt das nicht?«

      Der Friseur hob sein Kinn und starrte ihn düster an. »Was wollen Sie von ihr? Sie schneidet keine Haare!«

      »Ich muss sie sprechen. Es ist wichtig.« Mit beiden Händen hielt Korittke seine Kappe fest. Den Koffer hatte er zwischen seine Beine geklemmt.

      »Meine Tochter Bettine wird Sie bedienen.« Der Friseur verteilte Rasierwasser in seinen Händen und klopfte es energisch gegen die glatt rasierten Wangen des Kunden. Klatschende Geräusche waren zu hören, als würde er Backpfeifen verteilen. Der Kunde gab einen missfallenden Brummton von sich. »Genießen Sie es, Herr Schulte! Leichte Schläge fördern die Durchblutung!«

      »Ihre Tochter?«, fragte Otto Korittke und wurde blass.

      *

      »Das Rührei bitte mit Kräutern und etwas Speck, kross gebraten, dazu zwei Scheiben Toast, nur mäßig braun«, wies Möbelfabrikant Walter Kettler das Hausmädchen Katharina an. Er war gerade aus der Fabrik gekommen und nahm nur eine leichte Mahlzeit ein, weil er Magendrücken hatte. Schon vor dem Krieg hatten sie eine Gründerzeitvilla am Westerberg bezogen, die sie vornehm eingerichtet hatten, mit schweren orientalischen Teppichen, Seidentapeten und Ölgemälden in Jugendstil- und Barockrahmen. Sie saßen im Salon, einem großen Zimmer mit einer Flügeltür zum Garten hin und einer weißen Blumenbank, auf der Giselas Kakteensammlung aufgereiht war. Der Salon, der Wintergarten und das angrenzende Speisezimmer waren noch mit schweren Vorkriegsmöbeln ausgestattet. Gisela drängte längst auf moderne leichte Möbel, aber für sein gemütliches Heim wollte er nicht auf die gewohnte Eichenvollholzqualität verzichten. Nur bei der Sitzgruppe hatte er sich auf einen Kompromiss eingelassen und beschwingt wirkende Sofas und Sessel in Bonbonfarben fertigen lassen. Das Kaminfeuer knisterte – es war ein kühler und regnerischer Tag – und im Radio lief Swingmusik.

      »Ach, und, Katharina, bitte denken Sie daran, dass wir nachher eine kleine Gesellschaft erwarten. Das Spiel beginnt um 18 Uhr. Spätestens zur Halbzeit sollte für acht Personen alles gerichtet sein.«

      »Sehr wohl«, gab Katharina mit einem Knicks zurück. Ihr Blick verriet, dass sie für den Abend eigentlich etwas anderes vorgehabt hatte. Mit verschlossener Miene verließ das Mädchen den Raum.

      »Musste das sein, Walter?« Gisela verzog das Gesicht. »Wir haben sie in dieser Woche schon zweimal abends beansprucht. Wenn sie kündigt, müssen wir wieder mühsam jemanden einarbeiten. Dazu habe ich keine Lust.«

      »Natürlich musste das sein.« Walter straffte seine Zeitung und verschaffte sich einen Überblick über die Artikel. Die Osnabrücker Rundschau war an diesem Tag voll mit Berichten über die Fußballweltmeisterschaft. »Sie wird nicht kündigen, Liebes, sie weiß genau, was sie hier hat. Ein hübsches Zimmer mit einem eigenen Bad en Suite findet sie so schnell nicht wieder. Dazu gute Speisen und ein Gehalt, von dem sie sogar zu Hause etwas abgeben kann.«

      »Das ist heutzutage nichts Besonderes mehr. Sogar unsere Arbeiter und Fabrikangestellten verdienen besser. Ihr bleiben nach Abzug von Kost und Logis nur 100 Mark.«

      »100 Mark sind mehr als genug.« Er vertiefte sich in einen Sportartikel.

      Gisela nestelte am silbernen Zigarettenetui, nahm eine Eckstein heraus und ließ sich von ihrem Mann Feuer geben. »Du bist mir noch eine Antwort schuldig, Walter. Wie war es gestern beim Friseur? Was sagt er zu der Sache? Mich würde interessieren, wie er die schockierende Nachricht aufgefasst hat.«

      Der Fabrikant ließ die Zeitung sinken. »Er wirkte nicht sonderlich überrascht, eher so, als störe ihn der Umstand überhaupt nicht, dass sein minderjähriges Töchterchen ein Kind von einem Mann erwartet, mit dem sie nicht verheiratet ist und der in keiner Weise ihrem Stand entspricht.«

      »Jetzt spann mich nicht auf die Folter. Was hat er gesagt?« Sie nahm einen tiefen Zug.

