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52 »Lale Andersen«)

      Prolog

      Briefe aus einem fremden Universum

      Lieber Mésren,

      ich habe die Erde gesehen. Du liest richtig: die Erde! Den Planeten, um den sich unzählige Mythen ranken und den es angeblich nie gab.

      Du kennst die Redewendung: Frag fünf Terraner nach ihren Wurzeln, und sie werden dir sechs verschiedene Geschichten erzählen.

      Und nun bin ich auf der Spur der einzigen, der wahren Geschichte.

      Erinnerst du dich an deine Reaktion, als ich dir damals sagte, ich wolle eine Karriere als Vergleichender Historiker und Datenarchäologe anstreben? Wahrscheinlich nicht, immerhin sind mittlerweile beinahe siebzig Jahre vergangen. Mir jedoch steht dein zweifelndes, amüsiertes Gesicht deutlich vor Augen, war es schließlich das erste Mal, dass ich mich von meinem Zwillingsbruder missverstanden gefühlt habe. Nein: unverstanden.

      »Aha«, lautete deine Antwort. Nach geschlagenen zwanzig Sekunden folgten zwei weitere Wörter: »Und warum?«

      Wie oft habe ich es dir erklärt? Trotzdem glaube ich, dass es dir nie richtig gelungen ist, meine Motivation nachzuvollziehen. Ich wünschte, du wärst mit mir an Bord der TESS QUMISHA. Wenn du das Gleiche sehen würdest wie ich, könntest du mich vielleicht verstehen. Ach was, ganz sicher!

      So teile ich nur per Brief das Gefühl der Erleichterung mit dir, dass die vergangenen siebzig Jahre keine Verschwendung waren. Weil wir nicht reden können, schreibe ich auf altmodische Weise mit Stift auf Folie meine Gedanken auf und fürchte dabei, dass die Seiten dieses fremde Universum nie verlassen werden.

      Aber sind wir überhaupt in einem fremden Universum gelandet?

      Ich weiß es nicht!

      Ich weiß so vieles nicht, was ich in der nahen Zukunft herauszufinden hoffe. Dennoch: Sollte ich diese Reise nicht überleben, sterbe ich im Bewusstsein, dass sie sich gelohnt hat. Der Anblick der Erde entschädigt für eine Menge Elend, weißt du? Sogar für den Tod.

      Klingt das pathetisch? Wahrscheinlich. Das liegt wohl an der schwierigen Situation, in der wir uns gerade befinden. Wobei »schwierig« wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise die passende Tragweite vermittelt.

      Aber lass mich der Reihe nach erzählen. Immerhin schreibe ich zum ersten Mal seit beinahe einem Jahr. Es tut mir leid, dass ich es so vernachlässigt habe, mich bei dir zu melden und dich auf dem Laufenden zu halten.

      Im Dezember 2045 NGZ bekam ich im Ephelegonsystem die Erlaubnis, an Bord der RAS TSCHUBAI zu gehen. Da die Besatzung für die anstehende Mission ohnehin verstärkt wurde, kam es auf eine Person mehr oder weniger nicht an.

      Obwohl eine Menge Leute den praktischen Nutzen eines Vergleichenden Historikers anfangs durchaus angezweifelt haben. Und manche zweifeln immer noch, das will ich dir nicht verhehlen.

      Jedenfalls musste ich vorher lange diskutieren und argumentieren.

      Offenbar haben meine Arbeiten – Mythos Terra – Gemeinsamkeiten und Unterschiede in 1001 Erdlegenden, Geschichte bewerten heißt Geschichten vergleichen und Historienforschung im Zeitalter nach der Datensintflut letztlich für genügend Aufsehen gesorgt, um ein Billett für die gewaltige Reise über Lichtjahrmillionen in eine ferne Galaxis zu gewinnen.

      Es hat mir eine Heidenangst eingejagt, so weit wegzufliegen, das gebe ich gerne zu. Weiter als so gut wie jedes andere Lebewesen der Milchstraße. So unfassbar weit, dass es zurzeit nur ein einziges Schiff gibt, das diese unbegreifliche Distanz bewältigen kann – die RAS TSCHUBAI.

      Das Ergebnis zählt.

      Man hat mich mitgenommen, obwohl ich in Wissenschaftskreisen größtenteils als Spinner gelte, als Märchensammler. Aber der Kreis derer, die mich ernst nehmen, wächst beständig. In einer Zeit, in der nichts sicher ist, ausgerechnet die Historie zur Wissenschaft zu erheben, ist eben ein kühnes Unterfangen.

