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von Fischer-Epe gesprochen, wächst der Bereich »Arbeit und Leistung« zu einem sogenannten Roten Riesen heran. Rote Riesen heißen in der Astronomie alternde Sonnen, die kurz vor der Explosion stehen. Und ähnlich wie bei Sternen passiert bei Burnout-Betroffenen das, was passieren muss: Sie implodieren und fallen aus dem System heraus.

      Noch düsterer sieht es aus, wenn Menschen ihre Arbeit verlieren. Fischer-Epe beobachtet in ihren Studien, wie Führungskräfte durch Arbeitslosigkeit in eine ungewöhnlich große Krise gestoßen werden, die »in ihrem Ausmaß oft nur aus der besonderen Bedeutung dieses Themas für das Selbstwertgefühl« nachzuvollziehen ist.7 Das gilt beileibe nicht nur für Manager und Führungskräfte. Nimmt man Menschen ihre Arbeit als tragende Säule ihrer Identität, wirft man sie zurück auf grundlegende Fragen: Was macht mich eigentlich als Person aus, auch ohne gut bezahlten Job? Bin ich überhaupt noch etwas wert? Verändert sich mein Verhältnis zu meiner Familie, meinem Partner? Viele Arbeitnehmer haben sich diesen Fragen bislang nicht gestellt; als entsprechend belastend werden sie nun erlebt. Bislang war fast jede Situation durch Selbstdefinitionen wie »hart arbeitend«, »Ernährer«, »sozialer Status« geerdet. Im Burnout fällt dieses Korsett weg und man muss zu einem Selbstverständnis jenseits der Arbeitsrolle finden.

       Was macht mich als Person aus? Bin ich noch etwas wert?

      Als Teil der westlichen Wohlstandsgesellschaft war ich darum verblüfft, als ich 2003 auf einer Reise durch Australien mit der Kultur der Aborigines in Kontakt kam. Die Ureinwohner Australiens kannten bis vor Kurzem das westliche Arbeitskonzept überhaupt nicht. Im Norden des Kontinents, in Darwin, unterhielt ich mich mit einem Veranstalter von Outback-Safaris, der mir diese Mentalität schilderte. Man versuche, die Aborigines in Jobs zu vermitteln – als Angestellte einer Wäscherei, als Touristenführer, Verkäufer etc. »Es funktioniert nicht«, berichtete der Reiseleiter. »Sie begreifen nicht, dass sie dableiben müssen. Wenn sie den Ruf des Walkabout [die Aufforderung, an einer Stammesversammlung teilzunehmen] hören, lassen sie einfach alles stehen und liegen und verschwinden in den Busch. Das Konzept ›Arbeit gegen Geld‹ ist ihnen völlig fremd.«

      Es ist erfrischend und erhellend, hautnah eine völlig andere Einstellung zum Thema »Arbeit und Geld« zu erfahren. Geld als symbolisches Tauschmittel für Arbeitsleistung, Erfolg und materiellen Konsum kommt im kulturellen Koordinatensystem der Aborigines nicht vor. Die Ureinwohner Australiens haben seit über 40 000 Jahren ein sehr entspanntes Verhältnis zu dem für sie nebensächlichen Thema »Arbeit« – ganz anders als wir in der westlichen Welt, die wir die Arbeit an sich auf einen Altar heben und aufgrund des mit Arbeit verdienten Geldes lächerliche »Mein Haus, mein Boot, mein Auto«-Vergleiche veranstalten.

      Können wir im Gesellschaftsspiel um Karriere, Geld und erkauftes Glück keine neuen Karten mehr zücken, wird es für manche eng. Besonders Männer trifft beispielsweise eine Entlassung in ihrer Rolle als Ernährer, Versorger und Beschützer der Familie hart. Im modernen männlichen Selbstkonzept hat sich das frühzeitliche Beschützen vor dem Säbelzahntiger in die eher materielle Fürsorge für die Familie verwandelt. Entlässt man den modernen Mann, schlägt man ihm die Keule aus der Hand und verstößt ihn aus dem Stamm, in dem er nun mal keine sinnvolle Funktion mehr hat. Es gibt arbeitslose Männer, die ihren Frauen noch monatelang eine heile Arbeitswelt vorspielen: Sie gehen morgens aus dem Haus und tun so, als gingen sie zur Arbeit. Dabei verschwinden sie im Café um die Ecke und tauchen erst abends wieder auf, möglicherweise noch mit erfundenen Geschichten aus dem Kollegenkreis. Daran erkennt man, wie groß das Leid der aus der Gruppe der arbeitenden Bevölkerung Ausgestoßenen ist.

       Hast du Arbeit, bist du etwas wert. Wenn nicht, dann nicht.

      Burnout, Entlassung und Arbeitslosigkeit sind die neuralgischen Punkte einer Gesellschaft, die Arbeit zu ihrem Daseinszweck erhöht. Hast du Arbeit und leistest du was, bist du was wert. Wenn nicht, dann nicht. Kein Wunder, dass in Deutschland alles, was mit Arbeit zu tun hat, in teilweise hysterisch-neurotischen Tönen diskutiert wird: Hartz IV, Mindestlöhne, Reichensteuer, Managerbezüge. Weil Arbeit praktisch bei jedem Menschen identitätsstiftend und gleichzeitig ein durch Entlassungsdrohung und Burnout potenziell hoch angstbesetztes Thema ist, können wir als Gesellschaft darüber auch nicht ruhig und sachlich diskutieren.

