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      Dietrich Schulze-Marmeling, Jahrgang 1956, gehört zu den profiliertesten deutschen Fußballautoren und -historikern. Über den FC Bayern schreibt er seit 1997, als erstmals sein Buch »Der FC Bayern – Geschichte des Rekordmeisters« erschien. Die Zeitschrift »11 Freunde« nannte das in fünf Auflagen erschienene Buch ein »sorgfältig recherchiertes Meisterwerk«.

      2003 war Schulze-Marmeling Herausgeber und Mitautor von »Davidstern und Lederball – Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball«, über das »Die Zeit« urteilte: »Eine absolut herausragende Veröffentlichung. Hier liegt der Idealfall vor: Fußball als Kulturgeschichte.«

      Das vorliegende, in dritter Auflage wesentlich ergänzte Buch wurde durch die »Deutsche Akademie für Fußballkultur« zum »Fußballbuch des Jahres 2011« gewählt.

      Dietrich Schulze-Marmeling

      Der FC Bayern,

      seine Juden

      und die Nazis

      VERLAG DIE WERKSTATT

      Die Fotos auf dem Umschlag zeigen drei jüdische Funktionsträger des FC Bayern, die den Verein vor 1933 stark prägten (von links): Jugendbetreuer Otto Albert Beer, Präsident Kurt Landauer und Trainer Richard Dombi.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Copyright © 2011 Verlag Die Werkstatt GmbH

      Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen

      www.werkstatt-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt ISBN 978-3-7307-0394-6

      Einführung

      Juden, Fußball und der FC Bayern

      9. April 1933: In Stuttgart verabschieden die bedeutendsten Fußballvereine Süddeutschlands eine Erklärung, in der sie dem nationalsozialistischen Regime ihre Mitarbeit anbieten – »insbesondere die Entfernung der Juden aus den Sportvereinen« betreffend. Zu den Unterzeichnern gehört auch der FC Bayern München – jener Verein, der nur drei Wochen zuvor noch von einem jüdischen Präsidenten geführt wurde und dessen 1. Mannschaft, der amtierende deutsche Fußballmeister, noch immer von einem Juden trainiert wird.

      Veröffentlicht wird die Erklärung auf der Titelseite des »Kicker«, in dessen Kopfzeile mit Walther Bensemann als Herausgeber ein Jude steht, der einst den Vorläufer des FC Bayern mitgegründet hat, im April 1933 aber bereits emigriert ist.

      In Stuttgart endet mit dieser Erklärung ein halbes Jahrhundert deutschen Fußballsports. Bisher haben Funktionäre und Spieler die Entwicklung des Spiels unabhängig von ihrem kulturellen, religiösen oder nationalen Background gefördert. Unter Deutschlands Fußballpionieren des ausgehenden 19. Jahrhunderts und den Fußballaktivisten der Weimarer Republik befanden sich eine Reihe jüdischer Bürger. Viele Jahre war dies selbstverständlich, und niemand kam auf den Gedanken, hierfür Gründe zu erörtern. Nun aber wird dieser Konsens durch die Nationalsozialisten und ihre Kollaborateure im deutschen Fußball mit aller Brutalität und innerhalb kürzester Zeit zerstört.

      Aus der Geschichte des deutschen Fußballs schreibt man die Juden heraus oder drängt sie an den Rand. So richtig in Vergessenheit gerät ihr Beitrag aber erst in den 1950er Jahren. Der Zusammenbruch des NS-Regimes und die alliierten Maßnahmen gegenüber den alten Verbänden und Vereinen brachten nur eine kurze Unterbrechung, aber keinen Neubeginn im deutschen Fußball. Die Geschichte wird bald wieder von denen geschrieben, die sie schon in den NS-Jahren schrieben, die sich dem Nationalsozialismus andienten – teils, weil sie deren Ideologie faszinierte, teils, um ihr eigenes Fortkommen zu forcieren und ihr eigenes fußballpolitisches Süppchen zu kochen. Nun, nach dem Untergang des Nazi-Reichs, wäscht man sich gegenseitig rein und verklärt sich zu »Anti-Nazis«, die höchstens »zum Schein« mitgemacht hätten, um Schlimmeres zu verhindern. Aus Tätern, Karrieristen, Opportunisten und Mitläufern werden selbsternannte Richter, die sich und ihre Kameraden zu Getriebenen, Opfern und Widerständlern stilisieren und von jeglicher Schuld und Verantwortung freisprechen. Die tatsächlichen Opfer bleiben weiterhin unerwähnt oder marginalisiert. Stattdessen wird das anrührende Bild einer harmonischen Fußballfamilie gemalt, die sich von den jeweiligen politischen Verhältnissen kaum irritieren lässt und ein Höchstmaß an positiver Kontinuität aufweist. Die Leistungen und Schicksale der deutsch-jüdischen Fußballaktivisten können da nur stören, da sie die Frage nach der Mittäterschaft aufwerfen würden. Was einmal ausgeschlossen wurde, muss deshalb ausgeschlossen bleiben.

