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sagte: »Hattest du genug?«

      »Noch eines, Papa, bitte.«

      Ihr würde schlecht werden! Er ging an den Tresen, um zu zahlen. Als er sich wieder umdrehte, sah er Fleur an der Tür stehen, mit einem Taschentuch in der Hand, das ihr der Junge offensichtlich gerade aufgehoben hatte.

      »F. F.«, hörte er sie sagen. »Fleur Forsyte – ja, das gehört mir. Vielen Dank.«

      Guter Gott! Sie hatte den Trick gelernt von dem, was er ihr in der Galerie erzählt hatte – kleiner Fuchs!

      »Forsyte? Na, sowas! So heiße ich auch. Vielleicht sind wir verwandt.«

      »Bestimmt! Es muss so sein, es gibt keine anderen. Ich wohne in Mapledurham, und Sie?«

      »Robin Hill.«

      Frage und Antwort waren so schnell aufeinander gefolgt, dass es vorbei war, bevor er einen Finger rühren konnte. Er sah, wie die aufgeschreckten Gefühle Irenes Gesicht belebten, schüttelte ganz leicht den Kopf und hakte sich bei Fleur ein.

      »Komm!«, sagte er. Sie rührte sich nicht.

      »Hast du nicht gehört, Papa? Ist das nicht komisch – wir haben denselben Nachnamen. Sind wir verwandt?«

      »Wie?«, sagte er. »Forsyte? Entfernt vielleicht.«

      »Ich heiße Jolyon, Sir, Jon abgekürzt.«

      »Ah, ach so!«, sagte Soames. »Ja, entfernt. Freut mich. Sehr nett von Ihnen. Schönen Tag noch!«

      Er ging weiter.

      »Vielen Dank«, sagte Fleur. »Au revoir!«

      »Au revoir!«, hörte er den Jungen erwidern.

      Als sie aus der Konditorei traten, war Soames’ erster Impuls, seiner Erregung Luft zu machen und zu seiner Tochter zu sagen: Lässt da dein Taschentuch fallen!, worauf sie entgegnen könnte: Das habe ich mir von dir abgeschaut! Sein zweiter Impuls war daher, schlafende Hunde nicht zu wecken. Aber sie würde ihn bestimmt ausfragen. Er sah sie von der Seite an und merkte, dass auch sie ihn so ansah. Sie sagte sanft: »Warum magst du diese Verwandten nicht, Papa?« Soames zog die Mundwinkel hoch.

      »Wie kommst du darauf?«

      »Cela se voit.«

      Das sieht man doch! Was für eine Ausdrucksweise! Nach zwanzig Jahren mit einer französischen Ehefrau konnte Soames sich noch immer nicht wirklich mit der Sprache anfreunden, sie war theatralisch und seinem Empfinden nach mit allen ironischen Spitzfindigkeiten im familiären Kreise verbunden.

      »Woran?«, frage er.

      »Du musst sie kennen, und du hast es dir nicht anmerken lassen. Ich habe doch gesehen, wie sie dich angeschaut haben.«

      »Ich habe den Jungen noch nie zuvor gesehen«, erwiderte ­Soames wahrheitsgemäß.

      »Nein, aber die anderen schon, mein Lieber.«

      Soames warf ihr einen weiteren Blick zu.

      Was hatte sie aufgeschnappt?

      Hatte ihre Tante Winifred etwas gesagt, oder Imogen, oder Val Dartie und seine Frau? Zu Hause war jede leiseste Andeutung von dem alten Skandal geflissentlich von ihr ferngehalten worden und er hatte Winifred mehrfach gewarnt, dass er um nichts in der Welt wollte, dass ihr auch nur ein Wort darüber zu Ohren käme. Für sie sollte er nie zuvor verheiratet gewesen sein. Doch ihre dunklen Augen, deren südlicher Glanz und Klarheit ihm oft fast Angst machten, sahen ihn vollkommen unschuldig an.

