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Facette hinzu. Kühle Berechnung und heißblütige Emotion, gnadenlose Aggression und warmherzige Güte, gefräßige Erfolgsgier und mitleidsvolle Großzügigkeit, nun auch noch echte Empörung und lügnerische Moral – bei Uli Hoeneß scheint es nichts zu geben, was das Gegenteil ausschließt. Nur in einer Hinsicht zeigte er sich stets konstant: als Mann, der seinen Posten und seinen Status im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit liebt. Schon 2009, bei seinem Rücktritt als Manager, war ihm das Loslassen nicht eben leichtgefallen. Es folgte denn auch kein Rückzug in die Kulisse, Hoeneß blieb auch als Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender eine allgegenwärtige Erscheinung auf den Bühnen des Fußballtheaters. Selbst als er nach dem Bekanntwerden der Steuerhinterziehung öffentlich in die Kritik geriet, wollte er sich nicht zum Rücktritt drängen lassen, und er hielt auch dann noch an seinen Ämtern fest, als Anfang November 2013 entschieden war, dass es zu einer Gerichtsverhandlung kommen wird.

      Bei der Jahreshauptversammlung des FC Bayern von den Mitgliedern noch als »unser bester Mann« umjubelt, folgte bei der viertägigen Gerichtsverhandlung vom 10. bis 13. März 2014 unter sensationellen Umständen der tiefe Sturz der FC-Bayern-Ikone. Wegen Hinterziehung von nicht versteuerten Spekulationsgewinnen in Höhe von sagenhaften 28,46 Mio. Euro, die er auf einem Schweizer Konto erzielt hatte, wurde er zu einer Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Uli Hoeneß nahm die Strafe an und trat am Tag nach dem Urteil als Präsident und Aufsichsratsvorsitzender des FC Bayern zurück.

      Eine großartige Karriere fand somit ein hochdramatisches Ende. Unabhängig von der moralischen Bewertung seines Steuer-Sündenfalls dürfte ein sehr großer Teil des Fußballpublikums die Abdankung des Uli Hoeneß als großen Verlust empfinden: Denn ohne die im positiven wie im negativen Sinne stets hoch emotionalisierende Show des »Mister Bayern« dürfte es um einiges langweiliger werden in Fußball-Deutschland.

      Die folgenden Seiten bieten in der inzwischen achten, aktualisierten und erweiterten Auflage eine Gesamtschau der teils faszinierenden und teils befremdlichen Züge dieses berühmtesten Fußballmachers Deutschlands. Entstanden ist es ohne die Zustimmung von Uli Hoeneß, der es trotz mehrfacher Anfragen stets abgelehnt hat, jemals eine Biografie über sich schreiben zu lassen. Allerdings ist es nicht besonders schwer, eine Menge über Uli Hoeneß zu erfahren. Es gibt kaum einen anderen Prominenten in Deutschland mit einer derartigen Medienpräsenz. Über Jahrzehnte wurde jede Regung von und über Uli Hoeneß notiert und aus unterschiedlichen Blickwinkeln interpretiert. Uli Hoeneß selbst hat nahezu tagtäglich in zahllosen Stellungnahmen, Kommentaren und Interviews so viel erzählt, dass allein das gesammelte Printmaterial mehr als zwei große Umzugskisten füllt.

      Dieses Buch kann und will eine Autobiografie nicht ersetzen. Es erhebt aber gleichwohl den Anspruch, die schillerndste Persönlichkeit des deutschen Fußballs in all ihren widersprüchlichen Aspekten zu erschließen. In zwölf nur locker chronologisch angeordneten Kapiteln soll ein klares Profil der Antriebe und des Wirkens jenes Mannes entstehen, der die deutsche Bundesliga im letzten Vierteljahrhundert so stark geprägt hat wie kein anderer. Deutlich werden sollen dabei die Grundzüge eines »Prinzips Uli Hoeneß«, das zugleich Garant beispielloser Erfolge wurde, Stoff für schier endlose Irritationen bot und zuletzt sogar noch ein psychologisches Lehrstück über menschliche Abgründe auf die große mediale Bühne brachte. Nicht zuletzt aber dürfte sich mit dem Blick in die Seele eines Fußballverrückten, der Hoeneß zweifellos ist, neben dem »Sieger-Gen« des FC Bayern vor allem auch ein gutes Stück der »Faszination Fußball« erschließen.

      KAPITEL 1

       Der ehrgeizige Aufsteiger

      Uli Hoeneß und sein kurzer Weg auf den Gipfel

      Im Sommer 1974 stand Uli Hoeneß auf dem Gipfelpunkt seiner Fußballkarriere: Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger, Europapokalsieger, Europameister und nun auch Weltmeister. »Ich habe ein paar Jahre hinter mir, Jahre wie im Rausch«, konnte er es selbst kaum fassen. »Ich konnte machen, was ich wollte, alles gelang mir. Das Glück verfolgte mich, und der Ball rollte mir nicht vom Fuß.« Nachdem er 1970 als Achtzehnjähriger aus seiner Heimatstadt Ulm zum FC Bayern nach München gekommen war, hatte er innerhalb von vier Jahren alles erreicht, wovon ein Fußballspieler nur träumen kann. Peter Bizer, der kurz nach dem WM-Triumph ein Buch über den jungen Himmelsstürmer veröffentlichte, sah in dessen Blitzkarriere die Konsequenz einer außergewöhnlichen Professionalität. »Der programmierte Weltmeister«, lautete der Titel, und damit wollte der Autor wohl ausdrücken, dass es sich hier nicht um einen zufällig entdeckten Straßenfußballer handelte, sondern um einen, der seine Karriere ganz gezielt vorangetrieben hatte und auf diesem Weg in sämtlichen Jugend-Auswahlmannschaften des DFB entsprechend gefördert worden war. Ob man einen Weltmeister programmieren kann, lässt sich wohl kaum schlüssig beweisen – fest steht jedoch, dass Uli Hoeneß schon von Kindesbeinen an ein festes Programm hatte.

