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sonnigen Vorfrühlingstag, an dem Monika die Nachricht von der Abendzeitung bekam, daß sie den ersten Preis gewonnen hatte.

      „Ach, hör mir auf mit Amadeus“, sagte Frau Schmidt, „viel wichtiger ist: versäumst du nicht zuviel in der Schule, wenn du in der Karibik herumkreuzt?“

      „Aber, Mutti, kannst du denn nicht lesen? Die Reise fällt doch genau in die Pfingstferien!“

      „Da hast du aber Glück gehabt.“

      „Glück? Ach was, Köpfchen! Weil die Reise in die Pfingstferien fällt, habe ich ja nur mitgemacht.“

      Frau Schmidt zögerte. „Und wen willst du mitnehmen?“

      Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Ingrid natürlich!“

      Dazu sagte Frau Schmidt nichts, aber gerade weil sie nichts sagte, fiel es Monika ein, daß sie gekränkt sein könnte.

      „Natürlich würde ich auch gern mit dir verreisen, Mutti“, fügte sie hinzu, „aber Ingrid hat mir doch beim Rätselraten geholfen. Wir haben beide die Lösung eingeschickt und uns gegenseitig versprochen, die andere mitzunehmen, falls eine von uns…“

      „Zwei so kleine Mädchen allein? Ich weiß nicht… solltest du nicht lieber mit Liane…“

      „Na, erlaube mal, Mutti! Wir sind zehn Jahre… so klein doch auch nicht mehr! Und was Liane betrifft, auf die müßte ich doch dauernd aufpassen, wegen Jungen und so. Und außerdem, Mutti, das habe ich dir doch erzählt: Norbert fährt auf dem gleichen Schiff, er macht die gleiche Reise. Mit seinen Eltern. Die Steins werden sich schon um uns kümmern. Du brauchst keine Sorge zu haben.“

      „Aber wir kennen sie doch nur flüchtig, und wir können nicht von ihnen verlangen…“

      „Klar können wir! Was ist das schon für eine Mühe, mich und Ingrid im Auge zu behalten? Wir sind doch beide die Bravheit in Person.“

      „Ich fürchte, du siehst das alles zu einfach. Erst müssen wir mit Vati darüber sprechen… und dann mit den Steins… und mit Ingrids Eltern…“

      „Das sehe ich ja ein. Sprich nur mit Gott und der Welt darüber, Mutti, aber eins sage ich dir: Die Reise machen Ingrid und ich. Nachdem wir sie erst mal gewonnen haben, kann uns nichts mehr davon abhalten.“ Monika faßte ihre Mutter um die Taille. „Mach nicht so ein Gesicht! Hast du nicht vorhin noch gesagt, daß ich ein Glückspilz bin!?“

      Mutter und Tochter hatten Zeit für diese ausgiebige Unterhaltung, weil Monika mittags immer als erste nach Hause kam. Liane und Peter, die ihre alten Schulen in München besuchten, hatten einen viel weiteren Weg. Herr Schmidt aß in der Kantine seiner Firma.

      „Schon gut, schon gut“, sagte Frau Schmidt, der die Entwicklung der Dinge ein wenig über den Kopf wuchs, „jetzt zieh dir aber erst einmal deinen Anorak aus und wasch dir die Hände!“

      „Weil du es bist!“ Monika gab ihrer Mutter einen Kuß auf die Wange und eilte, den Anorak herunterzerrend, in die Wohndiele zurück. Sie stülpte das Kleidungsstück achtlos über einen Haken und lief zum Telefon. „Ich muß sofort Ingrid anrufen!“

      „Sei nicht so voreilig! Warte erst ab, bis Vati…“

      „Nein, sie muß es wissen!“

      Die Wohndiele war ein sehr großer Raum, von dem verschiedene Türen links und rechts seitwärts führten. Über eine Treppe kam man in den ersten Stock. Im Hintergrund gab es einen Erker, der höher lag als das übrige Zimmer. Trotz seiner Ausmaße wirkte der Raum gemütlich. Das kam wohl daher, daß der Boden aus dicken Holzbohlen bestand und auch die Wände holzgetäfelt waren.

      In dieser Wohndiele spielte sich das Familienleben der Schmidts ab. Hier stand der Tisch, an dem sie abends aßen – mittags wurde nur eine Kleinigkeit in der Küche gegessen – und auch spielten. Hier stand der Fernseher und auch das Telefon.

      Monika wählte eine Nummer.

