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      Trotz aller Vorbereitung und Einhaltung von Qualitätskriterien und dem Abgleich von Organigrammen kann es passieren: Ein Tandem lernt sich auf der Auftaktveranstaltung kennen – und die Chemie stimmt nicht. Die spontane Sympathie oder Antipathie der Teilnehmenden ist das Einzige, worauf sich die Projektgruppe nicht vorbereiten kann. Dass dieses Phänomen nur sehr selten auftritt, zeigt die Tatsache, dass von bisher mehr als 3.800 von uns gematchten Tandems nur ein einziges aufgrund mangelnder Sympathie aufgelöst und neu zusammengestellt werden musste. Hier hilft primär das offene Gespräch. Während des Interviews und des Abgleichs eventueller Ausschlusskriterien von MentorInnen (siehe Kapitel 3) sollte bereits erwähnt werden, dass es vorkommen kann, dass ein Tandem nicht zusammenpasst und dass das keinerlei Konsequenzen nach sich zieht, außer natürlich der Neuzusammenstellung des Teams.

      Im Idealfall ist die Projektgruppe auf der Auftaktveranstaltung vertreten und erlebt alle Tandems im ersten Kennenlernen. Kommt es hier bei einem Tandem zu einem Störgefühl oder Unstimmigkeiten, ist dies zu berücksichtigen. In den meisten Fällen beruhen diese Gefühle auf Gegenseitigkeit, das heißt, einem Mentee, der seine MentorIn als unsympathisch wahrnimmt, wird selten von der Gegenseite große Sympathie entgegengebracht. Um niemanden zu brüskieren, sollten die Betroffenen dieses Gefühl zeitnah nach der Veranstaltung der Projektgruppe mitteilen. In einer ruhigen Situation können die Beteiligten die weitere Vorgehensweise klären. Um sicherzugehen, dass es sich nicht um eine vorübergehende Irritation handelt, empfiehlt sich zumindest ein reguläres Kennenlerntreffen außerhalb der Auftaktveranstaltung. Sollte es nach diesem Treffen nicht zu dem gewünschten Effekt des »Wir freuen uns auf die gemeinsame Arbeit miteinander!« kommen, hilft nur die sofortige Trennung des Mentoring-Paares und ein erneutes Matching. Dies sollte möglichst schnell und ohne jede Sanktion gegenüber den Mentees passieren, sie haben keinerlei Konsequenzen zu befürchten. Besonders den Mentees gegenüber muss sehr deutlich gemacht werden, dass es sich hier um die Ultima Ratio handelt.

      Arbeitet ein Tandem seit mehreren Monaten regelmäßig und zielführend zusammen und melden sich Mentees erst nach einiger Zeit, um zu sagen, dass sie »sich das doch anders vorgestellt hätten« beziehungsweise »die Mentorin doch nicht den eigenen Wünschen entspricht«, kann man davon ausgehen, dass das Problem nicht in der Zusammenstellung des Tandems liegt. Der Zeitpunkt, zu dem Mentees sich so äußern, geht häufig konform mit dem Verlassen der Komfortzone. Nach den ersten Treffen, dem ersten Kennenlernen hat sich die damit einhergehende Aufregung gelegt, es ist eine Form der Routine eingetreten. Und die Ansprüche der MentorInnen steigen. Im übertragenen Sinne liegt der Finger in der Wunde, die Mentees sollen und müssen sich bewegen, um einen Fortschritt zu erzielen und das Programm erfolgreich zu absolvieren. Hier ist Sensibilität vonseiten der MentorInnen gefragt, um die Mentees zu fordern, aber nicht mit dem eigenen Ehrgeiz zu überfordern.

      Wenn im Idealfall von allen interviewten Personen ausführliche Profilbögen (siehe Kapitel 3) erstellt sind und eine größere Anzahl von MentorInnen zur Verfügung steht, als für das Programm benötigt wird, beginnt der tatsächliche »Zauber des Matchings«. Hier stehen eindeutig die potenziellen Mentees und ihre Themen im Vordergrund. Und das, was zwischen oder hinter den einzelnen Problemen oder Zielen steht. Eine Gefahr im Matching besteht darin, dem (wichtigen) ersten Eindruck zu viel Bedeutung beizumessen.

      Das bedeutet beispielsweise, dass eine Mentee mit dem Thema »Vereinbarkeit von Familie und Beruf« fast reflexartig nach einer weiblichen Begleitung, am allerliebsten mit eigenen Kindern, fragt. Und fast ebenso reflexartig reagiert in den meisten Fällen die Projektgruppe, die unter den MentorInnen besonders intensiv nach einer Mutter, in jedem Fall aber nach einer Frau sucht. Es kann durchaus sein, dass dieser Mentee ein Role-Model als Mentorin helfen würde. Ein weibliches Vorbild, das die gleichen Erfahrungen gemacht hat. Ebenso wahrscheinlich ist jedoch, dass hinter diesem primären Thema »Vereinbarkeit von Familie und Beruf« weitere Aspekte stehen, die von einer Mentorin mit oder ohne Kinder oder auch von einem Mentor optimal begleitet werden können. Dies kann etwa das Thema Führung sein. Vielleicht benötigt die Mentee mehr Vertrauen in ihre eigenen Führungskompetenzen, um Aufgaben zu delegieren. Ebenfalls ist denkbar, dass sich das Problem reduziert, wenn Meetings in der Kernarbeitszeit stattfinden oder sie an einem Tag in der Woche im Home-Office tätig sein kann. Vielleicht stellt sich die Frage nach dem nächsten Karriereschritt; auch hier kann ein männliches Pendant unter Umständen hilfreicher sein als eine Frau in einer ähnlichen Situation.

