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der nicht umgedreht worden wäre. Mit bebender Stimme fragte Phoolan Devi noch einmal nach den Gesuchten, die bis vor kurzem zu ihrer Bande gehört hatten, aber die Dörfler behaupteten, seit Wochen keine Fremden gesehen zu haben.

      Phoolan war höchst unzufrieden, und in ihrem Zorn wurde sie stets unberechenbar.

      „Ihr lügt!“ schrie sie mit sich überschlagender Stimme. „Kushwant Shankar und Vijay Nain sind hier! Gebt sie heraus, dann geschieht euch nichts mehr.“

      „Wie können wir etwas herausgeben, was wir nie gesehen haben, Herrin?“

      Phoolan Devi vollführte eine unmißverständliche Bewegung mit dem noch blutigen Gurkhadolch.

      „Nehmt die jungen Burschen mit!“ herrschte sie ihre Dacoits an. „Ich werde dieses Pack lehren, die Wahrheit zu sagen.“

      Johlend zerrten die Bandenmitglieder neun junge Männer auf den Dorfplatz. Sie gingen alles andere als sanft mit ihnen um.

      „Hab Erbarmen, Herrin! Mein einziger Sohn …“ Jammernd sank ein altes Weib auf die Knie und drückte die Stirn in den Staub. „Wir haben nichts Unrechtes getan.“

      Phoolan verzog das Gesicht und spuckte verächtlich aus.

      „Ich kann dir nicht helfen, meine Sorgen sind bestimmt größer als die deinen. Hör also auf zu jammern, davon wird nichts besser.“

      „Herrin …!“

      Die Dacoit und ihre Leute verließen das Dorf und schleppten die jungen Männer mit sich. Niemand wagte, sich ihnen entgegenzustellen.

      „Na, los doch!“ schrie Phoolan, als sie das letzte Haus vor sich sah. „Greift an, tötet uns! Ich weiß, wie gern ihr jetzt über uns herfallen würdet. Aber selbst dazu seid ihr zu feige.“ Sie brach in schallendes Gelächter aus, das noch eine Weile zu vernehmen war.

      Die beginnende Nacht verschluckte die Räuberbande, die den Pfad zum nahen Fluß nahm. Es dauerte lange, bis einige Dörfler das lähmende Entsetzen überwanden.

      „Das Weib ist schlimmer als ein reißender Tiger. Phoolan Devi wird unsere Söhne töten und bald nach neuen Opfern suchen. Sie ist unersättlich.“

      „Was können wir tun? Allein sind wir zu schwach. Wollt ihr es mit Dreschflegeln, Sensen und Mistgabeln mit der Bande aufnehmen?“

      „Sie ist der Teufel in Menschengestalt. Niemand hat sie je im Kampf besiegt.“

      „Dann müssen wir beten, damit uns die Götter beistehen und Phoolan verderben.“

      Vom Fluß her peitschte ein Schuß durch die Nacht. Für einige Augenblicke herrschte entsetzte, atemlose Stille. Jeder fürchtete, gleich weitere Schüsse zu hören.

      „Wollt ihr das?“ keuchte die alte Frau, die sich vor der Dacoit erniedrigt und in den Staub geworfen hatte. „Wenn wir Ohren und Augen verschließen und uns verkriechen, statt uns zur Wehr zu setzen, haben wir es allerdings nicht besser verdient. Was soll aus Samatrai werden ohne unsere Söhne?“

      Sie hatte Mühe, ihr Zittern zu verbergen, als sie nach einer dreizackigen hölzernen Forke griff, die an einer Hauswand lehnte.

      „Den Mist kann ich damit aufspießen – warum nicht auch dieses verfluchte Mordweib?“

      Sie hatte nichts zu verlieren außer ihrem Leben. Die anderen schon, sie versuchten sogar, die Alte zurückzuhalten.

      „Du wirst uns alle ans Messer liefern, Ramkali. Du bist verrückt. Geh nicht weiter!“

      „Ich weiß, was ich tue – im Gegensatz zu euch.“ Mit der Mistgabel stieß die Frau nach zwei Männern, die ihr den Weg vertraten. Sie entwickelte plötzlich Kräfte, die ihr niemand zugetraut hätte. „Dein Sohn ist auch dabei, Shri Ram Singh, und deiner, Gurh Datta. Wollt ihr euch später vorwerfen, sie in den Tod geschickt zu haben?“

      Ein zweiter Schuß fiel. Zumindest Singh wußte, daß die alte Ramkali recht hatte und es wenig nutzte, den Kopf in den Sand zu stecken. Nur wenn sie entschlossen zusammenhielten, hatten sie eine Chance.

