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Narzissen und Chilipralinen. Franziska Dalinger
Читать онлайн.Название Narzissen und Chilipralinen
Год выпуска 0
isbn 9783862567423
Автор произведения Franziska Dalinger
Издательство Bookwire
Ich muss mich an seiner Schulter abstützen, um meinen Schuh wieder an den Fuß zu kriegen, wo er hingehört, und dabei schwankt Tom bedenklich. Ehe ich merke, was geschieht, liegen wir beide im Schnee. Mein Rücken wird nass und kalt. Überall ist Schnee, ich habe sogar welchen im Mund. Mein wütender Schrei hört sich dadurch eher wie ein erschrockenes Quieken an.
»Oh sorry, bitte vielmals um Entschuldigung«, lallt er, rappelt sich auf und hilft mir hoch, wobei er es diesmal schafft, nicht umzukippen. »Äh, du hast da Schnee.« Ungeschickt klopft er mir die weiße Pracht vom Rücken.
»Lass das.« Ich packe seine Hand und entferne sie von meiner Taille. Mist. Jetzt bin ich völlig durchnässt, was wohl bedeutet, dass ich sofort nach Hause muss. Mir ist so kalt, dass meine Zähne klappern. Dabei bin ich noch gar nicht so lange auf dieser Party. Vielleicht eine oder zwei Stunden. Noch viel zu früh, um zu Hause anzurufen und Papa zu bitten, mich abzuholen. Mein Vater hält sowieso nicht viel von Partys, auf denen Schüler Alkohol trinken, flirten und Dinge tun, an die sie sich am nächsten Tag nicht mehr erinnern können oder die, bei Licht besehen, nur halb so lustig sind wie gedacht. Wenn Papa sieht, dass ich mich im Schnee gewälzt hab, denkt er womöglich etwas ganz Schlimmes von mir, vor allem, da Tom wie ein Trottel danebensteht und darauf wartet, dass ich ihm entweder eine reinhaue oder ihn küsse.
»Komm, ich bring dich nach Hause«, schlägt er vor.
Im Moment tendiere ich zu »eine reinhauen«.
»Du kannst nicht fahren«, sage ich. »Ausgeschlossen.« Woran man sieht, dass ich durchaus lernfähig bin. Wie könnte ich jemals vergessen, dass ich mich schon mal zu ihm ins Auto gesetzt und erst dann gemerkt hab, dass er kaum geradeaus fahren konnte? Ein Glück, dass aus mir und Tom nichts geworden ist. Er trinkt zu viel. Er hängt auf zu vielen Partys rum. Er ist völlig verrückt. Ganz im Gegensatz zu Daniel, der zwar noch keinen Führerschein hat, aber wenn er endlich Auto fahren kann, sicher unheimlich vernünftig und erwachsen mit dieser Verantwortung umgehen wird. Weil Daniel ja immer so schrecklich erwachsen und nett und brav und LANGWEILIG ist!
Aaaaaah!
Ich packe Tom am Kragen und schaue in seine blauen Augen. Augen, strahlend blau, tiefblau, so wie er im Moment durch und durch blau ist. Die Farbe bildet einen wahnsinnigen Kontrast zu seinen schwarzen Haaren. Ich könnte ihn jetzt küssen. Einfach so. Weil ich immer noch wütend auf Daniel bin. Weil ich diese Jahre, in denen ich heimlich in Tom verliebt war, nicht einfach so abstreifen kann innerhalb weniger Monate; manchmal geistert er ungefragt durch meine Träume. Weil ich hundertdreiundzwanzig Gedichte in meiner Schublade liegen habe. (Oder waren es bloß hundertzwölf? Muss ich mal nachzählen und durchnummerieren.) Weil ... weil ich Lust dazu habe! Und weil niemand es je erfahren wird. Tom wird sich garantiert an überhaupt nichts erinnern.
Unsere Gesichter kommen sich näher. Ich kann seine Bierfahne riechen. Das gibt letztendlich den Ausschlag. Dieser Geruch verdirbt mir den Appetit.
Ich stoße Tom von mir weg, und er landet zum zweiten Mal im Schnee. Er lacht und lacht, wie ein Irrer.
Ich lasse ihn liegen und suche nach meinem Handy. Wo (unfrommer Fluch, bitte kurz weghören) ist mein Handy? Ich muss es vorhin verloren haben. Na toll. Jetzt kann ich hier danach wühlen. Tom lacht immer noch, er klingt glücklicher, als er sollte. Das Dumme ist, ich weiß genau, was ihn so freut. Das war knapp, echt knapp, und er weiß es, so wie ich es weiß, und wenn ich Pech habe, weiß er es morgen auch noch. Wie blöd war ich eigentlich zu glauben, es wäre egal, weil niemand es sieht? Ich würde es wissen. Immer. Immer, wenn ich mit Daniel zusammen bin, würde ich daran denken müssen. Was für ein Glück, dass ich es nicht getan habe.
