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wissen es schon?“

      „Ja, gerade eben hat mich ein Kind angerufen, aber, um ehrlich zu sein, ich habe es für einen dummen Witz gehalten.“

      Katrin zog die Augenbrauen hoch und setzte ein maßlos überlegenes Gesicht auf. „Typisch Silvy“, erklärte sie, „besitzt keine Lebensart, das Mädchen.“

      „Wo können wir Doktor Horn finden?“ fragte Ruth hastig. „Können Sie ihn nicht telefonisch erreichen? Frau Müller geht es nämlich wirklich sehr schlecht. Sie liegt auf dem Boden und tut keinen Mucks.“

      Das Fräulein schüttelte den Kopf. „Leider“, sagte sie, „da kann ich gar nichts machen. Ja, wenn wir ein Walky-Talky hätten …“

      „Aber Sie wissen doch bestimmt, welche Krankenbesudle er sich vorgenommen hat“, stieß Katrin nach, „und welche Richtung er gewöhnlich einschlägt und …“

      „Ja, das kann ich euch sagen!“ Das Fräulein knabberte an seinem Zeigefingernagel und dachte angestrengt nach, dann murmelte es ein paar Namen vor sich hin, warf einen Blick auf die Armbanduhr und erklärte:

      „Wenn ich mich nicht verrechnet habe, müßte er jetzt ungefähr auf der Mitte der Strecke sein … etwa bei Rösner, Asternstraße siebenunddreißig …“

      „Danke!“ rief Katrin. „Vielen Dank!“

      „Aber garantieren“, sagte das Fräulein, „kann ich euch natürlich gar nichts.“

      „Erwarten wir auch gar nicht“, rief Katrin und riß Ruth an der Hand mit sich fort.

      „Hätten wir uns nicht doch noch genauer erkundigen sollen?“ fragte Ruth, als sie den Vorgarten durchquert und den Bürgersteig wieder erreicht hatten. „Ich meine, wen er vor und nach Rösners besucht?“

      „Hätte ich bestimmt getan, wenn das nicht eine so langweilige Ziege gewesen wäre! Es muß jetzt schnell gehen. Wir haben schon furchtbar viel Zeit verloren.“

      „Vielleicht ruft Silvy die Polizei an und läßt sich einen Unfallwagen schicken!“

      „Schon möglich, aber darauf können wir uns nicht verlassen. Wir haben versprochen, Doktor Horn heranzuschleifen, und das werden wir auch tun!“

      Aber als die beiden die Asternstraße 37 erreichten, erlebten sie eine Enttäuschung. Vor dem Haus stand kein Auto, also konnte der Doktor auch nicht drinnen sein.

      „Ach du dickes Hühnerauge!“ rief Katrin. „So ein Pech.“

      „Vielleicht kommt er noch“, sagte Silvy, „wir können ja mal bei Rösners fragen!“

      „Ja, tu du das! Ich gucke inzwischen mal um die Ecke.“ Katrin stob davon.

      Ruth fühlte mit Schrecken, wie ein Anflug ihrer früheren Schüchternheit sie überfiel. Bei wildfremden Leuten zu klingeln und um eine Auskunft zu bitten, das war nicht gerade die Aufgabe, die sie sich selber ausgesucht hätte. Aber dann dachte sie an Leonores verunglückte Mutter und daran, daß jetzt möglicherweise alles auf sie ankam, und entschlossen marschierte sie auf die Haustür zu.

      Sie hatte gerade geklingelt, als Katrin um die Ecke geschossen kam.

      „Ich hab’ ihn! Ich hab’ ihn!“ brüllte sie schon von weitem.

      Die Haustür wurde geöffnet, und eine ältere Dame trat heraus.

      „Guten Tag, entschuldigen Sie bitte“, sagte Ruth mit einem artigen kleinen Knicks, „die Sache hat sich inzwischen erledigt!“ Sie raste hinter Katrin her.

      Die Dame sah ihr verdutzt nach. „Diese fürchterlichen Kinder“, sagte sie mit einem tiefen Seufzer und zog die Tür wieder ins Schloß.

      Ruth hatte Katrin inzwischen schon erreicht, die neben einem vom Regen blank gewaschenen Mercedes stand.

