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      »Mmh. Örjan Malmström. Er ist Schwede, weißt du.«

      Nun ist es nicht das erste Mal, dass Heidi einen Freund hat. Schon in der ersten Klasse war sie mit Per-Gunnar fest befreundet. Sie saßen im Fahrradschuppen auf dem Schulhof eng zusammen und umarmten sich. Alle Jungen unserer Klasse sind scharf auf Heidi, weil sie so süß ist. Und letztes Jahr schickten Tore und sie sich während des Unterrichts Zettel, auf die sie geschrieben hatten, dass sie einander liebten und so. Ich bin nie die feste Freundin von jemandem gewesen. Ich war scharf auf jemanden. Aber ich glaube nicht, dass jemals jemand scharf auf mich gewesen ist. Es hat jedenfalls nicht den Anschein.

      »Was heißt das, er ist so ganz richtig dein Freund?«

      »Weil es so ist. Willst du sehen, wie toll er aussieht?«

      Heidi fischte ein abgegriffenes Schwarzweißfoto aus ihrer Tasche. Es war ein typisches Automatenbild. Ein hellblonder Junge starrt dich erschrocken an, als wäre er vom Blitzlicht überrascht worden. Örjan Malmström starrt. Aber Örjan Malmström hat einen Ring in dem einen Ohr wie ein Jugendlicher, obwohl er bestimmt nicht älter als zwölf ist. Örjan Malmström ist super.

      »Ist er nicht super?«

      »Ja«, sagte ich.

      »Wir wollen uns Liebesbriefe schreiben«, sagte Heidi zufrieden und schob das Bild wieder an seinen Platz.

      DING-DONG-DONG klang es von unserem Haus, das war Vater, der die Glocke läutete. Das heißt, Mittag ist fertig oder Abendessen oder irgendwas anderes. Niemand sonst in unserer Straße benutzt so eine blöde Glocke. Es ist wirklich bescheuert, als wäre ich eine Kuh, die in den Stall soll.

      »Ich muss nach Hause«, sagte ich. »Was wirst du morgen anziehen?«

      »Vielleicht die rosa Jacke.«

      »Dann zieh ich auch meine rosa Jacke an.«

      »Spitze«, sagte Heidi.

      Das war am Nachmittag. Jetzt ist es Abend, ich stehe im Badezimmer, putze mir die Zähne und sehe dabei in den Spiegel. Ich bin leider nicht brauner geworden. Und die Sommersprossen sind immer noch genauso viele wie gestern und vorgestern und vorvorgestern. Vierunddreißig Sommersprossen allein im Gesicht! Wer bietet mehr? Ich gehe jede Wette ein, dass Synne morgen eine dumme Bemerkung darüber machen wird. »Hast du dich durch ein Teesieb gesonnt, oder . . .« Das sagt sie üblicherweise. Und mir fällt nie eine passende Antwort ein. Vielleicht sollte ich sagen: »Ja, stimmt genau.« Ganz überlegen und gleichgültig. »Das ist nämlich die neueste Mode, sich durch ein Teesieb zu sonnen.« Ja, das werde ich sagen, wenn sie ihr Krötenmaul aufreißt.

      Synne bildet sich ein, sie sähe unglaublich gut aus, genauso gut wie Heidi. »Wir könnten fast Schwestern sein«, sagt sie oft. Nur weil beide lange, blonde Pferdeschwänze haben! Ich bin nicht der Meinung, dass sie sich ähneln. Ganz und gar nicht. Aber ich hätte gern einen langen, blonden Pferdeschwanz wie Heidi statt meiner strähnigen roten, halblangen Zotteln.

      Ich strecke meinem Spiegelbild die Zunge raus und gehe ins Bett.

      2

      Heidi und ich. Mit hundert Sachen auf dem Fahrrad den Hügel hinunter auf dem Weg zur Schule. Vater auf der Treppe: »NINA! ZIEH DEINE REGENJACKE AN! ES GIBT REGEN!«

      Aber ich höre nicht. Ich höre gar nichts, denn Heidi und ich, wir sind beide rosa, und um nichts in der Welt würde ich stattdessen eine Regenjacke anziehen. Weiter oben auf der Straße ist Synne.

      »Wartet!« Aber wir hören nicht. Nein. Wir hören überhaupt nichts. Wir singen mit dem Krötenmaul weit hinter uns, der Wind bläst uns direkt ins Gesicht, dass wir nach Luft schnappen müssen.

