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      Lise Gast

      Kleines Licht im Dunkeln

      Saga

      Kleines Licht im Dunkeln

      © 1972 Lise Gast

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711509715

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      „Großmama? Ach je, ich störe wohl sehr?“

      Die alte Dame mit dem mageren, braunen, faltendurchzogenen Gesicht unter eisengrauem Haar, das wie ein Gefieder um den Kopf stand, blickte auf und lachte.

      „Du störst enorm, Nina.“ Der Tisch vor ihr war übersät mit unzähligen Papieren und Zetteln aller Größen, und durch das stürmische Aufreißen der Tür war ein Luftzug entstanden, der einige dieser Papiere emporflattern ließ. Die alte Dame hielt sie mit gespreizten Fingern an ihrem Standort fest. „Mach die Tür zu, ich bitte dich, schnell! Danke. Nein, du störstnicht. Du hast mich im Gegenteil erlöst. Etwas Besseres hätte mir im Moment nicht passieren können. Jetzt habe ich einen Grund aufzuhören.“

      „Du bist ...“

      „An der Steuererklärung von Onkel Hans. Das Zweitunangenehmste, was man sich vorstellen kann. Es mag noch Unangenehmeres geben. Und damit Schluß. Wie schön, daß du da bist, Kind!“

      „O Großmama, willst du wirklich ...“

      „Jawohl. Hier alles stehen und liegen lassen, mit dir nach nebenan gehen, uns einen Kaffee kochen und gemütlich sein. Hier kann man kein einziges persönliches Wort sprechen, so gräßlich ist es – ich hasse Zahlen, du weißt es ja! – na, und draußen ist es auch nicht gerade anheimelnd. Du bist naß wie eine Wassermaus.“

      Sie strich der Enkelin übers Gesicht. „Es regnet nicht nur? Halb Schnee, halb Regen? Also richtig November, so richtig – herrlich, daß du da bist!“

      Das Stübchen nebenan war klein, mollig warm und eigentlich nur ein Eckchen, zwei Sessel mit einem winzigen Tisch davor. Auf den stellte die alte Dame Tassen und ein Stövchen, dessen Licht sie entzündete. Wie Nina diese Bewegung kannte und liebte! Und in der Zeitspanne von Null-Komma-nichts stand eine weiße, blaugemusterte Kaffeekanne darauf, roch es bitter und herrlich nach Kaffee und saßen die beiden Frauen, die alte und die junge, einander gegenüber, beide mit einem genußvollen „Ah!“ die Tassen abstellend, aus denen sie den ersten Schluck getrunken hatten.

      „Wundervoll, Großmutter“, sagte Nina und lehnte sich zurück, „aber denke nicht, daß ich dir deine kostbare Zeit stehlen will. Ich bleibe wirklich, wirklich nur –“

      „Nur ein Viertelstündchen, stand früher auf Sofakissen gestickt“, lachte die alte Dame, „dann werfe ich dich wieder hinaus, denn ich muß tatsächlich heute noch weiterkommen. Jetzt aber habe ich Zeit für dich. Was gibt’s, Nina? Du siehst aus wie eine Katze, die Sahne geleckt hat und sich nun dafür entschuldigen will.“

      „Hast du das bei einer Katze schon mal erlebt?“ fragte Nina. Sie wollte damit ihre Betroffenheit verdekken, denn so ähnlich war ihr tatsächlich zumute. Die Großmutter lachte wieder.

      „Oft. Und bei Menschen noch öfter. Wo fehlts, Ninakind? Kann ich helfen?“

      „Vielleicht kannst du wirklich“, sagte Nina heftig. Sie beugte sich vor und sah die Großmutter fordernd an. „Ich brauche jemanden, der zuhört. Mutter ist so beschäftigt, seit sie wieder unterrichtet, mit der Schule gibt es ja heute Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. ‚Ja ja, später‘, heißt es, wenn ich mit ihr reden will, ‚ich habe so vielerlei im Kopf‘, und das hat sie auch wirklich, ich weiß es. Trotzdem –

      Und Vater? Ich sehe ihn kaum. Er kommt mittags nicht nach Hause und abends spät, meist so spät, daß ich ihn gar nicht mehr sehe, und dann ist er todmüde, wie du dir vorstellen kannst, und nicht mehr ansprechbar. Auch nicht, wenn es sich um etwas Wichtiges handelt. Aber es genügt doch nicht, daß Vater und Mutter sich abschuften, damit alles Äußere bei uns in Ordnung geht. Für das Innere haben sie keine Zeit. Da wird man abgespeist mit ‚zu unserer Zeit war das anders‘ und ‚ihr habt ja keine Ahnung, wie das Leben eigentlich ist. Wir schuften für euch, und der Dank –‘ stundenlang könnte ich weiter zitieren. Natürlich war früher alles anders, aber das nützt uns doch nichts und hilft uns nicht weiter. Wir –“

      „Wer ist denn das, dieses ‚Wir‘?“ fragte die Großmutter.