      »Ich bin ungeheuer, fast hoffnungslos ehrgeizig«, sagte der am 5. Januar 1952 als Sohn des Metzgermeisters Erwin Hoeneß und seiner Frau Paula in Ulm geborene Fußballstar immer wieder über sich selbst. Und: »Ich gehöre zu den Menschen, die absolut vermeiden wollen, ohne Ziel zu sein.« Das zeigte sich bereits im zarten Alter von sechs Jahren, als er zusammen mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder auf dem gleich gegenüber der elterlichen Metzgerei gelegenen Bolzplatz am Eselsberg kickte und dort von einigen »Spähern« des VfB Ulm entdeckt wurde. Voller Begeisterung über seine Fähigkeiten überredeten sie den Knirps, beim nächsten Schülerspiel das Trikot ihres Vereins zu tragen. So trat Uli denn an, mit falschem Pass, in einer Mannschaft, deren Spieler im Schnitt etwa vier Jahre älter waren als er. Ein Triumph wurde die Sache nicht, die anderen waren zu schlecht, und er war wegen seiner körperlichen Unterlegenheit ebenfalls nicht in der Lage, entscheidende Akzente zu setzen. »Wir verloren 2:12 und 1:8«, wusste er noch Jahre später das Desaster in genauen Zahlen auszudrücken. Andere hätte so ein Auftakt im organisierten Fußball womöglich deprimiert, nicht aber Uli Hoeneß. Er setzte alles daran, diese beiden deftigen Niederlagen schnellstmöglich wieder auszuwetzen, und tatsächlich gelang die Wiedergutmachung umgehend. »Im dritten Spiel ging es besser: ein Sieg, ich schoss mein erstes Tor«, berichtete er stolz vom ersten Schritt auf seinem Weg zum Erfolg.

      Die Geschichte zeigt zwei wesentliche Aspekte im Charakter des Uli Hoeneß: das Vertrauen, sich mit Willens- und Kampfkraft auch gegen überlegene Gegner durchsetzen zu können, und die Fähigkeit, sich von Niederlagen nicht deprimieren zu lassen, sondern sie als Ansporn zu nehmen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Schon auf dem Bolzplatz hatte sich erwiesen, dass dieses junge Fußballtalent das Wort »verlieren« am liebsten gänzlich aus seinem Wortschatz gestrichen hätte. Wann immer sich die Kinder zum Kicken trafen, tat Uli alles, um den Sieg seines Teams möglichst schon im vorhinein sicherzustellen. Da kam es dann schon mal vor, dass er seinen kleinen Bruder Dieter nicht im eigenen Team mitspielen lassen wollte, weil er meinte, der Erfolg könnte dann gefährdet sein – oder er schickte ihn ins Tor, dorthin also, wo die Schwächsten beim Jungenspiel meist landen. »Dieter stand ganz klar im Schatten seines Bruders«, erzählte einer der Jungs, die damals dabei waren. Manchmal, wenn Uli seinen Bruder wegen eines haltbaren Gegentores wieder einmal zusammengeschissen hatte, flüchtete der unter Tränen vom Schauplatz des Geschehens. Beim VfB Ulm blieb die Rollenverteilung dann ganz ähnlich. Er habe »vorne die Tore geschossen«, so Uli, die der Dieter »hinten reingelassen hat«. Irgendwann hatte Dieter, der als Torwart durchaus erfolgreich war und sogar in Auswahlmannschaften berufen wurde, die Nase voll und wechselte in den Sturm.

      Vorläufig blieb freilich Uli im Sturm des VfB der Platzhirsch. Noch als weltberühmter Fußballstar erzählte er gern eine Geschichte über einen sagenhaften Erfolg in seiner Jugendzeit, der für ihn beinahe noch mehr bedeutete als alle späteren Triumphe. In seiner Ulmer Pfarrgemeinde war er auf Wunsch seiner Eltern mit acht Jahren Ministrant und Mitglied der Jugendgruppe. Erwin und Paula Hoeneß achteten darauf, dass der Sohn schön brav alles mitmachte, auch jenes Zeltlager in der Nähe von Memmingen zu Pfingsten 1960. Uli war nur sehr widerwillig mitgefahren, da zur gleichen Zeit das Lokalderby seines VfB gegen den TSV Ulm 1846 angesetzt war. »Es ging um die Bezirksmeisterschaft«, erzählte er, und die zu versäumen, hätte ihn »todunglücklich« gemacht. Der Jugendleiter wollte ihn trotz allen Bittens aber nicht weglassen, und so blieb ihm nur eines: heimlich auszubüchsen. Er schwang sich auf sein Fahrrad,

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