      »Natürlich erwartet er, dass Edmund sie heiratet. Das war abzusehen.«

      »Vernünftig von ihm, oder? Ich denke, das Kind gehört in eine richtige Familie. Edmund ist alt genug, und Bettine … Nun ja, sie wird es lernen, Mutter zu sein und einen Haushalt zu führen.« Sie stockte. »Was ist? Warum schaust du so? Deinem Stirnrunzeln entnehme ich, dass du nicht damit einverstanden bist. Aber warum nicht, Walter?«

      »Edmund wird es nicht tun, er wird sie nicht ehelichen, er darf es nicht. Das ist er seinem guten Namen schuldig. Wir müssen ihn auf jeden Fall davon überzeugen, dass er einen Fehler macht, wenn er nicht auf uns hört. Edmund ist jung, erst 21 Jahre alt. Da bleibt genug Zeit, die Richtige zu finden. Ich habe auch das Gefühl, er liebt diese Bettine nicht wirklich. Unser Sohn hat eine bessere Partie verdient.«

      »Das können wir nicht beurteilen, Walter.«

      Der Fabrikant wiegte den Kopf. »Die Richtige wird kommen. Edmund braucht eine Frau aus gutem Hause, die etwas mitbringt, die Möbel Kettler voranbringt und nicht umgekehrt schröpft.«

      Gisela fröstelte beim Anblick der Kondenstropfen, die sich am Glas bildeten. »Legst du bitte Holz nach, Darling? Es ist nur noch wenig Glut im Kamin. Und es regnet ununterbrochen.«

      Verständnislos zuckte er mit den Schultern. »Wir haben Sommer, kalendarisch seit zwei Tagen schon. Ich finde, es ist warm genug im Raum, aber wenn du meinst …« Seufzend begab er sich zum Holzlagerfach, nahm einige Scheite heraus und warf sie ins Feuer. Mit dem Schürhaken stocherte er nach.

      »Die Konkurrenz ist groß und nimmt beständig zu«, fuhr er fort, während er ächzend Platz nahm. Er hatte seit der Währungsreform fast 20 Kilo zugenommen. Die Schneiderin hatte unentwegt zu tun, die zu eng gewordene Kleidung zu ändern. Seine Frau versuchte es bereits mit Diäten, aber er hielt nichts davon, war froh, dass es wieder genug zu essen gab, und genoss die reiche Auswahl auf dem Tisch. »Wir brauchen Mittel, um zu investieren. Die Maschinen sind nicht die modernsten und genügen den heutigen Ansprüchen in keiner Weise. Die Kunden verlangen Kunststoffmöbel, kein Echtholz mehr. Sie wollen Farben, die aussehen wie Bonbons oder Eissorten. Das schaffen wir mit unseren Maschinen nicht. Kurz gesagt, wenn schon eine Schwiegertochter, dann eine aus gutem Hause.«

      Walter Kettler lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor dem Wohlstandsbauch. Es war noch gar nicht lange her, nicht einmal zwölf Jahre, da hatte er mit leeren Händen vor seinem zerstörten Betrieb gestanden. Eine Bombe hatte das Zentrallager in Bramsche getroffen. Nichts war ihm geblieben. Und heute besaß er eine florierende Firma, die munter auf der Wirtschaftswunderwelle mitschwamm. All das hatte er selbst fertiggebracht, mit Weitsicht, Fleiß, Klugheit und einer gewissen Portion Egoismus. Sicher, die Zeit war ihm zu Hilfe gekommen, die große Nachfrage der Kunden, die Tatsache, dass er auf das richtige Pferd gesetzt und in Möbel investiert hatte. Aber vor allem hatte er es seiner Tüchtigkeit zu verdanken, dass es seiner Familie heute so gut ging. Walter Kettler hatte das richtige Gespür für die Zeichen der Zeit. Die Leute waren wie wild auf neue Möbel, Teppiche und Stoffe, um ihre Wohnungen geschmackvoll und modern einzurichten. Sie hatten auch keine Scheu mehr wie früher, auf Pump zu leben. Im Gegenteil, Ratenkauf war sehr beliebt. Deshalb würde es sich lohnen, in Werbung zu investieren. Sein Eintrag im Branchenbuch der Stadt Osnabrück

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