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den Tresen ging, stach ihm der typisch süßlich-metallische Geruch nach Blut in die Nase. Ein wenig roch es auch nach Urin. »Was sagt der Arzt?«, fragte er die ältere Frau, die plötzlich wieder vor ihm stand.

      »Dr. Cordes war nicht lange da. Eine kurze Untersuchung, dann war alles klar. Er hat den Totenschein ausgefüllt. Mehr war nicht zu tun. Mein Schwieger- …, also der Bekannte meiner Tochter, ist umgebracht worden. Oder hat sich selbst gerichtet, wie auch immer.«

      Conradi horchte auf. »Wie kommen Sie auf Suizid? Gab es dafür Anzeichen? War er depressiv oder hat damit gedroht, sich umzubringen?«

      »Zu keiner Zeit. Er war stolz auf seinen Laden, hat es in kurzer Zeit zu viel gebracht. Meiner Tochter ging es gut. Uns allen ging es hervorragend. Wir hatten keine Sorgen, mussten nicht mehr hungern und konnten uns wieder etwas leisten.«

      »Nun, warum dann Suizid? Haben Sie die Tatwaffe und einen Abschiedsbrief gefunden?«

      »Das nicht, aber wer schießt denn einem anderen in den Kopf? Das macht doch kein normaler Mensch.«

      Conradi ging zu der Leiche und schlug die Decke zurück. Mit geübtem Auge verschaffte er sich einen ersten Überblick. »Wenn er sich das Leben genommen hätte, müsste ihm die Schusswaffe aus der Hand geglitten sein. Ich sehe hier aber keine Waffe.«

      »Ich auch nicht.«

      »Könnte es sein, dass Ihre Enkelin sie an sich genommen hat oder jemand anders?«

      Wilma Müller schüttelte entschieden den Kopf.

      Der Friseur war durch einen gezielten Kopfschuss in die rechte Schläfe zu Tode gekommen. Das Projektil war wieder ausgetreten. Es lag drei Meter entfernt links vom Toten, von Conradi aus gesehen rechts. Er hob es auf und betrachtete es lange. Dann holte er eine kleine Tüte aus der Aktentasche und steckte es ein. Der Inspektor suchte nach weiteren Einschüssen, es waren aber keine zu erkennen, auch keine Fehlversuche. Offenbar war Rolf Schmalstieg vom Täter überrascht worden, hatte sich nicht gewehrt. Wie es aussah, hatte ein einziger Schuss ausgereicht, um ihn zu töten. Ein heimtückischer Mord, auf den die Höchststrafe stand. Zudem ein Präzisionsschuss, der Täter musste Ahnung vom Schießen haben. Die Art der Tötung erinnerte an eine Hinrichtung. Wer hat den Friseur hingerichtet und warum?

      »Wo haben Sie Ihren Schwiegersohn gefunden? Hier, an Ort und Stelle?«

      »Er ist nicht mein Schwiegersohn. Lieselotte und er waren nicht verheiratet. Sie hätten es aber getan, wenn es möglich gewesen wäre.«

      »Warum war es nicht möglich?«

      »Lieselotte ist bereits verheiratet. Ihr Mann war lange … nun ja, er war lange in Gefangenschaft.«

      »Und heute? Ist er wieder da?«

      »Ich weiß nichts davon, da müssen Sie mit meiner Tochter sprechen.«

      »Nun gut, zurück zu meiner Frage. Wurde der Tote bewegt?«

      »Wir haben ihn nur ein bisschen zurückgezogen und zugedeckt. Er war an der Kasse, wollte wohl gerade die Abrechnung machen. Die Lade stand offen. Ich habe sie geschlossen.«

      »Fehlt etwas?«

      »Darüber könnte Ihnen vielleicht meine Enkelin Auskunft geben, die arbeitet als Friseuse mit im Geschäft.«

      »Wer noch? Ich sehe hier sieben Frisierplätze. Da muss es doch weitere Mitarbeiter geben.«

      »Ja, Frau Nolte. Aber die hat heute frei wegen Fußball. Rolf hat den Laden extra so groß geplant, weil er gehofft hat, irgendwann mehr Mitarbeiter einstellen zu können. Das war bisher nicht möglich. So gut hat er auch wieder nicht verdient.«

      »Wo ist Ihre Tochter? Ich würde sie gerne sprechen.«

      »Meine Tochter hat einen Nervenzusammenbruch erlitten. Sie liegt oben und weint. Mit Mühe habe ich sie die Treppe hochgeschafft. Der Arzt wollte nach ihr sehen, aber sie ließ ihn nicht zu sich. Sie will allein sein. Es geht ihr sehr schlecht.«

      Der Kriminalkommissar nahm das Laken ab und schlug den grauen blutbeschmierten Kittel zurück, riss Schmalstiegs Hemd auseinander und bemerkte wenige zartviolette Flecken auf dem Oberkörper, die auf Druck verschiebbar waren. Die Körpertemperatur war noch mäßig warm, hatte sich aber bereits abgekühlt. Die Augen des Toten waren geschlossen, der Mund stand halb offen. Die Gesichtsfarbe war gelblich-grau, wie wächsern. Der Tote hatte sein menschliches Antlitz verloren.