      »Nun«, sagte er, »dein Großvater und sein Bruder hatten einen Streit. Die beiden Familien kennen einander nicht.«

      »Wie romantisch!«

      Was meint sie denn nun damit?, dachte er. Für ihn war das ein übertriebenes und gefährliches Wort – es war, als hätte sie gesagt: »Wie lustig!«

      »Und sie werden einander auch weiterhin nicht kennen«, fügte er hinzu, bereute aber sofort die Steilvorlage, die er mit diesen Worten geliefert hatte. Fleur lächelte. In dieser heutigen Zeit, in der die jungen Leute sich damit brüsteten, ihren eigenen Weg zu gehen und angemessenen Vorurteilen jeglicher Art keinerlei Beachtung zu schenken, hatte er genau das gesagt, was ihren Eigensinn anstachelte. Dann erinnerte er sich wieder an den Ausdruck in Irenes Gesicht und er atmete auf.

      »Was für einen Streit denn?«, hörte er Fleur sagen.

      »Wegen eines Hauses. Das ist eine alte Geschichte. Dein Großvater starb an dem Tag, an dem du geboren wurdest. Er war neunzig.«

      »Neunzig? Gibt es noch viele Forsytes neben denen im Adelskalender?«

      »Das weiß ich nicht«, sagte Soames. »Die sind jetzt alle überall verstreut. Die alten sind tot, außer Timothy.«

      Fleur schlug die Hände zusammen.

      »Timothy? Ist das nicht köstlich?«

      »Ganz und gar nicht«, sagte Soames. Es kränkte ihn, dass sie ­Timothy köstlich fand – das war wie eine Beleidigung seinesgleichen. Diese neue Generation spottete über alles, was solide und beständig war. »Besuch den alten Jungen. Vielleicht will er ja irgendwas verkünden.« Ach ja! Wenn Timothy das ruhelose England seiner Großneffen und Großnichten sehen könnte, würde er ganz sicher etwas zu sagen haben. Und unwillkürlich blickte er hinauf zum Iseeum. Ja – George saß noch immer im Fenster, dasselbe Rennprogramm in der Hand.

      »Wo ist Robin Hill, Papa?«

      Robin Hill! Robin Hill, das Zentrum jener Tragödie! Warum wollte sie das wissen?

      »In Surrey«, murmelte er, »in der Nähe von Richmond. Warum?«

      »Ist dort das Haus?«

      »Welches Haus?«

      »Wegen dem sie den Streit hatten.«

      »Ja. Aber was hat das alles denn mit dir zu tun? Wir fahren morgen nach Hause – du solltest dir besser Gedanken um deine Kleider machen.«

      »Ach, daran habe ich doch längst gedacht! Eine Familienfehde? Das ist wie in der Bibel, oder bei Mark Twain – total spannend. Welche Rolle hast du denn in der Fehde gespielt, Papa?«

      »Das braucht dich nicht zu interessieren.«

      »Aber wenn ich sie doch wieder aufnehmen muss?«

      »Wer sagt, dass du sie wieder aufnehmen musst?«

      »Na du.«

      »Ich? Ich habe gesagt, es hätte nichts mit dir zu tun.«

      »Genau das denke ich auch, dann passt ja alles.«

      Sie war zu raffiniert für ihn, fine, wie Annette sie manchmal nannte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken.

      »Hier gibt es schöne Spitze«, sagte er und blieb vor einem Laden stehen. »Ich dachte, das wäre vielleicht etwas für dich.«

      Als er bezahlt hatte und sie wieder weitergingen, sagte Fleur: »Findest du nicht, dass die Mutter von diesem Jungen die schönste Frau ihres Alters ist, die du je gesehen hast?«

      Soames erschauderte.

      Fast schon unheimlich, wie sie nicht lockerließ!

      »Sie ist mir gar nicht so richtig aufgefallen.«

      »Mein Lieber, ich habe dich doch zu ihr hinüberschielen sehen.«

      »Du siehst alles – und noch viel mehr, scheint mir!«

      »Wie ist denn ihr Mann? Er muss dein Cousin ersten Grades sein, wenn eure Väter Brüder waren.«

      »Tot, soweit ich weiß«, sagte Soames mit plötzlicher Heftigkeit. »Ich habe ihn seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.«

      »Was war er denn?«

      »Maler.«

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