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was! Wo wohnst du?“

      Diesmal verstanden es auch die Mädchen. Oder bildeten sie es sich ein?

      „Rabestraße acht, nun müßte man nur noch wissen, in welchem Ort es eine Rabestraße gibt“, sagte Dagmar. Sie überlegten und berieten. Ob man die Polizei anrief?

      Dagmar sah, wie Heiner zusammenzuckte. Sie tat, als habe sie nichts gemerkt.

      „Ich weiß nicht. Unsere Polizei hier im Dorf? Die sollte ich fragen: ‚Verzeihung, wo gibt es denn eine Rabestraße im Umkreis von fünfzig Kilometern?’ Die halten mich ja für verrückt. Nein, lassen wir lieber die Polizei. – Aber vielleicht steht was in der Zeitung.“

      Sie suchten das Blatt von gestern. Aber sie fanden nichts.

      „Um so besser. So können wir ihn noch eine Weile behalten“, sagte Heiner. Zessi stand, an sein Knie gelehnt, und sah zu ihm und dem Papagei auf, aber nicht so, als wollte sie den Papagei erbeuten, sondern voller Liebe und Hingabe.

      „Ja, du bist ein guter Hund, Zessi. Zessi hat heute nacht bei mir geschlafen“, erzählte Heiner und rieb sein Knie ein wenig an ihrem Kopf, „sie mag mich.“ Er sah zärtlich auf die Hündin herab.

      „Du hast es wohl überhaupt mit Tieren?“ fragte Anja und lachte. „Zu dir kommen sie, von dir lassen sie sich anfassen. Habt ihr zu Hause auch welche außer den Vögeln?“

      „Wir hatten eine Hündin.“ Er schwieg.

      „Hattet?“ fragte Petra scheu.

      „Sie ist überfahren worden.“ Heiner gab den Papagei an Dagmar weiter, tätschelte Zessi und hielt dabei sein Gesicht so, daß die anderen es nicht sehen konnten. Sie taten, als merkten sie es nicht, und keine sagte etwas. Dann auf einmal rief Dagmar: „Übrigens – wir bekommen Besuch! Cornelia kommt! Vorhin rief sie an. Was sagt ihr?“

      „Wunderbar!“ schrien Petra und Anja wie aus einem Mund. „Cornelia! Die muß mit uns reiten! Bringt sie Onkel Kurt mit?“

      „Davon hat sie nichts gesagt. Nein, ich glaube, sie kommt allein. Aber da müssen wir mal was kochen.“ Dagmar sah nicht sonderlich glücklich aus, als sie das sagte. Die anderen lachten sie aus.

      „Wegen Cornelia doch nicht!“

      „Wer ist denn Cornelia?“ fragte jetzt Heiner.

      „Eine aus dem Reitverein. Sehr nett. Reitet Klasse. Wir mögen sie alle schrecklich gern. – Übrigens, Heiner, gut, daß Zessi sich so an dich angeschlossen hat. Paß gut auf sie auf, ja? Ich fürchte, sie wird läufig – ihr wißt, was das ist? Dasselbe, wie wenn eine Stute roßt. Zweimal im Jahr werden Hündinnen läufig, sehnen sich nach der Liebe und gehen einem davon, wenn man nicht aufpaßt wie ein Heftelmacher. Und die Kavaliere kommen und belagern das Haus – was sage ich!“ rief Dagmar und lachte. „Da ist schon der erste!“

      Sie wies auf das Fenster. Wirklich, da grinste ein Hundegesicht herein, zum Erschrecken. Ein Dalmatiner, weiß mit schwarzen Flecken, das Gesicht fast ganz weiß, so daß man es für ein Menschengesicht hätte halten können.

      „Mach dich fort, du Kerl!“ schimpfte Dagmar und wedelte mit dem Küchentuch am Fenster hin und her. „Das gäbe eine Mischung! Außerdem ist Zessi noch viel zu jung zum Jungekriegen. Weg, du Ekel!“ Dann band sie das Küchentuch um die Reithose und krempelte die Ärmel hoch.

      „So, nun wird gekocht! Anja schält Kartoffeln, Petra putzt Möhren – vorher beides gut waschen, denn die Schalen kriegen die Pferde, mit etwas Hafer vermischt –, und ich werde einen hervorragenden Braten aus der Kühltruhe herausholen und in den Ofen schieben. Das kann nur ich!“

      Die anderen schrien Protest.

      „Und Heiner? Der tut gar nichts?“

      „Der füttert die Hunde. Zuerst machst du die Näpfe sauber.“

      Heiner sah kurz auf. „Dachtest du, ich wasch‘ sie nicht aus?“ fragte er halblaut. Dagmar wurde ein bißchen rot.