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      Spontan werden oft Wünsche in Bezug auf persönliche Präferenzen bedient: Eine sensible Mentee wird mit einer für ihre Empathie und Ruhe bekannten Mentorin gematcht, ein zielstrebiger junger Mann mit deutlichen Karriereambitionen bekommt eine im Unternehmen anerkannte männliche Führungskraft, die für eine entsprechende Vernetzung hilfreich ist. Auch hier ist ein zweiter Blick sinnvoll: Welche Kompetenzen können noch gefördert werden? Welche Themen finden im Alltag zu wenig Raum, um bearbeitet zu werden? Häufig ist der erste Gedanke nicht der »perfect match«.

      Matching ist ein Prozess, der Zeit und Kreativität benötigt. Die Tandems haben einen langen gemeinsamen Weg vor sich, dessen Erfolg primär durch ein optimales Matching ermöglicht wird. Dem Projektteam muss seine Verantwortung in diesem Fall sehr deutlich sein. Das Zusammenstellen der Tandems bedeutet, zwei Personen für einen langen Zeitraum (meistens ein Jahr) zusammenzubringen. Die Erfahrung zeigt, dass sowohl Mentees als auch MentorInnen sich innerhalb des Programms deutlich verändern. Ein gutes Matching erfordert Mut zum Querdenken und Fantasie. Sind die PartnerInnen sich zu ähnlich, ist die Chance, dass sie sich sympathisch sind, sehr groß. Ebenso groß ist die Gefahr, dass sie nicht zu optimalen Ergebnissen kommen, weil eine gewisse zwischenmenschliche Reibung fehlt. Zu viel Unterschiedlichkeit zwischen Mentee und MentorIn garantiert zwar diese Reibung, sorgt jedoch vermutlich dafür, dass das Tandem ebenfalls kaum zum Arbeiten kommt, weil die beiden mit Auseinandersetzungen beschäftigt sind.8 Für ein optimal agierendes Tandem benötigt es eine »konstruktive Unähnlichkeit«.

       Konstruktive Unähnlichkeit

      Konstruktive Unähnlichkeit ist das Ideal zwischen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit bei Mentee und MentorIn. Es ist die große Herausforderung für die Projektgruppe, zwei Personen zu einem Tandem zusammenzustellen, die den größtmöglichen Mehrwert miteinander haben. Dieses Fingerspitzengefühl ist das, was »Zauber des Matchings« genannt wird. Hierfür benötigen die Verantwortlichen den Mut, wirklich alle Konstellationen »zu denken« und nicht bereits im Vorfeld zu selektieren. Diese unbewusste Voreingenommenheit ist menschlich und nachvollziehbar, aufgrund verschiedener Faktoren (u.a. Gesetz der Sympathie und Halo-Effekt, auf die später noch eingegangen wird) entstehen Eindrücke, die als Realität wahrgenommen werden. In der Mentoring-Beziehung ist es durchaus erwünscht, dass beide TeilnehmerInnen sich ein Stück weit aus ihrer Komfortzone und ihren üblichen Gedankengängen herausbewegen. Dies erfordert von Mentees und MentorInnen den Mut, sich auf das Abenteuer neuer Erfahrungen einzulassen – und von den Verantwortlichen die Courage, sich von feststehenden Meinungen zu lösen. Auf den ersten Blick unpopuläre Entscheidungen in Bezug auf die Tandems können zu den besten Ergebnissen führen. Ist die Wahl von MentorIn und Mentee nach den geschilderten Parametern vorgenommen worden und transparent für alle Beteiligten, sollte sie akzeptiert werden, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar erscheint.

      Wie weit genau die Unähnlichkeit gehen kann, muss mit Empathie und Feingefühl eruiert werden. Hier helfen sowohl Lebens- und Berufserfahrung als auch die Vorstellung, wie ein Tandem zusammenarbeitet. Sind sich beide zu ähnlich, beispielsweise zurückgenommen und tendenziell schüchtern, wird es nicht zu einer energievollen Zusammenarbeit kommen können. Mentee und MentorIn bestärken sich im Zweifelsfall in ihren Eigenschaften, es findet keine Bewegung statt, die einen neuen Blick auf die Situation oder auf Verhaltensweisen ermöglicht. Wichtig ist hier, dass es nicht um eine Be- oder Abwertung bestimmter Charakterzüge geht. Alle Mentees und MentorInnen sollten in ihrer Persönlichkeit und ihren Dispositionen respektiert und wertgeschätzt

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