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Auskunft sorgte dafür, dass der junge Mann leichenblass wurde und sich gegen eine Wand lehnen musste. »Echt jetzt? Ich … ich dachte, das wäre irgendwie eher aus Versehen passiert, deshalb habe ich das Messer auch genommen. Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass es ein wichtiges Beweisstück sein könnte, ehrlich nicht. Ich dachte doch nicht …« Er brach ab, schüttelte langsam den Kopf. »Das Herz verfehlt«, murmelte er.

      »Sie haben nicht mitbekommen, worum es bei dem Streit ging?«

      »Nein, die haben sich ja schon geprügelt, als ich kam, aber ich kann’s mir denken. Es ging um eine Frau. Tom war mal in sie verliebt, aber sie hat ihn abblitzen lassen, wegen Marco. Nur … also, ich glaube, von dem ist sie jetzt auch getrennt. Tom konnte es nicht lassen, sie immer wieder zu beschimpfen, und Marco wollte das nicht hören.«

      »Sie müssen mir Ihren Namen sagen. Und Sie müssen mit der Polizei reden.«

      Der junge Mann nickte. »Sascha Buder. Also eigentlich Alexander, aber alle nennen mich Sascha. Was machen die mit mir, wenn sie erfahren, dass ich das Messer habe mitgehen lassen?«

      »Ich schätze mal, Sie kommen mit einer Verwarnung davon. Mir wäre es am liebsten, wir würden sofort bei der Polizei anrufen und die Sache klären. Vermutlich wäre das auch für Sie das Beste.«

      Sascha Buder nickte. »Okay, Sie sind der Boss. Kann ich die beiden sehen?«

      »Erst, wenn Sie mit der Polizei gesprochen haben.«

      Der junge Mann nickte ergeben, und Eckart rief die Nummer an, die auf einer der Visitenkarten stand, die die Beamten ihm gegeben hatten.

      *

      Es war schon fast sechs Uhr, als Eva die Zeit für gekommen hielt. Schwester Marie war gerade noch einmal bei ihr gewesen, jetzt musste sie handeln, denn bald würde die Schicht wechseln, so viel hatte sie herausgefunden. Diese Zeit des Übergangs von einem Team zum nächsten wollte sie nutzen.

      Sie stand auf, wobei sie erschrocken feststellte, wie unsicher sie auf den Beinen war, aber sie ließ sich nicht beirren. Sie holte ihre Sachen aus dem Schrank, setzte sich auf den Bettrand und begann, sich anzuziehen. Auf dem Stationsflur war es jetzt völlig still. Endlich.

      Sie brauchte länger zum Anziehen als sonst, weil ihr jede Bewegung schwer fiel. Woran das lag, konnte sie sich nicht erklären. Und seltsamerweise war ihr Bauch plötzlich dicker als vorher – als wäre er in dem Augenblick gewachsen, in dem dieser Arzt zum ersten Mal das Wort ›schwanger‹ in den Mund genommen hatte. Natürlich war sie nicht dumm, sie wusste, dass sie schwanger war, aber sie hatte diese Erkenntnis, so gut es eben ging, verdrängt, bis sie beinahe so weit gewesen war, ihren Zustand auch vor sich selbst zu verleugnen. Nur nachts hatte sie es sich manchmal gestattet, eine Hand auf ihren Bauch zu legen, um zu fühlen, was da in ihr wuchs.

      Als es ihr endlich gelungen war, auch ihre Schuhe anzuziehen, stand sie langsam auf. Sie durfte sich nicht schnell bewegen, so viel hatte sie schon begriffen, sonst wurde ihr wieder schwindelig, und sie wollte ja nicht noch einmal bewusstlos auf der Straße landen, denn was dann passieren würde, konnte sie sich ausmalen: Man würde sie wieder in diese Klinik bringen, wo ihr lauter unangenehme Wahrheiten gesagt wurden, die sie nicht hören wollte.

      Sie nahm ihre Tasche, vergewisserte sich, dass noch alles darin war, was ihr gehörte, und ging zur Tür, die sie vorsichtig einen Spaltbreit öffnete, gerade so weit, dass sie hinaussehen konnte. Der Flur war leer. Also öffnete sie die Tür ganz und schlüpfte hinaus. Da sie auf der einen Seite am Dienstzimmer vorbeigehen musste, wählte sie die andere Seite. Den Aufzug würde sie meiden und lieber die Treppe nehmen, auch wenn es ihr schwer fiel. Im Treppenhaus war das Risiko, entdeckt zu werden, geringer.

      Sie war schon fast am Ziel, als Schwester Marie wie aus dem Nichts neben ihr auftauchte. »Das ist ja wohl nicht Ihr Ernst!«, sagte sie. »Sie können sich kaum auf den Beinen halten, das sehe ich Ihnen an. Wo wollen Sie denn hin in diesem Zustand?«

      Dummerweise verließen Eva ausgerechnet in diesem Moment die Kräfte. Sie schwankte und wäre vielleicht gefallen, wenn Marie nicht mit einem Satz bei ihr gewesen wäre und sie gestützt hätte.

