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Ein Dackel für Veronika. Lise Gast
Читать онлайн.Название Ein Dackel für Veronika
Год выпуска 0
isbn 9788711509203
Автор произведения Lise Gast
Издательство Bookwire
Lise Gast
Ein Dackel für Veronika
Saga
Ein Dackel für Veronika
© 1981 Lise Gast
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711509203
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
1. Kapitel
„Ronny! Wo steckst du denn wieder! Los, wir wollen spazierengehen!”
Das war Mutter. Ronny hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht. Spazierengehen, mit Vater und Mutter, jeden und jeden Sonntag! Und dabei hören müssen: „Halt dich grade! Heb die Füße! Renn nicht in jede Pfütze! Trödle nicht!” Himmel, gäbe es doch keine Sonntage!
Ronny stellte sich taub, antwortete nicht, obwohl das natürlich nichts half. Denn nun kam Mutter in ihr Zimmer, und da ging es wieder los: „Wie sieht es denn wieder hier aus! Nein, kannst du denn immer noch nicht das Bett machen, das dauert fünf Minuten höchstens –” und so weiter.
Ronny hieß eigentlich Veronika und war zehn Jahre alt. Sie hatte keine Geschwister und wohnte mit ihren Eltern am Rande einer größeren süddeutschen Stadt. Sie besaß ein hübsches helles Zimmer und hatte darin so vielen Krimskrams und so wenig Ordnung, wie es bei geliebten einzigen Kindern zu sein pflegt, die nicht gern aufräumen. Mutter kämpfte mit viel Ermahnungen – Ronny nannte das Gezeter – und ohne Erfolg dagegen an. Sie hatte irgendwo gelesen, Kinder dürften nicht gezwungen werden, es schadete ihnen fürs Leben. Sie versuchte immer wieder, alles richtig zu machen, sie liebte ihr Kind, hatte Ronny nie geschlagen, was sie immer wieder betonte. Ronny aber meinte, das ewige Gerede und die vorwurfsvolle Miene seien schwerer zu ertragen als hie und da eine Kopfnuß, wie sie Susemarie manchmal einstecken mußte, die in ihre Klasse ging, vier kleinere Geschwister und eine hervorragende Art hatte, sich aus den Unbilden des Lebens, sprich den Donnerwettern ihrer Eltern, nicht das geringste zu machen. Susemarie hatte es gut. Wenn etwas weg war – „weg” war ein sehr gebräuchliches Wort in ihrer Familie –, konnte sie es auf die kleinen Geschwister schieben; wenn es in der Schule nicht klappte, merkten das die Eltern meist überhaupt nicht – wer hat schon die Zeit bei so vielen Kindern, jede Klassenarbeit zu kontrollieren –, und spazierengehen mußte sie nie. Die fünf Geschwister tobten im Garten und auf der Straße – Susemaries Eltern wohnten in einer Sackgasse, in der nur die Anlieger mit ihren Autos fuhren, und die hatten auch Kinder und fuhren behutsam –, und Susemaries Mutter guckte zum Küchenfenster oder von der Veranda aus nach ihnen und paßte auf, so gut es ging. Zum Spazierengehen hatte sie auch sonntags keine Zeit – wie schön!
„Ich geh’ heute nicht. Ich will zu Susemarie”, maulte Ronny jetzt, als Mutter sie holen kam, „immer muß ich mit euch gehen, und das ist so langweilig!”
„Ein einziges Mal in der Woche könntest du wahrhaftig ...” und so weiter. Ronny konnte es schon auswendig. Trotzdem siegte Mutter, sie setzte ihren Willen immer durch.
„Was machst du denn für ein Gesicht?” fragte Vater, als Mutter und Tochter endlich erschienen. Er stand wartend vor dem Haus und schien nicht rosig gestimmt zu sein, denn er hatte nicht viel Zeit, auch sonntags nicht. Der Spaziergang mußte regelrecht ausgespart werden, viel lieber hätte er an seinem Schreibtisch gesessen und aufgearbeitet, was sich da türmte. Und nun kamen die beiden Frauen ewig nicht.
„Gar kein Gesicht”, knurrte Ronny ungezogen, und so begann der Spaziergang unter den lieblichsten Vorzeichen. Und gerade heute –
Gerade heute lag den Eltern viel daran, mit Ronny ungestört sprechen zu können. Sie hatten es die ganze Woche über vermieden und gingen nun daran, ihren Entschluß wahr zu machen. Es war keine leichte Sache, das fanden beide.
Schließlich faßte Vater sich ein Herz.
