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heraus, daß sie selber leider sehr wenig darüber wußte, wie das Brüderchen angekommen war. Sie hatte ja nicht einmal gehört, daß die Eltern das Haus verlassen hatten.

      „Was? Du hast dein Brüderchen noch nicht einmal gesehen?“ rief Olly Hahn frech. „Ja, woher willst du denn dann überhaupt wissen, ob es wirklich da ist?“

      „Nun mach aber mal ’nen Punkt!“ sagte Gundula ärgerlich. „Mein Vater lügt doch nicht. Er hat’s mir erzählt … und überhaupt, heute nachmittag gehe ich ins Krankenhaus und schau mir das Brüderchen selber an. Morgen früh kann ich euch dann alles ganz genau erzählen!“

      Damit gaben sich die anderen glücklicherweise zufrieden, aber Gundula behielt ein ungutes Gefühl zurück. Sie wußte aus Erfahrung, daß Lügen meistens kurze Beine haben, und pflegte deshalb, wenn es irgendwie ging, sich an die Wahrheit zu halten. Warum bloß war ihr herausgerutscht, daß sie sich ihr Brüderchen heute nachmittag ansehen wollte? Der Vater hatte ihr doch ausdrücklich erklärt, daß das nicht ging. Wenn die anderen drauf kamen, daß sie geschwindelt hatte, würde sie schön blamiert dastehen.

      Als die Schule aus war, wollte Leni sie nach Hause begleiten.

      „Nein, danke“, wehrte Gundula ab, „ich muß heute in die andere Richtung. Ich esse mit meinem Vater zu Mittag!“

      „Prima!“ sagte Leni neidvoll. „Was wirst du dir bestellen? Kartoffelsalat mit Würstchen?“

      „Was viel Besseres … mindestens Wiener Schnitzel!“

      „Ich esse am liebsten Kartoffelsalat mit Würstchen“, beharrte Leni. „Aber an deiner Stelle würde ich doch erst nach Hause laufen und mir andere Schuhe anziehen!“

      „Auch wieder wahr!“ Gundula drehte sich auf dem Absatz um und folgte ihr.

      „Du, Gundula … kannst du mir nicht einen Gefallen tun?“ fragte sie. „Schließlich … ich meine, ich bin doch deine beste Freundin, oder?“

      „Doch, schon“, sagte Gundula etwas zögernd, denn wenn Leni so anfing, dann wollte sie meistens etwas geliehen haben. „Weshalb fragst du?“

      „Ich habe eine große Bitte“, sagte Leni, „wann willst du eigentlich ins Krankenhaus gehen? Gleich nach dem Essen?“

      „Wahrscheinlich“, murmelte Gundula.

      „Könntest du nicht ein bißchen später gehen … ich würde dich so gern begleiten.“

      „Warum?“ Gundula fragte es, um Zeit zu gewinnen. Sie wußte die Antwort schon im voraus.

      „Weil ich dein Brüderchen auch so gern sehen möchte, Gundel … kannst du das nicht begreifen? Du weißt genau, wie lange ich mir selber schon eins wünsche. Es könnte von mir aus auch ein Schwesterchen sein, es käme mir gar nicht drauf an … es ist doch nicht zuviel verlangt, wenn ich deines mal sehen möchte.“

      „Nö”, sagte Gundula, „eigentlich nicht.“

      „Du nimmst mich also mit? Hand drauf!?“

      Gundula sah Leni prüfend an. „Jetzt muß ich dir eine Frage stellen, Leni … du bist doch meine beste Freundin, nicht wahr?“

      „Ehrensache.”

      „Versprichst du mir, mich nicht zu verraten, wenn ich dir jetzt ein Geheimnis sage?“

      „Ein Geheimnis? Oh, los! Sag’s mir bitte! Bitte!“ Es war Leni anzusehen, daß sie vor Neugier schon fast platzte.