      »Und jetzt sofort zurück ins Bett mit Ihnen. Machen Sie so einen Unsinn nicht noch einmal, verstanden?«

      Eva nickte. Sie würde froh sein, wenn sie wieder lag. Ihr war ganz unverständlich, wie sie es bis hierher geschafft hatte – und wie sie sich hatte einbilden können, sie werde bis nach Hause kommen. Als sie hörte, wie jemand ihren Namen rief, reagierte sie zunächst nicht.

      »Eva! Was machst du denn hier?«

      Da Schwester Marie unwillkürlich stehen geblieben war und sie fragend ansah, blieb Eva notgedrungen ebenfalls stehen. Langsam drehte sie sich um. Sascha Buder, ausgerechnet!

      Er kam direkt auf sie zu. »Bist du wegen Marco hier?«, fragte er.

      Eva spürte, wie ihre Beine unter ihr nachgaben, als er nach Marco fragte, aber Schwester Marie verstärkte ihren Griff. »Helfen Sie mir, sie wieder ins Bett zu bringen«, sagte sie zu Sascha. »Es geht ihr nicht gut.«

      Eva war froh, dass er daraufhin den Mund hielt und keine weiteren dummen Fragen stellte. Er nahm ihren anderen Arm und geleitete sie zusammen mit Marie zurück zu dem Raum, den sie gerade erst verlassen hatte. Erleichtert ließ sie sich auf den Bettrand sinken. Dass ein kurzer Ausflug von nur wenigen Schritten so anstrengend sein konnte!

      »Danke«, sagte die Schwester zu Sascha. »Ab jetzt kommen wir allein zurecht.«

      Eigentlich hatte Eva nicht fragen wollen, aber sie musste es wissen. »Was ist mit Marco?«

      Doch als Schwester Marie sah, dass er Anstalten machte, die Frage zu beantworten, wurde sie energisch. Sie drängte ihn förmlich aus dem Zimmer, dann schloss sie nachdrücklich die Tür.

      »Aber ich will es wissen«, sagte Eva. »Wieso hat er mich nach Marco gefragt? Ist er hier?«

      »Und wieso wollen Sie das wissen?«, fragte Marie.

      Eva spürte, dass sie am Ende war. Sie schlug beide Hände vors Gesicht und begann zu weinen.

      Schwester Marie setzte sich neben sie, nahm sie in die Arme und schaukelte sie sachte hin und her, als wäre sie ein kleines Mädchen, das Trost brauchte. Auf einmal war sie überhaupt nicht mehr energisch, sondern ganz sanft, liebevoll und fürsorglich.

      Eva legte ihren Kopf an Maries Schulter und dachte, wie schön es wäre, wenn sie ihr alles erzählen könnte. Alles, was sie bedrückte, alles, was ihr Leben derzeit so schwer machte. Aber sie wusste, es wäre ein Fehler, und so presste sie die Lippen fest zusammen, damit ihr nur ja kein unbedachtes Wort entschlüpfte.

      *

      »Guten Morgen«, sagte Antonia leise.

      Leon schlug die Augen auf. Da lag sie, schön wie immer, und lächelte ihn an, als gäbe es in ihrem Leben keine heimlichen Treffen mit einem anderen Mann! Was sollte er nun von diesem Lächeln halten? Es sprach reine Liebe daraus, und er fragte sich, warum er ihr nicht einfach diese Frage stellte, die ihm auf der Seele brannte: ›Warum triffst du dich heimlich mit Ingo Ewert?‹ Aber er brachte sie nun einmal nicht über die Lippen, er hätte sich gedemütigt gefühlt, wenn er sie um eine Auskunft hätte bitten müssen, die sie ihm seiner Meinung nach von sich aus hätte geben sollen, ohne Nachfragen.

      »Guten Morgen«, erwiderte er ebenso leise.

      »Du bist erst ziemlich spät wiedergekommen. Ist mit den Zwillingen von Frau Müthen alles gut gegangen?«

      »Das Mädchen musste ich per Kaiserschnitt holen, das war heikel, wir hatten plötzlich keine Herztöne mehr und mussten uns deshalb sehr beeilen. Die Kleine drohte sich mit der Nabelschnur zu strangulieren. Aber alles ist gut ausgegangen.«

      »Schön.«

      »Und dann kamen noch zwei Notfälle.« Er erzählte ihr von den jungen Männern, von denen einer eine böse Stichverletzung gehabt hatte. »Eckart war froh, dass ich noch da war, Herr Hillenberg und er wären sonst ziemlich ins Rotieren gekommen. Das war eine anstrengende

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