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ein gemeinsames Frühstück gut in die zeitlichen Abläufe aller Beteiligten passt. Dienstreisen, veränderte Tagespläne und andere Umstände machen Ausnahmen immer notwendig. Werden diese Spielregeln jedoch quasi nach dem Zufallsprinzip variiert, wird es den Kindern schwerfallen, sich in diesem System gut zu entwickeln.

      Vor- und Nachteile unflexibler Systeme

      Ein allzu starres System ist aber auch keine gute Lösung. Starre Systeme dulden keine Ausnahmen. Da müssen es zum Beispiel die heranwachsenden Jugendlichen lange und umständlich begründen, wenn sie keine Lust (mehr) auf ein gemeinsames Frühstück haben. Für die Kinder passt das in ihre Entwicklungsphase, für die Eltern ist das eher mühsam. Vielleicht haben sie sich einfach noch nicht daran gewöhnt, dass die Familie nun in eine andere Phase geht und hierfür neue Spielregeln notwendig sind. Manchmal machen die Eltern einfach die Entwicklung der Kinder nicht mit. Sie bleiben bei ihren tradierten Vorstellungen und bemerken gar nicht, wie sich die Kinder weiterentwickeln. Vielleicht sehnen sie sich auch einfach nach der Zeit zurück, in der die Kinder noch klein waren. So behandeln sie dann ihren 14-jährigen Sohn wie den Vierjährigen – und das schon seit zehn Jahren …

      Nachteile von zu hoher Prozesskomplexität

      Die mangelnde Fähigkeit, Veränderungen wahrzunehmen und sich an diese anzupassen, bringt Starre in ein System – es wird dadurch aber eher zerstört als stabilisiert. Unter dem Vorwand, die Prozesse zu stabilisieren, wird in Unternehmen oft bewusst eine Starre installiert. Großunternehmen sind für diese Starre wesentlich empfänglicher als kleine Unternehmen. Komplexe Systeme brauchen mehr Steuerung, wenn sie nicht auf Vertrauen und Verantwortung basieren. Je unüberschaubarer die Vorgänge sind und je weniger Verantwortung delegiert wird, umso komplexer müssen Prozesse Regeln und Abläufe abbilden, an denen sich die einzelnen Mitarbeiter orientieren können. Und wir haben ja gesehen, dass mit zunehmender Prozesskomplexität die Zahl der Redundanzen und Widersprüche ansteigt. Daraus kann man schließen, dass es kaum eine Möglichkeit gibt, eine absolute Steuerung und Kontrolle für komplexe Prozesse anzubieten.

      Was einfache Regelungen bewirken

      In Indien gibt es beispielsweise eine Schule, die nur eine bestimmte Haltung von Lehrern und Schülern verlangt. Wenn alle diese Haltung verinnerlichen, dann braucht das Miteinander kaum noch andere Regeln und Prozesse. Diese Einstellung, zu der sich jeder bekennen muss, der an dieser Schule sein möchte, heißt: »Wir lernen, um anderen zu helfen.« Diese Schule hat inzwischen einen enormen Zulauf. Die Einigkeit in der übergeordneten Haltung macht ein starres darunterliegendes System überflüssig.

      Dieser Grundsatz ist allerdings nicht flexibel handhabbar. Wer dem System beitritt, akzeptiert das. Übertragen auf ein Unternehmen bedeutet das, dass nur jene Menschen an Bord genommen werden, die in die Unternehmenskultur passen. Kommt es bei aller Unterschiedlichkeit im Denken und Handeln zu Unterschieden in der grundsätzlichen Haltung, dann wird man in der Regel versuchen, diese Einigkeit über starre Regeln und Prozesse wieder herbeizuführen. Dass das nicht gelingen kann, haben Sie sicher schon an vielen Stellen selbst erfahren.

      Fokussierung statt Konzentration

      Planungen schränken darüber hinaus immer den Blickwinkel ein. Mit der Konzentration auf bestimmte Ziele lasse ich andere außer Acht. Ich treffe Annahmen über meine Erwartungen, die meine Aufmerksamkeit genau auf diese Aspekte lenken. Aufgrund dieser Erwartungen werden gelenkte Entscheidungen getroffen. Erwartungen schaffen genauso viele Probleme wie Pläne und Ziele. Das macht es eben so schwierig, achtsam zu handeln, wenn man zu sehr mit Plänen und Zielen beschäftigt ist. Deswegen unterscheiden wir hier so genau zwischen Konzentration und Fokussierung. Eine Fokussierung ermöglicht immer noch den Seitenblick – eine Konzentration nicht.