      Ich muss es noch einmal sagen: Es gibt Millionen Versionen dessen, was geschehen ist, und ich will aus der Wahrheit über die vergangenen Zeiten wieder eine Wissenschaft machen.

      Ist das nicht typisch für mich? So kennst du mich von früher, mein lieber Bruder, nicht wahr?

      Aber könnte es ein schöneres Lob geben, als sich mit dem Mann an Bord eines Raumschiffs aufzuhalten, der in etlichen Terra-Mythen vorkommt? Vielleicht hast auch du von ihm gehört. Sein Name ist Perry Rhodan, und in den verschiedenen Mythen spielt er völlig unterschiedliche Rollen: der Held, der Diktator, das Überwesen, der Narr, oder eine von tausend anderen Rollen.

      Irgendwie steht dieser Perry Rhodan immer im Mittelpunkt der Ereignisse und löst ganze Zeitenwenden aus.

      Natürlich zählte ich weder in der RAS TSCHUBAI noch in der TESS QUMISHA zur Besatzung, sondern gelte als Gast. Was mir während der langen Reise durchaus recht war, befreite es mich schließlich von der Ableistung irgendwelcher Dienste. Stattdessen konnte ich mich völlig der Forschung hingeben.

      Ich habe mit vielen Personen an Bord gesprochen, selbstverständlich nur in ihren Freischichten. Besonders faszinierten mich die Unterredungen mit Col Tschubai, dem Medienwart und Missionshistoriker des Schiffes, das nach einem seiner Vorfahren benannt ist. Faszinierend, sage ich dir – er ist der Hüter einer Vergangenheit, die in diesem riesigen Raumer nicht variabel und verschwommen ist, sondern festgeschrieben und eindeutig.

      Was ich in den Bordarchiven lese, ist ungeheuerlich und hat etwa tausend meiner Theorien bestätigt, aber zehntausend andere verworfen.

      Ein unendlicher Schatz an Wissen, den ich allerdings – sonst wäre ich wohl ein schlechter Wissenschaftler – häufig anzweifle. Doch das soll nicht dein Problem sein, und ehrlich gesagt, ist es auch das geringste meiner Probleme.

      Col Tschubai und die übrigen Besatzungsmitglieder haben mich eine Menge Dinge gelehrt, aber davon schreibe ich dir vielleicht später.

      Zunächst das Wichtigste: Inzwischen durfte ich, wie oben schon erwähnt, mit vielen anderen die RAS TSCHUBAI verlassen und auf eines der Beiboote wechseln, die TESS QUMISHA. Wobei Beiboot einen ganz falschen Eindruck erweckt, denn die TESS ist selbst ein riesiges Schiff.

      Übrigens ist auch Perry Rhodan übergewechselt.

      Wir sind durch ein seltsames kosmisches Gefilde geflogen, die sogenannte Zerozone, und dieser Bereich hat uns am anderen Ende wieder ausgespuckt, wenn ich es einmal so salopp formulieren darf.

      Na ja, besser kann ich es nicht: Ich bin Historiker, kein Techniker. Was natürlich ebenso salopp formuliert ist.

      Hinter diesem anderen Ende der Zerozone liegt ein kosmisches Gebiet, das uns völlig unbekannt ist.

      Nein, stimmt nicht – etwas wissen wir: Dort, so hieß es, würden wir Terra finden. Aber als wir ankamen, flogen wir nicht unserer fremden, generationenlang verschollenen Heimat entgegen.

      Sondern dem Tod.

      1.

      Ankunft

      Wieder einmal war es so weit.

      Es war für Perry Rhodan keine neue Erfahrung, aber es verlor nie seinen Reiz. Sollte er noch tausend Mal in diese Situation kommen, würde es ebenso oft jenes Kribbeln auslösen, die Unruhe, das Erwarten, die Hoffnung.

      Die Faszination.

      Am 8. November des Jahres 2046 Neuer Galaktischer Zeitrechnung war Perry Rhodan 3697 Jahre alt – rein rechnerisch gesehen und zumindest dann, wenn man etwas vereinfachte und Zeiträume, die er auf die eine oder andere Weise übersprungen oder doppelt erlebt hatte, außer Acht ließ.

      Aber ob zwei-, drei- oder viertausend Jahre, er fühlte sich in Augenblicken wie diesen wie ein Kind, das staunend darauf wartete, welches Abenteuer auf ihn zukam.

      Und so stand der dank eines Zellaktivators relativ unsterbliche Terraner wieder einmal in der Zentrale eines Raumschiffs und sehnte die Ankunft am Ziel herbei.

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