      „Verzeih. Ich hätte mir’s denken können. Dort steht das Futter, da die Haferflocken. Auf dem Herd heißes Wasser. Was brauchst du noch?“

      „Eine rohe Mohrrübe – ich habe meiner Mia immer eine ins Futter gerieben wegen der Vitamine. Und Lebertran – habt ihr welchen?“

      „Natürlich. Dort drüben. Und die Mohrrübe gibt dir Petra. So, und jetzt, wo wir so gemütlich beisammensitzen, erzählst du. Warum bist du ausgerückt von zu Hause? Ich hab’ heut früh ein bißchen Radio gehört, verstehst du. Nun erzähl mal, wir verraten dich nicht.“

      „Hast du – haben meine Eltern –“ Heiner stand, die Mohrrübe in der einen Hand, die Reibe in der anderen, und sah zu ihr herüber. Seine Augen flackerten.

      „Sie suchen dich. Sie ängstigen sich um dich“, sagte Dagmar leise. Die beiden anderen, Anja und Petra, sahen nicht auf, hielten aber den Atem an. Würde er jetzt etwas sagen?

      Erst schwieg er. Dann aber, als auch Dagmar schwieg, fragte er, und es klang angstvoll, ja verzweifelt: „Wissen sie –“

      „Sie wissen gar nichts, nur, daß du abgehauen bist. Und sie bitten um Bescheid, wenn jemand etwas weiß.“

      „Ihr sagt nichts – oder hast du schon angerufen?“ Heiners Gesicht war dunkelrot geworden. „Bitte – bitte, bitte –“

      „Wir verraten dich nicht, wenn du es nicht willst“, sagte Dagmar leise. Sie wußte nicht, ob es richtig war, dies zu versprechen, sie fühlte nur seine jagende Angst. „Großes Ehrenwort. Also?“

      „Ihr beiden auch? Wirklich großes Ehrenwort?“ Er sah Anja und Petra an, sie nickten verstört. „Aber wenn ihr’s nicht haltet! Ich renn’ wieder weg, auch von euch! Ich renn’ über Land, solange ich kann, in den Wald – und wenn ich müde genug bin, leg’ich mich irgendwohin und erfriere. Das ist ganz einfach, es steht in allen Lesebüchern. Man merkt dann gar nichts. Und finden tut ihr mich nicht, das kann ich euch sagen. Außerdem hab’ ich noch ein paar Tabletten zum Einschlafen, die lagen bei meiner Mutter im Nachttisch. Ich wollte ja eigentlich schon vorher –“ Sein Gesicht sah jetzt so aus, daß sie ihm jedes Wort glaubten. Alt, verfallen, fast unkenntlich. Es schauderte sie. Er würde Ernst machen, das merkte man.

      Dagmar sagte noch einmal: „Wir verraten dich nicht. Dann aber bleibst du bei uns und machst keinen Unfug, verstanden? Das wieder versprichst du uns. Tust du das? Gut, ein Mann, ein Wort. Und nun erzähl, was hast du ausgefressen?“

      „Was Furchtbares. Also –“ Man merkte, wie es ihm wohltat, endlich sprechen zu können. Er begann dabei, die Mohrrübe zu raspeln, rieb sich in den Finger, leckte das Blut weg, rieb weiter, ohne es wahrzunehmen. „Also, wir sollten die Zeugnisse erst nach den Ferien bekommen, am ersten Schultag im Januar. Aber unser Klassenlehrer geht weg, und wir kriegen einen neuen, und da bekamen wir sie schon vorher. Und ich hatte einen Fünfer, von dem ich nichts wußte und meine Eltern auch nicht. Man rechnet sich ja immer die Noten aus, nach den Arbeiten. In einem Hauptfach, in Mathe. Da bin ich schlecht, aber so schlecht, das wußte ich nicht. Und da habe ich – ja, ich hab’ halt anstelle meines Vaters unterschrieben, weil ich so Angst davor hatte, was er sagen würde. Und dann bekam ich noch mehr Angst, denn Unterschriften fälschen, das ist ja schon kriminell. Meine Eltern ahnten nichts, die dachten ja, wir kriegten die Zeugnisse erst später. So stand es in der Zeitung.

      Und dann – ja, meine Mutter hatte ein großes Feuer im Hof gemacht, das macht sie immer nach den Feiertagen. Es wird alles verbrannt, was weg soll, Einwickelpapier und Kartons und so was. Zufällig kam ich dazu. Und da dachte ich, wenn das Heft weg ist, ist auch die falsche Unterschrift weg, und wenn wir einen neuen Lehrer kriegen, dann stell’ich mich einfach dumm und sag’, ich hab’ kein Zeugnis bekommen. Irgendwie würde es dann schon klappen. Jedenfalls – ich hab’ also das Zeugnisheft mit ins Feuer geschmissen. Meine Mutter stand daneben. Sie dachte natürlich, es wäre irgendein altes. Sie sagte sogar, ich solle holen, was ich nicht mehr brauche, und mit verbrennen. Die Reste vom alten Jahr soll man ins Feuer werfen …

      Ja,

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