      Ziele flexibel gestalten

      Ziele schaffen Erwartungen und Erwartungen mobilisieren die Energie, seine Ziele zu erreichen. Durch die Konzentration auf das Erreichen des Ziels und die stetig steigende Erwartungshaltung wird häufig viel Energie und damit auch Hoffnung gebunden. Die Wahrnehmung ist oft sehr eingeschränkt und enttäuschte Gefühle sind fast unvermeidbar. Die meisten Ziele gehen nicht genau so in Erfüllung, wie man es sich vorgenommen hat: weder im Unternehmen noch im Leben. Es gibt immer Abstriche, Kompromisse und Ergänzungen. Das ist auch in Ordnung und manchmal sogar noch besser als das ursprüngliche Ziel. Doch viele von uns nehmen diese Abweichungen eher als Abstrich oder Zugeständnis wahr und sehen darin eben nicht eine viel bessere Lösung für das ursprüngliche Problem.

      Zufällige Ziele: ein Geschenk

      Sich über alles zu freuen, was gelingt, unabhängig davon, ob es nun in meinem Zielkorridor war oder nicht – das ist eine Haltung, die viel mehr Erfolg verspricht. Auch Ziele, die Sie sich nicht bewusst gesetzt und quasi nebenbei erreicht haben, machen den Erfolg aus. Viele bahnbrechende Erfindungen sind rein zufällig entstanden. Denken Sie zum Beispiel an die Entdeckung der Röntgenstrahlen, die aus purem Zufall gelang, oder an die Erfindung des Penicillins, die im Grunde nur das Ergebnis von Faulheit war: Weil die Reinigung einer Petrischale vergessen wurde, konnte der Pilz wachsen.

      Achtsamkeit als Indikator für Veränderungen

      Wenn wir uns auf ein Ziel konzentrieren, gibt uns das das Gefühl, die Dinge unter Kontrolle zu haben. Wir glauben, einen Prozess genau zu kennen und die Parameter so einstellen zu können, dass wir erfolgreich sind. Das kann auch gelingen. Es klappt aber nicht immer. Denn wir verlieren den Fokus, also die Achtsamkeit gegenüber den Dingen, die sich entweder verändern, mehr Gewicht bekommen oder deren Wirkung nachlässt. Weick (2003) formuliert das so:

      »Achtsamkeit gründet in der Erkenntnis, dass Wissen und Unwissenheit gemeinsam wachsen. Wenn das eine zunimmt, nimmt auch das andere zu. Achtsame Menschen akzeptieren die Tatsache ihrer eigenen Unwissenheit und geben sich große Mühe, ihre Lücken aufzudecken, weil sie sehr wohl wissen, dass jede neue Antwort eine Vielzahl von Fragen aufwirft.«

      Mit unliebsamen Informationen umgehen

      Weick empfiehlt, sich nicht auf der sicheren Seite zu fühlen – sich also nicht auf die gefühlte Kontrolle zu verlassen –, sondern immer offen für neue Informationen zu bleiben. Das gilt insbesondere für die Informationen, die man eigentlich gar nicht so gerne hören will: die Dinge, die man bisher für irrelevant gehalten hat, unangenehme Dinge, ungewisse Dinge, implizite Schlüsse oder Widersprüchlichkeiten. Die Fähigkeit, diese unliebsamen Dinge auszublenden, schützt uns nicht davor, dass sie eintreten und berücksichtigt werden müssen. Beziehen wir sie von vorneherein mit ein und widmen ihnen beständig einen Teil unserer Aufmerksamkeit, dann fällt es leichter, flexibel zu agieren und den Handlungskorridor so zu öffnen, dass diese Dinge in unsere Entscheidungen mit einfließen können.

      Eine gute Achtsamkeit öffnet außerdem die Wahrnehmung für positive Ereignisse. Möglicherweise habe ich in meinen Prozessen sehr viele Sicherheitsschleifen eingebaut, die ich so gar nicht brauche. Oder – um ein konkretes Beispiel zu nennen – es werden in langen Exceltabellen Zahlen produziert, die niemand nachfragt und mit denen nicht wesentlich weitergearbeitet wird. Achtsamkeit und die Fähigkeit, über den Prozess hinaus denken zu können, lassen uns bis dahin unberücksichtigte Dinge entdecken, die nun eine hohe Wirkung entfalten können.

      Die ideale Flexibilität

      Flexibilität ist ein sehr wichtiger Wert, der Führung erfolgreich machen kann. Sie ist jedoch kein Wert an sich, der unabhängig von anderen Werten ein System erfolgreich führt. Flexibilität auf der Basis von starken Annahmen und in verantwortlichen Grenzen scheint das zu sein, was Unternehmen in ihrer Kultur anstreben können.

      Es ist sehr wichtig, in seinem Denken immer flexibel zu bleiben. Hilfreich sind Perspektivwechsel, antizipierende Betrachtungen und die Fähigkeit, Erfahrungen aus der Vergangenheit modifizieren und zukunftsfähig machen zu können. Das sollte immer von einer Erkenntnis geleitet sein: Es gibt ohnehin nicht die richtige Entscheidung und was heute wichtig und richtig erscheint, kann morgen ganz anders aussehen. Aber für diese neuen Probleme suchen wir dann morgen die geeignete Lösung.

      Veränderung als Chance

      Veränderungen fordern von uns, immer wieder Abschied zu nehmen und mutig einen neuen Weg zu beginnen. Das muss keineswegs

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