      »Haben Sie die Augen geschlossen?«, wollte Conradi von Wilma Müller wissen.

      »Nein, das war der Arzt.«

      Johann Conradi fuhr sich mit der Hand über die kurzgeschnittenen dünnen Haare. Der Haaransatz ging immer weiter zurück, was ihn ärgerte. Noch versuchte er, die kahlen Stellen mit Haarsträhnen zu verdecken, aber bald würde ihm das nicht mehr gelingen. Sein Vater hatte in seinem Alter eine Glatze gehabt. Er vermisste ihn.

      Die wichtigsten Menschen in seinem Leben hatten sich innerhalb weniger Jahre verabschiedet.

      »Wir müssen von einem Gewaltverbrechen ausgehen. Haben Sie einen Verdacht?«

      Die zierliche alte Dame zupfte die silbernen Löckchen zurecht. Dabei baumelten ihre goldenen Ohrringe mit grünen Schmucksteinen hin und her. »So etwas macht nur ein Irrer.« Sie machte eine abwehrende Handbewegung.

      Kurz darauf erschien eine junge Frau mit geröteten Augen.

      »Sie sind Bettine?«, brachte sich Fritz Starnke ins Spiel.

      Sie nickte.

      »Bettine … und wie weiter?«

      »Eigentlich Korittke. Aber ich soll Schmalstieg sagen. Die Kunden kennen mich nur so. Manche sagen aber auch Fräulein Bettine zu mir.«

      »Sie wohnen hier?«

      Wieder ein Nicken. Gesicht und Hals waren vom Weinen rotgefleckt, die Haare zerzaust.

      »Können wir irgendwo in Ruhe reden?« Mit einem Fingerzeig machte Starnke klar, dass er damit nur sich, seinen Kollegen Conradi und Bettine meinte.

      Sie ging voran, führte die Polizisten über eine steile Treppe nach oben in die Privatwohnung und dirigierte sie ins Wohnzimmer. Das Radio lief noch. Ein völlig aufgelöster Sprecher schrie mit sich überschlagender Stimme etwas von sieben Toren und einem glücklichen Tag für die deutsche Mannschaft, von einer großartigen Leistung und Erfolg auf der ganzen Linie, von der Hoffnung auf den Endsieg der Fußballweltmeisterschaft 1954. Bettine schaltete es aus. Bei einem Seitenblick auf seinen jungen Kollegen bemerkte Conradi die Enttäuschung in dessen Gesicht. Wohl zu gerne hätte er es sich vor dem Radiogerät bequem gemacht, bei den Schnittchen zugegriffen und die letzten Minuten sowie die nachfolgende Berichterstattung in allen Zügen genossen.

      Bettine schloss die Zimmertür, setzte sich aufs Sofa und bot den beiden Polizisten an, auf den bonbonfarbenen Sessel Platz zu nehmen. Conradi staunte über die moderne Einrichtung. Ähnliche Sessel mit abstehenden Beinen hatte er erst kürzlich im Reklameteil der Osnabrücker Tagespost gesehen, leider nur gezeichnet und in Schwarz-Weiß. Auch das dunkelrote Sofa, die niedrige Schrankwand, der Nierentisch und die Beistelltische wirkten wie frisch aus einem Möbelgeschäft.

      »Sehe ich das richtig, unten wurde ein Mensch erschossen und Sie hören hier oben in aller Ruhe Radio?«

      »Nein«, sagte Bettine ruhig. »Wir haben einfach nicht wahrgenommen, dass der Apparat noch lief. Sonst hätten wir ihn ausgeschaltet.«

      Conradi gab sich mit der Antwort zufrieden. »Sie sagten am Telefon, Sie seien allein gewesen, als Sie ihn fanden. In welcher Beziehung standen Sie zueinander?« Er ordnete seine feinen Haare, als er den prüfenden Blick der jungen Friseurin bemerkte. Sicher würde sie ihm für den dünner werdenden Ansatz ein Toupet empfehlen.

      »Er war mein Chef. Und mein Stiefvater. Der Lebensgefährte meiner Mutter.«

      »Verheiratet waren die beiden nicht?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits wusste. Aber er wollte ihre Reaktion zu dem Thema sehen.

      »Nein,

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