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noch immer ernst. »Und weil mir die Berufspraxis fehlt, habe ich Ingo gebeten, bei ihm eine Art Praktikum machen zu dürfen. Es ist dann etwas mehr geworden als ein Praktikum, weil er unbedingt Unterstützung in seiner Klinik braucht.«

      Leon war fassungslos. Das war es also gewesen, was sie vor ihm verheimlicht hatte? Und er hatte sich mit wer weiß was für Gedanken gequält! Beinahe hätte er gelacht vor Erleichterung, dass es also doch keine Ehekrise gab im Hause Laurin, aber dann wurde ihm klar, was ihre Ankündigung bedeutete. »Wir haben vier Kinder«, sagte er. »Wie stellst du dir das vor?«

      »Ich habe seit über sechzehn Jahren auf die Ausübung meines Berufs verzichtet«, erwiderte sie ruhig. »Ich stelle mir vor, dass du mich jetzt bei meinem Wunsch unterstützt, wieder als Kinderärztin tätig zu werden. Du weißt, wie wichtig mir mein Beruf war – und er ist es noch immer. Die Kinder werden langsam flügge, selbst Kyra ist schon ziemlich selbstständig. Sie brauchen keine Mutter mehr, die den ganzen Tag zu Hause auf sie wartet.«

      »Aber …« Er verstummte. Damals hatte er es selbstverständlich gefunden, dass sie ihren Beruf aufgab und sich fortan der Familienarbeit widmete. Die klassische Rollenaufteilung. Er wusste, dass ihn Kollegen darum beneideten, dass er eine Frau hatte, die ihm ›den Rücken freihielt‹, wie einer es einmal ausgedrückt hatte. Aber die Zeiten hatten sich geändert, das war ihm natürlich nicht entgangen, auch wenn es ihn, wie er sich eingestand, mit Unbehagen erfüllte, weil er wusste, er würde einige lieb gewordene Gewohnheiten aufgeben müssen.

      »Ich habe dir meine Pläne auch deshalb bis jetzt verheimlicht, weil ich wusste, du würdest Einwände erheben«, fuhr Antonia fort. »Aber wenn wir davon ausgehen, dass Frauen die gleichen Rechte haben sollten wie Männer, dann erklär mir, warum du arbeiten darfst und ich nicht.«

      »Weil wir Kinder haben, die Betreuung brauchen«, sagte er. »Auch wenn sie allmählich flügge werden, wie du sagst, heißt das ja nicht, dass sie allein zurechtkommen.«

      »Nur mal so als Beispiel: Du könntest weniger arbeiten, damit du mehr Zeit für die Kinder hättest.«

      Er wollte aufbrausen, hielt sich aber gerade noch rechtzeitig zurück. »Ich leite eine Klinik«, sagte er steif, »da kann ich nicht sagen: Ab sofort leite ich sie nur noch halbtags.«

      »Es gäbe schon Lösungen, wenn man ernsthaft danach suchen würde«, erwiderte sie, noch immer ganz ruhig, »aber das verlange ich gar nicht. Ich möchte eine Praxis eröffnen und wieder arbeiten. Wir werden eine Haushälterin einstellen, und ich werde sehen, wie viele Stunden pro Woche ich arbeiten kann, ohne dass unser Familienleben zusammenbricht.«

      »Und wenn ich damit nicht einverstanden wäre?«

      Sie sah ihn weiterhin unverwandt an. »Es ist mein Wunsch, Leon«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Ich erzähle dir jetzt, was sich heute in Ingos Klinik ereignet hat.«

      Er hörte der Geschichte von Susie Strasser und ihren verzweifelten Eltern zu, ohne seine Frau auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen.

      »Ich war vorher unsicher, obwohl Ingo mir immer wieder gesagt hat, dass mir vielleicht die Praxis fehlt, dass ich aber nichts vergessen oder verlernt habe. Und heute, als ich dieses kleine Mädchen sah, da wusste ich plötzlich, dass er Recht hatte: Ich bin eine gute Ärztin, und ich kann noch sehr vielen Kindern helfen, das weiß ich. Und ich sehne mich danach, es zu tun.«

      Er hatte ihren Argumenten nichts entgegenzusetzen, er wusste es. Doch er konnte nicht leugnen, dass ihm die Vorstellung nicht behagte, in Zukunft öfter nach Hause zu kommen und Antonia nicht anzutreffen, weil sie noch berufliche Verpflichtungen hatte. Ja, das war egoistisch, er gestand es sich offen ein, aber war es nicht nachvollziehbar, dass er sein gut eingespieltes, angenehmes Familienleben so fortführen wollte, wie er es gewöhnt war und wie es sich seit Jahren bewährt hatte?