      „Dann halt dich fest! Was ich dir jetzt sagen muß … es ist ein bißchen peinlich für mich, weißt du!“

      „Was?!“ schrie Leni. „Jetzt sag bloß nicht, du hast es erfunden! Gundel! Sieh mich an! Hast du am Ende gar kein Brüderchen bekommen?!“

      „Doch. Natürlich!“ sagte Gundula. „So was erfindet man doch nicht.“

      „Kannst du mir deine Hand drauf geben?“

      „Na klar. Das mit dem Brüderchen stimmt schon, nur keine Bange …“

      „Aber irgendwas ist doch nicht in Ordnung! Gib es zu!“

      „Also … wenn du’s genau wissen willst!“ Gundula holte tief Luft. „Mein Vater hat gesagt, Kinder dürfen nicht ins Krankenhaus!“

      „Quatsch“, sagte Leni sofort. „Als mein Onkel sich das Bein gebrochen hatte …“

      „Das ist etwas anderes. Mein Vater sagt, die … jetzt habe ich den Ausdruck vergessen … aber eben, man darf die Mütter mit den ganz kleinen Kindern nicht besuchen, weil die Babys eben so furchtbar empfindlich sind. Sie können sich schrecklich leicht anstecken oder so etwas, sagt mein Vater.“

      „Schade!“ Leni machte ein bekümmertes Gesicht. „Und ich hatte mich schon so drauf gefreut.“

      „Ja. Verflixtes Pech! Weißt du, Leni, ich überlege mir schon die ganze Zeit, ob man nicht versuchen könnte … verstehst du … ob es nicht irgendeinen Weg gibt, doch ins Krankenhaus hineinzukommen, ohne daß es jemand merkt. Willst du mir helfen?“

      „Na klar.“ Leni blieb stehen. „Also, wo treffen wir uns? Um wieviel Uhr?“

      Gundula legte den Finger an die Nase. „Sagen wir … Punkt drei am Schillerdenkmal!“

      „Gut“, sagte Leni, „aber … wie immer … wer zuerst da ist, muß warten!“

      Sie liefen auseinander, blieben nach ein paar Metern noch einmal stehen, winkten sich zu, um dann endgültig davonzujagen.

      Gundula schloß die Haustür auf, rannte die Treppe hinauf, öffnete die Wohnungstür, stürzte in ihr Zimmer und wechselte rasch den linken Schuh. Befriedigt sah sie auf ihre Füße. Sie hatte jetzt zwei gleiche, zwei rote Schuhe an. Der Vater würde nichts von ihrem Mißgeschick merken.

      Sie wollte die Wohnung schon wieder verlassen, als ihr noch etwas einfiel. Sie lief zu ihrem Pult, öffnete es, fand den kleinen Pappkasten mit ihrem Geld in der hinteren Ecke. Ohne es zu zählen – sie wußte auswendig, daß es sieben Mark und fünfundachtzig Pfennig sein mußten –, schüttete sie den ganzen Inhalt in ihre Manteltasche, warf die leere PappSchachtel achtlos in das Pult zurück und jagte davon.

      Herr Berendt erwartete sie schon vor dem Eingang des großen Bankhauses, in dem er arbeitete. „Na endlich“, sagte er, als Gundula angelaufen kam. „Wieso kommst du jetzt erst? Die Schule ist doch schon seit fast einer Stunde aus!“

      „Verstehe ich auch nicht, Pappi“, versicherte Gundula mit unschuldsvollem Augenaufschlag. „Ich habe mich schrecklich beeilt.“

      Sie gingen zusammen in ein kleines Lokal ganz in der Nähe, und Gundula bekam das Wiener Schnitzel, das sie sich gewünscht hatte. Es schmeckte ihr großartig.

      Sie war kaum fertig mit dem Essen, als der Vater schon zahlte und zum Aufbruch drängte. „Ich komme heute abend ein bißchen später, Gundula“, sagte er, „du kannst inzwischen schon den Tisch decken, ja? Was soll ich Mutter und dem Brüderchen von dir bestellen?“

      Gundula stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihrem Vater einen Kuß auf die Wange. „Gib ihnen einen Kuß von mir“, sagte sie, „und einen schönen Gruß – sie sollen recht bald nach Hause kommen.“

      „Wird gemacht!“ Herr Berendt gab seiner Tochter einen Klaps auf die Schulter.

      Er hatte es schon sehr eilig, denn er mußte Punkt zwei Uhr wieder in der Bank sein.

      Auf dem Kriegspfad

      Gundula war nicht traurig, als sie allein zurückblieb. Wenigstens blieb ihr jetzt noch Zeit, bis zum Treffen mit Leni etwas sehr Wichtiges zu erledigen. Sie wollte ein Geschenk für ihren kleinen Bruder kaufen.

      In einem Eckhaus in der Bahnhofstraße lag das größte Spielzeuggeschäft der Stadt. Gundula hatte schon oft vor den Fensterscheiben gestanden und sich die Nase plattgedrückt. Es gab immer die herrlichsten

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