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wie bei einem Mord oder entstellenden Unfall eintritt. Hier wird der vernichtende Tod als etwas Furchtbares mit Gefühlen des Grauens erfahren. Auch Suizide werden häufig als Selbstvernichtung des nahen Menschen erlebt, der dabei auch die Beziehung zu den Hinterbliebenen vernichtet oder zumindest fundamental in Frage stellt.

      •Gewaltförmigkeit des Verlustes: Traumatisierende Verluste haben häufig gewaltsame Aspekte, z. B. bei einem tödlichen Unfall. Wird dabei auch der Körper des nahen Menschen (wie beispielsweise bei einem gewaltförmigen Suizid durch Erschießen) entstellt, wird die Gewalt des Verlustes konkret sichtbar. Oft wirken auch die vorgestellten Bilder vom verletzten, entstellten Körper des nahen Menschen traumatisierend. Je gewaltsamer der Tod des geliebten Menschen erlebt wird, desto stärker ist auch die Vernichtungserfahrung, und desto stärker ist die traumatisierende Wirkung des Verlustes.

      •Erlebte Todesnähe: Wird der Tod des nahen Menschen unmittelbar wie bei einem Unfall miterlebt, wird die Nähe des Todes durch eine eigene Lebensgefährdung selbst erfahren. Kommt dazu wie bei Kriegshandlungen die eigene Lebensbedrohung durch Gewaltandrohung, wird die traumatische Wirkung des Verlustes erhöht.

      Zudem wird durch den miterlebten Tod des nahen Menschen eine unmittelbare bedrohliche Todesnähe erlebt, die eine existenzielle Ohnmacht und Lähmung bewirkt.

      •Zufälligkeit und Sinnlosigkeit des Verlustes: Betroffene erleben den schweren Verlust intuitiv als sinnlos und als Ergebnis zufällig zusammentreffender, willkürlich erscheinender Ereignisse. Dies erzeugt ein ungläubiges, entsetztes Nicht-Verstehen, verbunden mit einer bodenlosen Leere und dem Gefühl der Sinnlosigkeit. Oft wird der Tod des nahen Menschen auch als willkürlich und ungerecht erlebt, was eine wütende Ohnmacht auslöst.

      Die hier genannten Kriterien eines traumatischen Verlustes wirken kumulativ auf die Betroffenen und erklären die traumatisierende Wirkung einer solchen Erfahrung.

       Merke!

       Ein traumatisierender Verlust ist als eine plötzliche und schreckliche existenzielle Vernichtungserfahrung zu verstehen, die oft gewaltförmig ist.

      Folgende Verlustsituationen werden in aller Regel als traumatisierend erlebt:

      •Verlust eines Kindes

      •Suizid des Angehörigen

      •Verluste in der Kindheit und Jugend

      •Verluste in der Schwangerschaft und bei der Geburt

      •Unfalltod und plötzlicher Tod durch Herztod, Ruptur eines Aneurysmas oder aufgrund anderer medizinischer Ursachen

      •traumatische Erfahrungen des Verstorbenen vor seinem Tod, z. B. bei Behandlungsfehlern im medizinischen Kontext

      •Verluste bei scheinbarer oder realer eigener Mitverantwortung der Hinterbliebenen

      •Verluste bei Man-made-Katastrophen und damit Mitverantwortung anderer

      •Mehrfach-Verluste

      •Großschadensereignisse und Beteiligung der Massenmedien

      •entwürdigende Behandlung des Verstorbenen

      •uneindeutiger und/oder unvollständiger Verlust, z. B. keine Möglichkeit des Abschiednehmens zu Beginn der Corona-Krise

      •Verluste bei der Flucht und Migration

      •Reaktivierung früherer Verlusttraumata oder anderer Traumata

      Jede dieser traumatisierenden Situationen, von denen diese Aufzählung eine unvollständige Auswahl darstellt, hat eine ganz eigene Dynamik und auch besondere Aspekte der Traumatisierung. Ich werde immer wieder auf einzelne der hier aufgeführten Verlusttraumata und der entsprechenden Fallbeispiele eingehen.

      An dieser Stelle möchte ich kurz auf Flüchtlinge zu sprechen kommen, die häufig schon in der Heimat und dann oft auf der Flucht nahe Menschen auf traumatisierende Weise verlieren oder sie in der Heimat mitsamt derselben zurücklassen müssen. Häufig erleben sie auch bei der Überfahrt selbst lebensbedrohliche, traumatisierende Umstände. Deshalb sind Flüchtlinge meist multipel von Verlusttraumata und traumatisierenden Lebensbedrohungen betroffen, sind also mehrfach Traumatisierte und schwer Trauernde. Weil dann ihr Aufenthaltsstatus oft unsicher ist, kann eine Verlusttrauma-Psychotherapie nur sehr begrenzt durchgeführt werden und es muss häufig zunächst bei der Stabilisierung bleiben.