      »O HÄNGT IHN AUF, O HÄNGT IHN AUF,

      O HÄNGT IHN AUF, DEN KRANZ VON LORBEEREN! (japs)

      IHN, UNSERN HERRN . . .« (japs)

      »Wartet! Seid ihr denn stocktaub, oder was?« (Synne)

      »Die Regenjacke!« (Vater)

      »IHN, UNSERN HERRN, IHN, UNSERN HERRN,

      DEN WOLLEN WIR VEREHREN!« (japs)

      Regen? Gar nicht dran zu denken. Nicht heute. Obwohl Vater es eigentlich wissen müsste, schließlich arbeitet er im meteorologischen Institut. Es ist sein Job, herauszufinden, wie das Wetter wird. Mutter ärgert ihn immer und sagt, dass er sicher nur rät, so oft, wie der Wetterbericht nicht stimmt. Heute stimmt seine Prognose jedenfalls nicht und außerdem bin ich stocktaub. Heidi ist auch stocktaub, wie sie vor mir radelt mit ihrem Pferdeschwanz in einem langen, hellen Strich.

      »O HÄNGT IHN AUF, IHN, UNSERN HERRN,

      IHN, UNSERN HERRN, DEN WOLLEN WIR VEREHREN!« (japs und puh und angekommen)

      »Verdammt, ihr hättet wirklich warten können«, schimpfte Synne auf dem Schulhof.

      »Aber wir haben dich ja nicht rufen gehört.«

      »Ha! Woher wisst ihr dann, dass ich gerufen habe? Wenn ihr es nicht gehört habt!«

      »Äntschuldigung«, sagte Heidi. Mit Ä. Sie sagt immer Entschuldigung mit Ä.

      »Äntschuldigung, wir hören so schlecht!«

      Synne wechselte plötzlich das Thema und sagte mit ihrer einschmeichelndsten Stimme: »Du bist aber braun geworden, Heidi.« Sie hielt ihren Arm neben Heidis. »Wir sind gleich braun, sieh mal!«

      »Heidi ist viel brauner als du«, sagte ich.

      Synne sah mich an. Ihre Augen wurden zu zwei engen Schlitzen. Jetzt sagt sie das mit dem Teesieb, dachte ich. Und dann werde ich ihr antworten!

      »Du siehst aus wie ein Fischpudding mit Scheißeflecken drauf«, sagte Synne. Dann drehte sie sich um und ging zu Tonje und Margrete aus der Siebten. Während ich mit offenem Mund stehen blieb. Miststück!

      Am ersten Schultag nach den Ferien erscheint immer alles irgendwie neu und anders. Aber es dauert nicht lange, bis man entdeckt, dass alles noch beim Alten ist. Der Schulhof ist wie immer, mit dem Asphalt, auf dem alle mindestens einmal im Jahr hinfallen und sich ein Loch ins Knie schlagen, das Klettergerüst, das ganz ungefährlich ist, aber eigentlich doch nicht ganz ungefährlich, nachdem Truls aus der zweiten Klasse im letzten Jahr runtergefallen ist, direkt auf seine Rotznase, und sich einen Zahn ausgeschlagen hat. Unsere Lehrerin ist wie immer, wie immer zu Beginn eines Schuljahres, dann strahlt sie wie eine Sonne. Im Laufe des Herbstes strahlt sie immer weniger und ungefähr um Weihnachten herum ist sie bereits ziemlich erloschen, wie eine ausgebrannte Glühbirne.

      Der Rolf in unserer Klasse ist jedenfalls ganz der Alte! Sobald er durch das Schultor kam, fing er an, den Fahrradschuppen zu beschmieren, und was er da normalerweise schreibt, das sind nicht gerade Bibelverse. Also muss der Hausmeister auch dieses Jahr wieder den Fahrradschuppen streichen, und dabei wird er reichlich sauer. Morten kam an, die Taschen voll mit süßen Schnullern, sauren rostigen Nägeln, und in der ersten großen Pause nahm er die Gelegenheit wahr und rannte zu Frau Nilsens Bonbonladen, um sich mit weiterem Vorrat zu versorgen. Wie gehabt! Und die Jungen aus der Siebten begannen das Schuljahr damit, dass sie Plastiktüten voller Wasser auf uns andere warfen, nur um zu zeigen, dass sie jetzt die Größten in der Schule sind1. So ist es jedes Jahr.

      Eigentlich ist nur Mona nicht wie immer. Sie hat eine Zahnspange bekommen. »Zähne im Gefängnis«, meinte sie, bevor irgendjemand den Mund aufkriegte, um zu sagen: »Iiiih! Eisendraht auf den Zähnen.«

      Und einige sind ein bisschen gewachsen.

      Aber ich bin am meisten gewachsen.

      Jedes Jahr bin ich es, die am meisten gewachsen ist, aber Jon, Siv-Margrete und Turid waren fast genauso groß wie ich. Vorher. Jetzt nicht mehr. Jetzt kann ich weit über alle Köpfe gucken. Das merkte ich, als wir vor der ersten Stunde auf dem Flur vor dem Klassenzimmer standen.

      »Oh, Scheiße, wie lang du wirst«, sagte Synne. »Kannst bald als Fahnenstange anfangen.«

      O ja, Synne hat sich auch

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