Скачать книгу

und so monumental wie irgend möglich – Mechtilds erhabene Größe wirkte ansteckend: »Ein Pferd!«

      »Bravo. Sehr vernünftig. Weißt du schon, was für eins?« fragte Mechtild gelassen und schlürfte die dritte Tasse Kaffee. Sie schlürfte wirklich, und bei ihr störte nicht einmal das.

      »Ja. Es steht im Dorf. Bisher wollte es keiner.«

      »Dann werden wir es nachher ansehen gehen«, bestimmte Mechtild. »Ich nehme an, du brauchst es für die Heuernte. Schön. Und sonst? Ich hab’ dir, im Gegensatz zu meinem Patenkind, noch nichts mitgebracht, sondern warte auf Wünsche.«

      »Dann schenk mir bitte das Halfter!« sagte Ullo schnell. »Geschenkte Halfter bringen Glück.«

      »So? Hab’ ich noch nie gehört.« Ullo auch nicht, sie hatte diesen Aberglauben im Augenblick erfunden, weil sie wußte, daß Ahnchen eine Schwäche für Aberglauben hatte. »Aber du bekommst es. Und was noch?«

      »Nichts sonst«, sagte Ullo schnell. Nein, nichts. Wenn sie ein Pferd bekam, war sie glücklich, rundherum und wunschlos glücklich. So wenigstens glaubte sie. Was glaubt man nicht alles, ehe man merkt, daß die Schicksalsuhr den kleinen Rucker vorwärts macht und alles, aber auch alles plötzlich anders aussieht!

      Kommen wir zum Pferd zurück. Dieses Pferd wünschte Ullo sich seit Jahren, weil sie es satt hatte, sich immer einen Schlepper borgen zu müssen.

      Ullo und Mechtild sprachen darüber, als sie etwas später allein über den Hof gingen, sprachen davon und von vielem anderem auch. Sie waren ja Fachkollegen, sie wußten, worum es ging.

      ›Das Pferd muß bleiben‹, hörte und las man heute überall, wo es trappelte und wieherte. Deshalb kauften sich Bauernburschen Reitpferde und meldeten sie als »ländliche« an, obwohl sie nicht den leichtesten Hackpflug zogen. ›Das Pferd ist kein Zootier, rettet das Pferd!‹

      Wer dies sagte und propagierte, hatte recht und unrecht zugleich. Natürlich ist das Pferd kein Zootier, und nichts ist wünschenswerter, als daß es bleibt. Aber wo rentiert es sich noch?

      »Bei mir«, sagte Ullo hitzig, »ich bin die Ausnahme. Das bin ich ja auch sonst, ich, der Heimhof. Wer, frage ich dich, wirtschaftet noch wie ich, mit Kühen und Ziegen, Schafen, Hühnern, Enten – heutzutage hat man eins von alledem, spezialisiert sich, und fertig.«

      »Genau«, antwortete Mechtild, »so und nicht anders lehre ich es meine Schülerinnen. Und du bist die Ausnahme. Bleib es! Du bist zwar ein kleiner, aber doch ein Bauernhof, wo es noch muht und gackert und quiekt und kräht.«

      »Und wiehert!« fiel Ullo ein.

      »Und wiehert!« fuhr Mechtild fort. »Du bist das, was man besucht als Museumsstück, und ich verspreche dir, meine nächste Schulreise hierher zu machen, jedenfalls auch hierher. Ich habe den Plan schon entworfen, ich gehe nämlich nicht in die Regierung, sondern bleibe bei der Jugend. Und diese Jugend soll bei dir sehen: so war es früher. Ein All-round-Bauernhof, wenn auch en miniature. Übrigens — hast du keine Schweine? Es fiel mir vorhin auf.«

      »Nein«, gestand Ullo kleinlaut, als sei sie eine Schülerin und stünde im Examen, »Mammitzschka und Ahnchen vertragen das Fett nicht mehr. Für Fleisch sorgen bei uns die Kaninchen. Ich habe da Züchtungen ...«

      »Weiß ich«, winkte Mechtild ab, »trotzdem, diese Lücke trübt das Bild etwas. Aber ich werde es meinen Jungbauern und -bäuerinnen schon plausibel machen. Könnten wir nicht sagen –«

      »Vielleicht, daß wir vegetarisch leben?« fiel Ullo ein. Mechtild sah sie strafend an.

