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in den nächsten Tagen in jeder freien Minute über nichts anderes gesprochen als über die gewonnene Reise. Die Schulkameraden und Kameradinnen und die Geschwister beneideten und beglückwünschten die Freundinnen von Herzen. Norbert freute sich wie ein Schneekönig, daß sie auf der Karibikkreuzfahrt dabei sein würden. Ingrids Eltern und Frau Schmidt waren dagegen bedenklich und besorgt.

      Aber Herr Schmidt sah die Sache zum Glück anders. Er rief bei der Abendzeitung an und erzählte, daß seine zehnjährige Tochter gewonnen hätte.

      „Gratuliere“, sagte die freundliche Redakteurin am Telefon, „da wird sie wohl eine große Freude haben.“

      „Die hat sie“, versicherte Herr Schmidt, „sie ist nahe daran überzuschnappen.“

      Die Redakteurin lachte.

      „Nur hat meine Frau Bedenken. Monika will nämlich… Monika ist die Preisträgerin… die Reise zusammen mit ihrer gleichaltrigen Freundin machen.“

      „Hm“, sagte die Redakteurin, „neigen die Mädchen dazu, seekrank zu werden?“

      „Sie haben noch nie eine Schiffsreise gemacht.“

      „Wird ihnen leicht schlecht? Beim Autofahren zum Beispiel? Dann sollten sie sich unbedingt vorher vom Arzt Tabletten verschreiben lassen.“

      „Wenn’s weiter nichts ist…“

      „Davon abgesehen ist gegen den Plan der Mädchen nichts einzuwenden. Es handelt sich ja um eine Charterreise. Eine deutschsprechende Reiseleiterin ist dabei. Wir werden sie bitten, sich besonders um die Preisträgerinnen zu kümmern.“

      „Es fährt auch noch eine befreundete Familie mit.“

      „Na, also dann! Meines Erachtens gibt es keinen sichereren Platz für ein Kind als an Bord eines Schiffes. Dort kann es weder verlorengehen noch überfahren werden.“

      Monika fiel ihrem Vater um den Hals, als er ihr die guten Neuigkeiten mitteilte.

      „Du meinst also wirklich, wir sollen sie allein reisen lassen?“ fragte die Mutter mit sorgenvollem Gesicht.

      „Unbedingt. Sie haben das Rätsel gelöst, die Briefmarken vom eigenen Taschengeld bezahlt und… Glück gehabt. Wenn wir ihnen jetzt die Chance, in die große, weite Welt zu reisen, verpatzen, würden sie uns das nie verzeihen.“

      „Das stimmt nicht, Vati“, widersprach Monika, „ich habe euch viel zu lieb, um euch irgend etwas ewig nachzutragen.“

      „Du würdest also auch auf Ingrids Begleitung verzichten?“ fragte die Mutter rasch.

      „Das kann ich nicht. Wir hatten ausgemacht, daß wir zusammen fahren würden. Wenn ihr mich nicht mit Ingrid laßt, bleibe ich auch zu Hause. Dann könnt ihr selber die Reise machen, du und Vati.“ So edel wie sie sprach, dachte Monika aber nun doch nicht; sie machte diesen Vorschlag nur, weil sie ganz sicher war, daß ihre Eltern darauf nicht eingehen würden.

      „Das kommt gar nicht in Frage“, erklärte ihr Vater denn auch mit Nachdruck, „ihr habt die Kreuzfahrt gewonnen, und ihr werdet sie auch unternehmen. Wenn Ingrids Eltern sich querstellen, werde ich sie mir persönlich vorknöpfen.“

      „Vati, du bist fabelhaft!“ rief Monika hell begeistert.

      „Ich weiß nicht…“, wollte die Mutter noch einmal beginnen.

      „Hör auf, Mutti“, erklärte Monika energisch, „Schluß der Debatte, die Sache ist gelaufen.“ In verändertem Ton fügte sie hinzu: „Wir wollen von nun an nicht mehr darüber sprechen… bitte, nicht!“

      „Aber es sind doch Vorbereitungen zu treffen…“

      „Klaro!“ – Klaro statt klar zu sagen, war die neueste Gepflogenheit in Monikas Klasse. „Das machen wir auch. Wir sollten nur nicht darüber sprechen“, sagte Monika mit ganz besonderer Betonung.

      Die Eltern verstanden.

      „Du meinst wegen…?“ fragte Frau Schmidt.

      „Genau. Wer weiß, wie er es aufnehmen wird.“

      „Er müßte es doch längst wissen“, sagte der Vater.