»Steh auf und hilf mir suchen!«, fahre ich ihn an, damit er endlich aufhört zu lachen. »Mein Handy ist weg.«
»Du brauchst niemanden anzurufen«, beschwört er mich, während er sich herumrollt, um ungeschickt aufzustehen. »Ich kann dich doch bringen.«
Da ist es. Ich fische meinen Rettungsanker aus dem Schnee. Zum Glück ist es wasserdicht. Eigentlich sollte ich für Tom ein Taxi rufen, aber da kommen seine Kumpels aus dem Saal, entdecken uns und ziehen ihn wieder mit ins Gedränge. Es scheint ihn nicht zu stören, dass er völlig nass ist. Zum Abschied wirft er mir eine Kusshand zu. Ich verdrehe bloß die Augen. Mit zitternden Fingern wähle ich die heimische Nummer und bestelle meinen persönlichen Fahrdienst.
Michael entschuldigt sich wortreich. »Tut mir leid, ich kann nicht kommen, mein Wagen steht zurzeit nicht zur Verfügung.« Was immer das heißen mag. Hat er ihn einer hilfsbedürftigen alleinerziehenden Mutter mit vier Kindern ausgeliehen, die keine Getränkekisten schleppen mag, weil sie es im Rücken hat? Wär nicht das erste Mal, aber die fortgeschrittene Uhrzeit spricht doch eher dagegen. »Aber ich sag Manfred Bescheid.«
»Klar, danke. Papa wird sich freuen.« Fröstelnd reibe ich mir die Oberarme und wippe ein bisschen hin und her, um nicht ganz auszukühlen.
Aus dem Schatten vor dem Festsaal löst sich eine Gestalt. Ein glühendes Pünktchen in der Dunkelheit weist auf einen Raucher hin. Ansonsten muss ich warten, bis er in den Lichtschein tritt, dann endlich erkenne ich, wen ich vor mir habe. Es ist eine Sie. Kim. Kim, die einmal zu Mandys Clique gehört hat, bis wir uns alle wegen der Sache mit Steffi und dem armen kleinen Hendrik zerstritten haben. Ich weiß, dass sie immer noch sauer ist, schließlich gehen wir in eine Klasse. Wir, Mandy und ich, haben die Sozialstunden, die man uns aufgebrummt hat, als die Sache rauskam, mit Fassung ertragen, aber Kim betrachtet mich als Verräterin der schlimmsten Sorte.
»Ach, sieh einer an.« Mehr sagt sie nicht, was es irgendwie noch ungemütlicher macht.
»Hi, Kim«, begrüße ich sie. »Ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist.«
Sie lässt mich in ihrem eisigen Schweigen schmoren. Wärmer wird mir davon nicht. Kim ist Boxerin und kann es überhaupt nicht vertragen, wenn irgendetwas nicht nach ihrem Willen geht.
»Sag mal, ist dir dein schnuckeliger Mr. Blond-and-Perfect etwa schon langweilig geworden?«
Langweilig? Wie kann sie es wagen! »Er hatte einfach keine Lust«, fauche ich sie an. Daniel ist vielleicht kein begeisterter Partylöwe, aber er wäre mitgekommen. Mir zuliebe. Nur eben nicht heute. »Seine Schwester liegt im Koma, da wäre dir wohl auch nicht so nach Abtanzen zumute!«
»Aha«, sagt Kim. »Und warum bist du dann hier?«
Gott, sie hat recht. Es trifft mich wie ein Schlag. Warum bin ich hier? Es macht sowieso keinen Spaß, ohne ihn. Mandy habe ich im Gedränge zwar aufgestöbert, aber irgendwie nervt sie mich nur. Die ganze Zeit denke ich daran, wie Daniel zu Hause sitzt und sich um Sarah Sorgen macht.
»Weiß er eigentlich, was du hier abziehst? Jemand sollte ihn warnen.«
Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Also war sie die ganze Zeit da. Und hat es nicht für nötig gehalten, sich bemerkbar zu machen. Man hüte sich vor Leuten, die in irgendeiner dunklen Ecke heimlich rauchen.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, sage ich. »Warum sollte es Daniel stören, wenn ich mich mit Tom treffe?«
»Wenn du ihn abknutschst, dann vielleicht schon«, meint sie gehässig.
Von ihrem Winkel aus hat es möglicherweise danach ausgesehen, dass wir uns geküsst haben. Aber haben wir ja gar nicht. Daher kann sie mir nichts.
»Tja«, räume ich ein, »in dem Fall hätte ich ein Problem. Aber was geht dich das an?«
Kim stößt mich an, sodass ich rückwärts stolpere. »Du kommst dir wohl ganz toll vor, wie?«
Ich lande im Schnee. Eigentlich könnte ich gleich hier liegenbleiben, denn ich hab echt keine Lust, mich mit Kim zu prügeln. Mit einer Frau, deren Fäuste aus Stahl sind? Nein danke. Panisch schicke ich ein Stoßgebet nach oben: Lass Papa schnell herkommen, Gott, bitte!
Kim mustert mich voller Verachtung, dreht sich dann