      »Und der Schinken heute früh? Übrigens vorzüglich, selbst geräuchert? Du kaufst alljährlich ein halbes geschlachtetes Schwein? Na also. Und das Huhn im Topf? Und Schafwurst und Karnickelbraten? Bitte! Aber vielleicht merken sie es nicht, wenn ich sie herumführe«, sagte sie zuversichtlich. Ullo glaubte es auf Anhieb. Mechtild besaß eine geradezu königlich-souveräne Art, sich nicht widersprechen zu lassen. Beruf prägt, dieser Beruf, der der Lehrerin, schon gar. Ihr schauderte leicht bei der Vorstellung, Mechtild wäre hier und gegen das ersehnte Pferd gewesen. »Also dann hast du auch ein Pferd, geht in Ordnung«, sagte sie, als führe sie es schon hinter sich her. »Gut, gut. Und ich werde dich vor den jungen Leuten interviewen, na, wir sprechen noch drüber. Für diesmal habe ich mir zwei Tage frei genommen.«

      »Wunderbar!« sagte Ullo und merkte immer noch nichts, so erfüllt war sie von dem Gedanken an das Pferd. Später verstand sie sich selbst nicht. Hier bereits hätte sie merken müssen, daß Mechtild für ihr Kommen einen besonderen Grund haben mußte. Es traf sich sehr gut so, denn niemand brauchte etwas zu wissen – vorläufig. Mechtild, gebieterisch und respektheischend, konnte, wenn nötig, sehr feinfühlig sein. Hier würde es nötig sein, das wußte sie genau. Deshalb war sie auch so sehr bestrebt, Ullo zunächst einmal zu bestärken, ihr diesen heißen Wunsch zu erfüllen, sie glücklich zu machen. Glück macht stark. Ullo würde Kraft brauchen.

      Sie besahen miteinander den Norweger, prüften seine Gänge, fuhren an seinen Sehnen entlang. Ullo kaufte ihn. Mechtild kaufte das Halfter. Daran führten sie ihn gemeinsam und sofort – man mußte seine Leute vor vollendete Tatsachen stellen – auf den Heimhof. Ullo hatte vor Aufregung knallrote Backen, sie sah wirklich wie ein Junge aus, der ein neues Fahrrad erkämpft hat, obwohl sie, dem heutigen Feiertag zuliebe und weil sie keinen Handschlag arbeiten durfte, ein helles Kleid trug, ein ungewohnter Anblick bei ihr.

      »Du brauchst noch mehr Kleider«, sagte Mechtild einmal, und da allerdings merkte Ullo auf.

      »Wieso?« fragte sie.

      »Nun, wenn du einmal eine Reise machst«, wich Mechtild etwas dümmlich aus. Ullo aber, in ihren eigenen Gedankengängen, die dem Pferd galten, befangen, winkte nur ab: »Ich reise nie.«

      Mechtild ließ es dabei.

      Es traf sich alles ausgezeichnet, fand Mechtild. Wenn Dorothee einen Tag herkommen konnte, um ihrer Mutter zu helfen, so würde sie das auch für eine oder zwei Wochen können, wenn es nötig würde. Sonst hätte sie, Mechtild, es getan. Dies aber würde sie nicht vorbringen oder nur als letztes, schwerstes Geschütz. Sie war überzeugt davon, daß schwere Geschütze nötig sein würden.

      Da auch sie aus der Landwirtschaft stammte und immer mit ländlichen Menschen zusammen war, wußte sie genau, wie schwierig es ist, einen Bauern zu überreden, daß er im Sommer wegfährt, und sei es nur für einen Tag. Nur ein Tag würde übrigens nicht genügen. Nun, Mechtild war zuversichtlich. Sie setzte meist durch, was durchzusetzen war, deshalb war sie auch persönlich hergekommen und hatte nicht nur geschrieben oder telefoniert.

      »Ich habe bis morgen Zeit«, sagte sie aus diesem Gedankengang heraus.

      Ullo sah sie anerkennend an. »Toll, wirklich!«

      »Vorausgesetzt, daß –«

      »Aha. Natürlich ein ›Vorausgesetzt‹, also eine Bedingung –« sie kannte doch ihre Freundin. »Nun schieß schon los und sag, was du willst.«

      »Erstens nicht ewig feiern. Ich trinke keinen Wein, weil ich mir nichts draus mache –« das wußte Ullo – »und zweitens, daß wir beide zusammen nächtigen. Damit wir –«

      »Noch ewig kakeln können, natürlich!« lachte Ullo vergnügt. »Das werden sie schon einsehen.«

      »Sie«, das waren die drei Altchen. Natürlich hatten diese sich auf einen gemütlichen Abend mit dem Geburtstagskind gefreut, und natürlich waren sie nicht müde, nicht so müde wie Ullo an jedem einzigen Abend ihres Lebens. Männerarbeit macht eine Frau müder als jedes Schaffen im Haus, und ein Mittagsschläfchen sprang täglich auch für Mammitzschka heraus, warum auch nicht! Und wenn sie wirklich einmal nicht so recht konnte, dann vertrat Ahnchen sie, so gut es ging. Ullo wurde von niemandem vertreten – nur heute von der Tochter, heute, an ihrem Fünfzigsten, ausnahmsweise. »Na schön, dann bleibe ich«, sagte Mechtild, und auch da merkte Ullo noch nichts.

      Später war es ihr völlig unbegreiflich, daß sie nichts gemerkt hatte.

      Mechtild rückte damit heraus, als

Скачать книгу