      Monika schüttelte so heftig den Kopf, daß ihre roten Rattenschwänze flogen. „Glaub ich nicht. Er hat sich ja seit Tagen nicht mehr sehen und hören lassen.“

      „Vielleicht sind wir ihn los?“ fragte Frau Schmidt hoffnungsvoll.

      „Wie denn?“ fragte Monika zurück. „Nein, Mutti, wenn er sich so still verhält, bedeutet das nur, daß er anderweitig beschäftigt ist. In Luft aufgelöst hat er sich damit noch längst nicht.“

      Man war im Haus am Seerosenteich gewohnt, Geheimnisse vor Amadeus zu haben, und so wurden die Vorbereitungen für Monikas große Reise unauffällig betrieben. Monikas Paß wurde an das amerikanische Konsulat geschickt, damit das nötige Visum eingestempelt wurde – die Erlaubnisbescheinigung für einen Besuchsaufenthalt. Monikas Sommerkleider, ihre Hosen und T-shirts wurden gemustert und Neues dazugekauft.

      Monika selber fiel es bei alledem am schwersten, den Mund über ihr Vorhaben zu halten, denn sie war vor lauter Vorfreude fast verrückt. Wenn sie mit Ingrid und Norbert zusammen war – nicht im Haus am Seerosenteich, versteht sich, sondern in den Pausen oder auf dem Schulweg –, redeten sie über nichts anderes.

      Herr Schmidt schaffte es, Ingrids Eltern zu überzeugen. Die Steins erboten sich bereitwillig, die Mädchen in ihre Obhut zu nehmen. Bald stand dem großen Abenteuer nichts mehr im Wege.

      Was nun?

      Dennoch blieb Monika bei allem ein flaues Gefühl in der Magengrube. Wie würde Amadeus sich verhalten, wenn er es erfuhr? Als der Tag des Abflugs näherrückte, wuchs ihre Hoffnung, sich heimlich, still und leise davonstehlen zu können, ohne daß Amadeus etwas davon merkte. Aber sie wußte sehr gut, daß sie sich damit nur selber etwas vormachte.

      Ihre bösen Ahnungen trogen sie nicht. Eines Nachts erwachte sie, weil sie fror. Sie hatte das schon so oft erlebt, daß sie sofort wußte, was geschehen war: Amadeus hatte ihr die Bettdecke weggezogen.

      Sie rieb sich die Augen und gähnte herzhaft. „Ach, du bist es! Ich muß schon sagen: Du hast dich aber lange nicht mehr blicken lassen!“ Monika angelte nach der Decke, richtete sich zum Sitzen auf und stopfte sich das Kopfkissen in den Rücken; sie wußte, daß dies eine längere Unterhaltung werden würde.

      Amadeus, das Gespenst, hatte den zierlichen Sessel, der sonst vor dem Schreibtisch stand, zum Bett hin umgedreht. Dort saß er nun, durchscheinend, sehr hübsch und von innen leuchtend. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen. Seine blauen, seidig schimmernden Hosen trug er unter den Knien gebunden, dazu weiße Zwirnstrümpfe und schwarze Schuhe mit großen Silberschnallen. „Ich hatte zu tun“, erklärte er herablassend.

      „Du?“ fragte Monika erstaunt. – Bisher hatte Amadeus sich immer als ein Müßiggänger ersten Ranges erwiesen, der, obwohl unheimlich stark, für keine wie immer geartete Arbeit zu interessieren war.

      Amadeus stützte sehr elegant einen Ellbogen auf sein Knie und das Kinn in die Hand. „Du erinnerst dich an den hohlklingenden Stein im Keller der Schloßruine, n’est-ce pas?“ – Amadeus ließ mit Vorliebe französische Floskeln in seine Unterhaltung fließen, weil dies in der Zeit, da der echte Amadeus gelebt hatte, als vornehm gegolten hatte.

      Monika ließ sich davon nicht beirren. „Natürlich, ja“, sagte sie.

      „Ich habe ihn untersucht!“ Das Gespenst brachte das mit einem solchen Ausdruck blasierten Stolzes heraus, als hätte es eine Heldentat vollbracht.

      „Na und?“ fragte Monika wenig beeindruckt, denn sie war im Augenblick durchaus nicht an altem Gemäuer und seinen Geheimnissen interessiert.

      „Du wirst schon sehen!“

      „Wann?“

      „Um Mitternacht bei Vollmond…“

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