       1.3Traumatisierende Kontexte von Verlusten

      Die oben genannten Kennzeichen bei schweren Verlusten reichen in aller Regel aus, um ein Verlusttrauma bei den Betroffenen zu bewirken. Sehr häufig gibt es aber auch Kontexte beim Sterben und Tod des Angehörigen, die die Traumatisierung der Hinterbliebenen massiv verstärken. Die Mutter im obigen Fallbeispiel 1 erlebt mehrere massiv traumatisierende Situationen, beginnend beim Wahrnehmen der Leblosigkeit des Jungen über das Miterleben der Notfallmaßnahmen, das verzweifelte Warten, die Mitteilung des Todes und schließlich das Auftauchen der Polizei mit ersten Befragungen.

      Bei der Arbeit mit traumatisierten Hinterbliebenen müssen wir deshalb die konkreten Umstände des Todes des nahen Menschen und des Miterlebens oder der Mitteilung des Todes erfragen, um deren traumatisierende Wirkung einschätzen zu können:

      •Miterleben des Todes des nahen Menschen: Das unmittelbare Erleben des Todes eines nahen Menschen ist in aller Regel massiv traumatisierend, weil sein Sterben über das Mitgefühl direkt am und im eigenen Körper miterlebt wird. Zudem sind hier der eigene Kontrollverlust und die eigene Ohnmachtserfahrung, aber auch Versagensgefühle, den Tod nicht verhindern zu können, besonders stark. So erlebt die Ehefrau, deren Mann in ihren Armen mit einem plötzlichen Herztod zusammenbricht, das Sterben ebenso unmittelbar wie die eigene Hilflosigkeit, ihn nicht mehr retten zu können. Auch die Erfahrung der Todesnähe, manchmal auch der eigenen Todesbedrohung z. B. bei einem Unfall, verstärkt die traumatisierende Wirkung solcher Verlustsituationen.

      •Erlebtes oder vermutetes Leiden beim Tod des nahen Menschen: Für viele Hinterbliebene ist das Erleben oder die Vermutung, dass der nahe Mensch bei seinem Sterben leiden musste, unerträglich. Das Leiden des Verstorbenen wird über das Mit- und Einfühlen als eigenes Leiden am eigenen Körper und damit häufig als traumatisierend erlebt.

      •Auffinden des Verstorbenen: Meist rechnen die Hinterbliebenen nicht damit, ihren nahen Menschen verunglückt, leblos oder tot vorzufinden, so wie die junge Frau, die ihre jüngere 16-jährige Schwester erhängt im Treppenhaus entdeckt. Sie sinkt auf die Treppen nieder und bleibt lange Zeit in einer totalen Erstarrung, bevor es ihr gelingt, die Notfallnummer in ihrem Handy einzugeben.

      In der Auffindesituation wird der verstorbene Mensch meist sehr ausgeliefert, sehr ohnmächtig, manchmal auch entstellt oder in entwürdigenden Situationen vorgefunden. Auch das Schließen des Sarges und das Wegbringen des Leichnams durch das Bestattungsunternehmen kann noch einmal zusätzlich als traumatisierend erlebt werden.

      •Überbringung der Todesnachricht: Obwohl die Todesnachricht in aller Regel professionell von Polizei und Krisendienst oder Notfallseelsorge überbracht und eine Betreuung angeboten wird, ist die Situation für viele Hinterbliebenen doch traumatisierend, weil sie meist völlig unerwartet und ganz plötzlich kommt. Die Hinterbliebenen sind der Wucht der Nachricht, die selbst unfassbar, irreal und absurd klingt, ausgeliefert. Ein Elternpaar wird nachts um vier Uhr aus dem Schlaf gerissen. Vor der Tür stehen die Polizei und der Krisendienst, um den Unfalltod des 20-jährigen Sohnes nach seinem Diskobesuch mitzuteilen.

      •Mitbeteiligung am Tod des nahen Menschen: Sind die Hinterbliebenen kausal am Tod des nahen Menschen beteiligt, das heißt für seinen Tod mitverantwortlich, so wirkt das schockartig eintretende existenzielle Schuldgefühl massiv traumatisierend. Ein Mann verliert durch einen Sekundenschlaf die Kontrolle über das Auto und kommt von der Fahrbahn ab, dabei stirbt das befreundete Ehepaar im Fond des Wagens. Noch an der

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