      Erst ein gutes halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt man sich wieder der Juden im deutschen Fußball zu erinnern. Was nun zutage befördert wird, versetzt viele in ungläubiges Erstaunen, auch innerhalb jüdischer Organisationen.

      Deutsch-jüdische Anfänge

      Dieses Buch beginnt daher mit einer Darstellung, die ohne den Nationalsozialismus und den Holocaust vermutlich überflüssig, wenn nicht gar unangebracht wäre: dem Versuch, das Interesse und die Begeisterung deutscher Juden für den Fußballsport zu erklären.

      Fußball begann nicht als Arbeiterkultur, sondern war zunächst beheimatet im Milieu der bürgerlichen Akademiker sowie der neuen – und damit traditionslosen – expandierenden Schicht der Angestellten in den kaufmännischen und technischen Berufen. Anders als in England, wo sich der Fußball bereits in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts zum proletarischen Massenspektakel entwickelte, behielt das Spiel auf dem Kontinent bis in das 20. Jahrhundert hinein seinen Eliten- und Mittelschichtcharakter.

      Für die Historikerin Christiane Eisenberg verkörpert das frühe Fuß-ballspiel »das spezifisch moderne Lebensgefühl der Jahrhundertwende, insbesondere der Aufsteiger und Selfmademen, die offen für alles Neue waren und sich um Konventionen wenig scherten. Für viele war der Gebrauch der englischen Sprache und die Imitation eines ›english way of life‹ auch der Versuch, sich von bestimmten überkommenen Mustern der eigenen Kultur wie z. B. der Turnbewegung mit ihrer Neigung zum Kollektivismus zu distanzieren.« Juden und Protestanten waren laut Eisenberg unter den ersten deutschen Balltretern auffällig stark vertreten.

      Wie dieses Buch noch zeigen wird, wurde diese bürgerlich-modernistische Phase besonders eindrucksvoll vom FC Bayern repräsentiert.

      Fußball war zunächst ein vorwiegend städtisches Spiel – anders als später Handball, das sich als Sportspiel der Turnbewegung und als deren Ant-wort auf den Fußball auf dem Land ausbreitete, da der Spielplatz in den urbanen Zentren bereits von den Kickern besetzt war. In Städten wie Berlin, Frankfurt oder München lebten besonders viele Juden. Und viele von ihnen zählten sich dort zum »modernen Bürgertum«, das liberal ausgerichtet war und sogenannten englischen Modetorheiten – wie »english sports« – frönte. Wobei »english« oder »british« mit »modern« zu übersetzen war. Detlev Claussen: »Die idealen Bürger, die das Bürgertum auch mit seinen Idealen ernst genommen haben, waren Juden. Und das hat man den Juden wiederum übel genommen. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das war ja für das Ghetto eine konkrete Utopie! (…) Sehr viele europäische Juden waren im 19. Jahrhundert anglophil. Diese anglophile Geschichte gehört eng zur Geschichte des Judentums und der Emanzipation des Judentums in Europa. Dazu eben die ›english sports‹. (…) Die Juden, die ihre Kinder ausbilden wollten, haben sie nach England geschickt. Auf englische Internate oder englisch geführte Internate, die es z. T. auch in der Schweiz gab. Weil da wiederum so viele Kinder der Bourgeoisie aus ganz verschiedenen Ländern auf die Schulen kamen, haben sie schnell den Sport entdeckt.« Exemplarisch für die anglophile Einstellung deutsch-jüdischer Fußballpioniere sind John Bloch sowie die an der Vorgeschichte des FC Bayern beteiligten Walther Bensemann und Gustav Randolph »Gus« Manning.

      Jüdische Pioniere:

      John Bloch und Walther Bensemann

      In den 1880er Jahren stand der in Birmingham geborene Bloch in Berlin dem English Football Club und dem Berliner Cricket-Club 1883 vor, Klubs, in denen

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