      Nachvollziehbar schon, dachte er selbstkritisch, aber auch ungerecht. Antonia wünscht sich etwas anderes, und ich verstehe sie nur zu gut. Wenn man mir meinen Beruf wegnähme …

      Sie trat zu ihm, schlang beide Arme um seinen Hals. »Mach nicht so ein Gesicht«, bat sie. »Ich will nur arbeiten, Leon. Ich will dich und die Kinder ja nicht verlassen!«

      Er umarmte sie nun seinerseits. »Und wo soll deine Praxis sein?«, fragte er.

      Sie lächelte. »In der Kayser-Klinik natürlich. Ich dachte, in einem der neuen Flügel. Da gibt es noch ein paar Räume, die sich sehr gut eignen würden für eine Kinderarzt-Praxis. Schließlich holt ihr eine Menge Kinder auf die Welt. Einige von denen könnten dann in meiner Praxis weiterhin betreut werden.«

      Die Idee war großartig, das erkannte er sofort. Auch die Kayser-Klinik musste schließlich sehen, dass sie wirtschaftlich arbeitete, die Zeiten waren härter geworden. Und sie hatten tatsächlich noch freie Räume, in denen man ohne große Probleme eine Praxis einrichten konnte.

      Im nächsten Moment schämte er sich dieser Gedanken bereits. Um wirtschaftliche Fragen ging es hier ja nicht, sondern um Antonias Wunsch, wieder in ihrem Beruf zu arbeiten, und so sagte er nur: »Das ist eine ziemlich gute Idee.«

      »Ich weiß. Und dass ich wieder arbeite, ist auch eine gute Idee. Du kannst es jetzt vielleicht noch nicht so sehen, aber irgendwann wirst du mir zustimmen. Du wirst dich darüber freuen, dass du eine Frau hast, die glücklich ist, wieder in dem Beruf arbeiten zu können, den sie liebt.«

      »Da hast du sicher Recht, aber es wird mir trotzdem nicht gefallen, nach Hause zu kommen, und du bist nicht da.«

      »Dir wird auch anderes nicht gefallen«, stellte sie sachlich fest, »ebenso wenig wie den Kindern. Ihr werdet es alle ein bisschen weniger bequem haben.«

      »Du auch. Du wirst dir jede Menge Stress aufladen.«

      Sie lächelte ihn von unten herauf an. »Versuchst du jetzt auf diese Weise, mir mein Vorhaben auszureden?«

      Er küsste sie. »Das würde ich nie versuchen, weil ich weiß, wie eigensinnig du bist. Du lässt dir nichts ausreden, was du unbedingt willst.«

      »Wenn es einen wirklich schwerwiegenden Einwand gegen meine Pläne gäbe, vielleicht schon. Aber eure Bequemlichkeit lasse ich als solchen nicht gelten.« Sie rückte ein Stück von ihm ab. »Hast du mich mit Ingo gesehen? Weil du vorhin gleich nach ihm gefragt hast?«

      Er nickte. »Ja, mehrmals sogar. Und ich habe immer gewartet, dass du mir von euren Begegnungen erzählst, aber das hast du nicht getan.«

      »Du hast aber nicht gedacht, dass ich fremdgehe, oder?«

      Er zögerte, aber nur kurz. »Der Gedanke ist mir gekommen«, gestand er. »Und mir hat nicht gefallen, wie ich darauf reagiert habe, dich mit einem anderen Mann zu sehen.«

      »Wie dumm du bist, Leon!« Sie schmiegte sich erneut in seine Arme und küsste ihn. »Mit den Kindern reden wir an Kyras Geburtstag, einverstanden?«

      »Habe ich eine Wahl?«

      Sie lachte. »Nein, hast du nicht.«

      *

      »Guten Tag, Marco«, sagte Eva.

      Er starrte sie an wie eine Erscheinung. Gerade noch hatte er mit Robert Semmler über Eva gesprochen, und nun stand sie vor ihm.

      Sie kam langsam näher, sie ging sehr vorsichtig, als hätte sie Angst, eine falsche Bewegung zu machen.

      »Hallo«, sagte Marco. »Bist du krank?«

      Sie kam ihm verändert vor, außerdem war sie dicker geworden, schien ihm. Aber ob dick oder dünn: Sie gefiel ihm immer. Er musste sie nur ansehen, schon ging ihm das Herz auf.

      Sie ließ sich vorsichtig auf den Stuhl neben seinem Bett sinken. »Ich bin schwanger«, sagte sie. »Deshalb habe ich mich von dir getrennt, weil ich ja wusste, du willst keine Kinder.«

      Er war nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte. »Schwanger? Von mir?«

      »Von wem denn sonst? Es hat ja keinen anderen gegeben, das solltest du eigentlich wissen.«

      Das Atmen fiel ihm plötzlich

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