      Er besaß ein altes schartiges Krummschwert, das die Dacoits verächtlich zurückgelassen hatten. Eine solche Waffe war immerhin besser als gar keine, und als er sie holte und Ramkali folgte, hatte er das Gefühl, daß sich das Schwert wie etwas Lebendiges in seine Hand schmiegte.

      Mehr Männer und Frauen folgten ihnen. Keiner redete, ihre Gesichter wirkten verschlossen und unnahbar, aber sie waren bereit, den Kampf aufzunehmen.

      Phoolan Devi hatte inzwischen die neun jungen Männer an der Uferböschung aufstellen lassen. Sie hatte die Pistole auf einen von ihnen gerichtet und abgedrückt, im letzten Moment aber den Lauf gesenkt, so daß die Kugel lediglich vor seinen Füßen ins Erdreich gefahren war.

      „Wo verstecken sich die beiden Schufte?“ fragte sie. „Heraus mit der Sprache!“

      „Wir wissen es nicht.“

      In aufwallendem Zorn schlug Phoolan dem nächsten die Faust ins Gesicht.

      „Was haben Shankar und Nain euch versprochen, damit ihr sie nicht verratet?“

      „Wir kennen beide nicht. Seit Monaten waren keine Fremden in Samatrai.“

      Die Dacoit riß den Dolch aus der silbernen Scheide, die blitzende Klinge ritzte eine blutende Wunde quer über den nackten Oberkörper des jungen Mannes.

      „Ich kann auch anders“, schnaubte sie wütend. „Also reizt mich nicht. Wo verbergen sich die Verräter? – Du“, sie setzte dem Jüngling den Dolch an die Kehle, „ich warte nicht länger.“

      „Keiner von uns weiß es.“

      Phoolan Devis Rechte zuckte vor. Sie tötete den Mann in Gedankenschnelle, daß er nicht mal Zeit zu einer abwehrenden Bewegung fand. „Dreht euch um, verdammt!“ keifte sie und traktierte den Toten mit Fußtritten, bis er die sanfte Böschung hinunter ins Wasser rollte.

      Was folgte, war ein Massaker an Wehrlosen. Phoolan hatte es nicht gewollt, aber die sturen Bauern hatten es herausgefordert. So war es meistens. Die Dacoit fragte sich hin und wieder, ob die Menschen das Leben verachteten, weil sie es häufig so achtlos wegwarfen.

      „Wir bleiben in der Nähe des Dorfes“, sagte sie. „Vielleicht finden wir die Spuren wieder, denen wir gefolgt sind.“

      Kusum Bikram, einer der umsichtigsten Männer, deutete nach Westen, wo das Dorf hinter einem Hügel lag. Im fahlen Schein des Mondes und vor dem Sternenhintergrund waren Leute zu erkennen, die dem Pfad zum Fluß folgten.

      „Ob das Pack endlich Einsicht zeigt?“ fragte Phoolan. „Es wäre an der Zeit, daß sie uns Shankar und Nain ausliefern.“

      Sie irrte.

      Während sie ihre Pistole nachlud, erkannte sie an der Spitze des Trupps das alte Weib. Einige Männer begannen über die Mistgabel und die anderen Waffen der Dörfler zu spotten. Sogar Dasyu Gujjar, der Unterführer, konnte sich eine entsprechende Bemerkung nicht verkneifen. Er hatte inzwischen ebenfalls seine Steinschloßpistole nachgeladen. Außer Phoolan und ihm besaß kein anderer eine Feuerwaffe.

      Mittlerweile war der letzte Rest des Tageslichts geschwunden. Da die Leichen der Ermordeten am Fuß der knapp mannshohen Uferböschung im Brackwasser lagen, konnten die Näherkommenden nicht erkennen, was geschehen war. Gleichwohl hegten sie die schlimmsten Befürchtungen.

      Die Dacoit raunte ihren Männern zu, daß sie sich zurückhalten sollten. Sie war hinter den Verrätern her, und, bei allen Göttern, sie würde ihrer habhaft werden.

      Die weißhaarige Alte führte die Dörfler an. Unmittelbar hinter ihr folgten zwei kräftige Männer. Ihre Gesichter wirkten verschlossen – Phoolan deutete das als Furcht und war zufrieden. Die Alte selbst stellte keine Gefahr dar, und die Männer und Frauen hatten sich ihr wohl nur angeschlossen, damit sie im Dorf nicht jedes Ansehen verloren.

      Phoolan Devi kannte die Probleme, die sich aus solch kleinen Gemeinschaften ergaben, aus eigener Anschauung.

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