      Im Endeffekt leben wir im Spannungsfeld von Arbeit als Lebensinhalt und deren ständiger Bedrohung durch persönliche Sinnkrisen, wirtschaftliche Krisen und Entlassung. Besserung ist erst in Sicht, wenn wir lernen, die Bedeutung der Arbeit für uns selbst und unser geistiges Wohlbefinden deutlich zu reduzieren. Dadurch würden wir mehr für die Prävention von Burnout tun als mit allen gut gemeinten Zeitmanagement-Seminaren zusammen.

      Mit 21 Jahren wurde bei Theresa Häuser Hochbegabung diagnostiziert. Sie hatte sich aus Neugier durch ganze Batterien von Intelligenz- und Persönlichkeitstests gewühlt und mehr über sich herausgefunden, als sie wissen wollte.

      Was für andere wie ein Sechser im Lotto klingt, war für sie eine enorme Belastung. Natürlich ist es schön, als Hochbegabter Dinge schnell zu begreifen, zu analysieren und auf vielen Gebieten Wissen anzuhäufen. Die Kehrseite der Medaille besteht für die meisten Hochbegabten darin, partout nicht herauszufinden, welchen beruflichen Weg sie denn nun einschlagen sollen. Weil sie bis zu einem mehr als ansprechenden Niveau die meisten Fächer und Gebiete einfach sehr schnell lernen.

      Als sie mit Mitte 30 zu mir ins Coaching kam, meinte sie einmal: »Mathematik ist mein schlechtestes Gebiet. Trotzdem hätte ich immer noch Mathematik studieren können. Aber hätte es mich glücklich gemacht?« Solche »Hätte, könnte, würde«-Debatten sind typisch für Hochbegabte. Theresa Häuser hatte schlussendlich nicht Mathematik studiert. Heute hat sie aus der Not eine Tugend gemacht, indem sie auf eine Stromlinienkarriere verzichtete. Sie war bei mehreren Firmen beschäftigt, wechselte einmal die Branche und ist heute, mit knapp 38 Jahren, erfolgreich als Beraterin selbstständig.

      Zu meinen Klienten gehören auch Hochbegabte wie Frau Häuser, deren Lebenslauf sich wie aus einem Karrieretraum-Poesiealbum liest, die aber kreuzunglücklich sind. Sie könnten viele Positionen erfolgreich ausfüllen und zweifeln trotzdem stark an sich. Ein ausgeprägtes Jobhopping ist die Folge. Weil sie sich nicht an Feedback von außen orientieren können (weil sie einfach viele Dinge sehr schnell begreifen und beherrschen), müssen sie sich allein auf ihren inneren Kompass verlassen, der ihnen sagen soll, welchen Berufsweg sie nun einschlagen. Und das gestaltet sich meist schwierig. Nach außen erfolgreich, fragen sie sich manchmal ihr Leben lang: War diese Wahl richtig? Oder hätte ich mein Potenzial noch besser nutzen sollen? Wenn ich mit Hochbegabten arbeite, gebe ich ihnen meist einen Satz der Journalistin Mary Schmich mit auf den Weg: »Einige der interessanten Menschen, die ich kenne, wissen mit 22 noch nicht, was sie werden wollen. Und einige der interessantesten wissen es mit 40 auch noch nicht.«8

       Die bonbonfarbene Lüge unserer Spaß- und Erfolgsgesellschaft lautet: Du kannst alles schaffen!

      Man muss nicht hochbegabt sein, um an seiner Berufswahl zu zweifeln. Auch »ganz normale« Menschen spüren manchmal einen leisen Zweifel, eine Sehnsucht, wie es wohl wäre, wenn sie ihr Leben anders gelebt hätten. Dieser Zweifel wird besonders der heutigen jungen Generation eingepflanzt, egal wie begabt sie ist. Es ist die bonbonfarbene Lüge unserer Spaß- und Erfolgsgesellschaft: »Du kannst alles schaffen!«

      Diese Lüge lässt sich mit Blick auf den Unterschied zwischen den Botschaften der Medien und den Nachwuchssorgen von Unternehmen allerdings schnell entlarven. Eine nicht unerhebliche Anzahl junger Menschen unter 20 Jahren glaubt inzwischen ernsthaft, das Berufsleben gleiche einer Castingshow: sich einmal präsentieren, sich seine fünf Minuten Ruhm abholen und dann davon zehren. Dass zu einem Beruf Durchhaltevermögen, Kreativität, soziale Intelligenz und nicht zuletzt eine gehörige Portion Bildung gehören, ignorieren sie. Auf der anderen Seite stehen vor allem mittelständische Unternehmen, die händeringend Nachwuchs suchen. Es würden sich entweder gar keine jungen Leute melden oder nur solche, die zu ungebildet sind, klagen viele Arbeitgeber. Hier eine kleine Anekdotensammlung:

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