      „Hier, siehst du!“ rief sie und tippte gegen die vordere Scheibe. „Das Arztschild… sogar mit Äskulap-Stab und Schlange!“

      „Aber wenn das Auto nun gar nicht Doktor Horn gehört?“

      „Du kannst einem schon auf die Nerven gehen, du, mit deinen ewigen Wenns und Abers! Es ist doch völlig schnuppe wie dieser Arzt heißt! Hauptsache ist doch, wir haben überhaupt einen erwischt, und ob er Frau Müller nun kennt oder nicht, wenn wir ihn um Hilfe bitten, muß er mit uns kommen.“

      Ruth war immer noch nicht ganz beruhigt, aber sie verkniff sich weitere Zweifel und Fragen, weil sie Katrin nicht gegen sich aufbringen wollte.

      Aber dann, als der Arzt aus dem Haus kam, stellte es sich heraus, daß er tatsächlich Doktor Horn war, wenn er auch ganz anders aussah, als Katrin und Ruth ihn sich vorgestellt hatten. Er war kein freundlicher älterer Herr, sondern ein energischer junger Mann, und er stellte auch nicht viel Fragen, sondern ließ die beiden in den Wagen steigen und fuhr geradewegs zu Müllers zurück.

      Die Mädchen dort wußten zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht, daß Hilfe nahte, und sie waren entsprechend aufgeregt.

      „Das einfachste wäre ja, ich würde die Funkstreife anrufen“, sagte Silvy zum zigsten Mal.

      Und: „Nein, laß das lieber! Wer weiß, ob Herrn Müller das recht ist, und Katrin ist ja schon auf dem Weg, einen Arzt zu holen“, entgegnete Olga genauso oft.

      „Ach, Katrin, die hat doch bloß eine große Klappe!“ sagte Silvy wegwerfend.

      „Du etwa nicht?“ gab Olga zurück. „Nun weine doch nicht, Leonore, bestimmt ist alles halb so schlimm, wie es jetzt aussieht …“

      „Aber wir können Mutti doch nicht einfach so liegen lassen! Helft mir doch wenigstens, sie auf die Couch zu legen!“ sagte Leonore verzweifelt.

      „Ausgeschlossen!“ erklärte Silvy. „Am Tatort darf nichts verändert werden, ehe …“

      „Jetzt mach aber mal einen Punkt!“ fuhr Olga sie an. „Bei dir piept es ja gewaltig. Schließlich handelt es sich hier nicht um ein Verbrechen …“

      „Woher willst du das wissen? Warst du etwa Zeuge? Als wir das Haus betraten, hörten wir einen Schrei und einen Plumps. Frau Müller war allein im Zimmer, die Terrassentür stand offen, es ist also theoretisch sehr gut möglich, daß sich ein Verbrecher hereingeschlichen und die Leiter umgestürzt hat!“ erklärte Silvy, ganz beglückt über ihren eigenen detektivischen Scharfsinn.

      „Junge, Junge, du hast dir entschieden zu viele Krimis angesehen!“ sagte Olga.

      „Es war bestimmt ein Unfall …“ schluchzte Leonore, die neben ihrer Mutter kniete, „die Leiter war doch kaputt und … ach, bitte, bitte, Olga, hilf mir doch, Mutti auf die Couch zu Iegen.“

      „Das wäre reiner Wahnsinn“, widersprach Olga, „nicht etwa, weil ich so durchgedreht wie Silvy bin und an ein Verbrechen glaube …“

      „Warum denn dann?“ rief Silvy.

      „Weil wir nicht wissen, was Leonores Mutter fehlt. Sie kann innere Verletzungen haben … ich bitte dich, Leonore, nimm dich zusammen, das muß ja nicht sein, aber man muß in solchen Fällen jede Möglichkeit berücksichtigen. Wir dürfen deine Mutter nicht bewegen, bevor wir genau wissen, was ihr fehlt …“

      „Du kannst uns was erzählen!“ rief Silvy. „Soll ich dir mal was sagen? Du willst dich bloß wichtig machen, sonst gar nichts …“

      „Und du schließt wieder mal von dir auf andere, Silvy! Aber du irrst dich, ich weiß nämlich Bescheid. Mein Bruder Hartmut hat einen Kursus in Erster Hilfe mitgemacht und lange Vorträge darüber gehalten.“

      Olga fuhr sich mit beiden Händen durch ihr kurzgeschnittenes rotes Haar. „Ach, wenn die Jungen doch schon da wären!“ rief sie und konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor eine solche Sehnsucht nach ihren Brüdern gehabt zu haben, denn sie fühlte, daß sie der Situation auf die Dauer nicht gewachsen war und selber nahe vor einem Tränenausbruch stand. Und Tränen waren bei

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