„Wir wollen dich heute etwas fragen, Ronny, etwas Wichtiges”, setzte er an. „Du hast sicherlich gehört, daß die Zeitung, bei der ich arbeite, mir einen einjährigen Amerikaaufenthalt angeboten hat. Als Berichterstatter. Ich habe mir das lange gewünscht und freue mich sehr darauf. Nun wäre es einzurichten, daß Mutter mitkäme, wir würden auf dem Schiff – stell dir vor, wir werden mit dem Schiff fahren und nicht mit dem Flugzeug fliegen! – zweiter Klasse statt erster nehmen und auch in Amerika sparsam leben und noch einiges von uns zuzahlen. Mutter würde sehr, sehr gern mitfahren. Sie hat die letzten zehn Jahre, in denen du auf der Welt bist, niemals reisen können, außer ein paarmal zu den Großeltern, wohin sie dich mitnahm. Sie kennt noch nichts vom Ausland und würde sich sehr freuen, das nachholen zu können. Wenn etwas Schlimmes eintreten sollte, ist man per Flugzeug schnell zurück heutzutage. Freilich, es hängt nun von dir ab, ob sie diese Freude erlebt. Deshalb fragen wir dich heute.”
„Von mir?” fragte Ronny bang. „Wieso denn von mir?”
„Ja, von dir”, sagte Mutter jetzt mit einem Blick auf Vater. „Nun bin ich dran”, hieß dieser Blick, Ronny wußte schon, was nun kam.
Sie konnte es nicht ausstehen, wenn es immer hieß: „Du kannst entscheiden. Es liegt bei dir. Natürlich darfst du dann, wenn du selbst gewählt hast, nicht jammern, wenn dir etwas nicht paßt. Also, überleg gut! Ich würde dir raten ...” Und dann kam alles, was für den Entschluß sprach, den die Eltern längst gefaßt hatten.
Scheußlich war das, fand Ronny. Immer selbst entscheiden müssen, damit man dann den Mund hielt. Wäre es nicht zehnmal besser gewesen, Vater oder Mutter sagten: „So wird’s gemacht, nun sieh zu, wie du damit fertig wirst. Wir müssen auch mit dem fertig werden, was das Leben uns bringt.” Da könnte man wenigstens mal schimpfen und sagen: „So was Blödes!” Erwachsene sagen das wohl nicht?
„Zwei Möglichkeiten gibt es, Ronny”, sagte Mutter. „Entweder ich bleibe hier – die Gelegenheit kommt nie wieder, das ist uns allen klar –, oder du gehst ein Jahr zu Großvater nach Birkenheide, machst dort das fünfte Grundschuljahr und kannst dann nach einem Jahr hier in die höhere Schule kommen, wenn wir wieder da sind. Viele gehen erst nach dem fünften Grundschuljahr ins Gymnasium oder in die Realschule. Sie haben es dann leichter, und ...”
Mutter sprach weiter, Ronny hörte schon gar nicht mehr zu. Hierbleiben, mit Mutter allein, das lockte nicht sehr. Mit Vater hatte man doch manchmal Spaß, er nahm einen mit in den Zoo, ging mit einem schwimmen und bastelte sogar vor Weihnachten mit einem, was Mutter nie tat. Mutter fand, Basteln macht Unordnung und Schmutz, und heraus käme sowieso nie etwas Brauchbares. Nein, mit Mutter allein und ein ganzes Jahr lang ...
„Und weißt du, eine Freundin hast du eigentlich auch nicht, von der du dann wegmüßtest”, hörte sie Mutter jetzt einen Satz schließen. Da muckte Ronny denn doch auf.
„Und Susemarie?”
Einmal hatte Ronny dort übernachten dürfen, als Susemaries Eltern abends ausgingen. Ein einziges Mal – das war wunderbar gewesen. Sie hatten ihren Spaß gehabt, sobald sie allein waren, hatten zunächst die kleineren Geschwister ins Bett geworfen, wie Susemarie es nannte, dann das Fernsehen angemacht, was Ronny zu Hause nie durfte – es brachte allerdings nur langweiligen Erwachsenenquatsch, sagte Susemarie, und so machten sie es wieder aus – und dann ein bißchen im Kühlschrank gekramt. Das machte Spaß, denn obwohl Ronny zu Hause eigentlich alles bekam, was sie gern aß, so schmeckte es hier viel besser: Tomatenketchup aus der Flasche getrunken, Käse aus dem Papier und Wurst aus der Hand gefuttert. Schließlich hatten sie sich ein Puzzle auf dem Küchentisch ausgelegt und so lange daran geknobelt, bis sie hörten, daß unten jemand die Haustür aufschloß. Himmel, die Eltern! Schnell, schnell wischten sie die letzten Pappteilchen vom Tisch, warfen sie in die Schachtel