      Ingrids Mutter meldete sich.

      „Könnte ich, bitte, Ingrid sprechen? Hier ist Monika!“

      „Hat es nicht Zeit bis später? Wir wollten gerade zu Tisch gehen!“ Ingrids Mutter war in allem sehr genau; sie legte großen Wert auf gute Manieren.

      Unter gewöhnlichen Umständen hätte Monika auch darauf Rücksicht genommen, sich entschuldigt und erklärt, später noch einmal anrufen zu wollen.

      Aber jetzt war sie so aufgeregt, daß sie sich nicht abwimmeln ließ. „Nein, es ist sehr wichtig“, beharrte sie, „und es dauert auch nur ganz kurz… keine halbe Minute. Ich muß Ingrid unbedingt etwas mitteilen. Etwas sehr Wichtiges.“

      „Hat es mit der Schule zu tun?“ fragte Ingrids Mutter beunruhigt.

      „Mit Ingrids Schicksal!“ erklärte Monika und gab ihrer Stimme bewußt einen düster geheimnisvollen Ton.

      „Ja, aber um Himmels willen…“

      „Lassen Sie mich Ingrid sprechen!“

      Das wirkte. Monika hörte, wie Ingrid gerufen wurde. Während sie wartete, glitt ihr Blick zu dem altersdunklen Ölgemälde, das dem Telefon gegenüber hing. Es stellte Amadeus dar, so wie sie ihn kannte: einen Jungen mit übergroßen, weit auseinander stehenden Augen und altmodisch frisiertem, weiß gepudertem Haar. Gekleidet war er wie ein vornehmer Junge des achtzehnten Jahrhunderts. Er trug einen hellblauen Seidenanzug, am Hals ein Spitzenjabot, und Spitzen auch an den Manschetten.

      Monika lächelte das Bild an und schickte ihm versuchsweise eine Kußhand. Aber es rührte und rüttelte sich nicht, ein Zeichen dafür, daß der wirkliche Amadeus – der Kobold also, der die Rolle des verstorbenen Amadeus übernommen hatte – nicht in der Nähe war. Monika war erleichtert darüber, denn sie war nicht sicher, wie er die Nachricht von der bevorstehenden Reise aufnehmen würde.

      Ingrid jedoch reagierte genauso, wie Monika es sich gedacht hatte: Erst blieb ihr die Luft weg, dann machte sie einen Luftsprung und stieß einen Freudenschrei aus, der ihre Eltern alarmiert herbeilaufen ließ.

      „Reg dich nicht auf, Ingrid“, mahnte Monika, „du brauchst jetzt Nerven. Du mußt deinen Eltern beibringen, daß wir sehr gut allein reisen können. Mach ihnen klar, daß Steins die gleiche Reise machen… auch auf der Wassermann. Wir sind also in bester Obhut. Das mußt du deinen Eltern einbleuen.“

      „Werd ich!“ versprach Ingrid. „Verlaß dich drauf… diese Chance laß ich mir doch nicht vermiesen.“

      „Ich verlasse mich drauf.“

      Monika legte den Hörer auf und wählte sofort noch einmal, diesmal Norberts Nummer.

      Er kam selber an den Apparat und meldete sich mit vollem Mund.

      „Hei, Norbert, hier spricht Monika…“

      „Was ist? Wir sitzen gerade beim Essen.“

      „Dann paß nur auf, daß du dich nicht verschluckst! Ich habe das Preisausschreiben gewonnen! Ingrid und ich kreuzen Pfingsten mit euch durch die Karibik!“

      Norbert verschluckte sich tatsächlich und mußte erst einmal ausgiebig husten. „Du kriegst die Motten!“ sagte er dann.

      „Wir wollen unbedingt, aber du mußt uns helfen, daß es auch wirklich klappt. Du weißt ja, wie Eltern sind. Sie werden uns natürlich nicht gern allein reisen lassen. Du mußt deinen Eltern klarmachen, daß sie unseren Eltern versprechen müssen, auf uns aufzupassen.“

      „Klaro“, sagte Norbert, „wird gemacht. Soll mein Vater anrufen?“

      „Nicht so hastig. Immer langsam mit die jungen Pferde. Mein Vater weiß es noch gar nicht, und Ingrid muß es ihren Eltern auch erst schonend beibringen. Sie werden sich dann schon bei euch melden.“

      „Ich bereite sie vor.“

      „Recht so! Und nun mampf schön weiter!“

      Am liebsten hätte Monika

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