      „Volker und ich. Wir wollen heiraten“, sagte Nina.

      Die Worte kamen heraus, wie von einem Katapult geschleudert. Die Großmutter verbarg ein Lächeln, sie dachte daran, wie diese Nina vor zehn Jahren beim Indianerspielen alle Buben in den Schatten stellte. Das schummerige Licht der abgeblendeten Lampe ließ diese freundliche Amüsiertheit nicht auffallen.

      „Weißt du, wie du das jetzt gesagt hast? So, wie ein anderer vielleicht: „Morgen springe ich mit dem Fallschirm ab, ihr werdet es erleben! Oder: Ab heute bin ich euer Kind nicht mehr! Wo bleibt die bräutliche Seligkeit, von der immer gesungen und gesagt wird?“

      „Ach, Großmama!“ Nina mußte lachen. Und dann sprang sie auf und nahm die alte Dame stürmisch um den Hals, küßte sie, daß dieser der Atem schier verging, und schluchzte dabei, während sie lachte und stammelte: „Die ist schon da. Klar ist sie da. Man trägt sie nur nicht mehr, außen, meine ich. Ach Großmutter, ich bin ja so unglücklich –“, und dabei sah sie aus wie ein Maienmorgen, an dem es zwar geregnet hat, der aber sonst strahlt und blüht.

      „Na, dann bin ich ja beruhigt.“ Die Großmutter streichelte die jungen Wangen. „Ihr wollt heiraten? Und die Eltern sind dagegen? Warum denn?“

      „Weil wir noch nicht fertig sind. Volker mit dem Studium, ich mit der PH. Aber es heiraten doch viele vorher, ich sehe nicht ein, daß wir warten sollen. Das Leben ist kurz und schnell vorüber, und da sollen wir anderthalb Jahre warten! So lange! Unsere schönsten Jahre! Ist das nicht Verschwendung? Anderthalb Jahre, achtzehn Monate! Das ist doch nicht zumutbar, Großmutter! Nur weil ... Dabei ist es doch viel praktischer, man zieht zusammen, dadurch spart man Miete und wohnt billiger, und –“

      „Und die Mark ist nur noch fünfzig Pfennig wert, weil sie geteilt wird“, lachte die Großmutter. „Kennst du die Geschichte von der Milchmädchenrechnung? Natürlich kennst du sie. Und ich soll dir raten? Was denn?“

      „Ob wir nicht doch –“

      „Gleich heiraten sollen? Nina, Kind, da gibt es nichts zu raten. Ihr seid großjährig, ihr müßt selbst entscheiden. Und Eltern, die euch deswegen hinauswerfen, gibt es wohl heute nicht mehr. Sie haben sich tatsächlich ein halbes Leben lang gemüht, euch aus dem Chaos, das damals herrschte, wieder ein vernünftiges Leben zusammenzubauen, und das haben sie auch erreicht. Dadurch konnten sie wenig Zeit für euch aufbringen, ich gebe das zu. Warum aber versuchst du nicht, sie zu verstehen? Sprich mit ihnen, zu mir kommst du ja auch.“

      „Wann denn?“ Nina sah die alte Dame um Verständnis bittend an. „Wann denn bitte? Ich hab es ja versucht. Glaube nicht, daß ich es nicht versucht habe, viele Male. Man braucht ja manchmal eine Antwort auf die vielen Fragen, die an einen herantreten. Und weißt du, was die stereotype Antwort ist? ‚Kind, du siehst doch, daß ich keine Zeit habe. In unserer Jugend war das anders, da tat man, was die Eltern sagten. – Ich muß fort, Nina, kannst du nicht zu einem geeigneteren Zeitpunkt kommen?‘ Wann aber ist der? Genau wie man zu Bekannten sagt: ‚Besuchen Sie uns doch mal.‘ Solange man nicht vorschlägt: ‚Den und den Tag, um acht, wir freuen uns auf Sie!‘, solange ist dies nicht ernst gemeint. Und solange die Eltern sagen: ‚Andermal, wir mußten auch warten‘, solange kommt man nicht durch. Du hast doch auch zu tun, Großmutter“, sagte Nina heftig,

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