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besuchen“, erklärte Gundula entschlossen.

      „Ich fürchte, das wird auch nicht gehen!“

      „Nicht?“

      „Nein. Ich habe mich schon erkundigt. Der Besuch von Kindern auf der Wöchnerinnenstation – weißt du, so nennt man die Abteilung des Krankenhauses, wo die Mütter mit den Säuglingen liegen –, also auf der Wöchnerinnenstation ist der Besuch von Kindern verboten.“

      „So eine Gemeinheit!“ sagte Gundula aus tiefstem Herzen. „Aber warum denn, Pappi?“

      „Ich denke, damit die Kleinen sich nicht anstecken.“

      „Ich versteh schon. Wenn jemand Masern hat oder Halsschmerzen und so … aber ich bin doch schließlich gesund!“

      „Ich weiß es ja, Gundel … ich weiß, daß du gesund bist, aber …“

      „Bitte, Pappi, lieber, lieber Pappi, nimm mich mit ins Krankenhaus. Du kannst mich ja hineinschmuggeln … ja, das können wir doch machen! Du steckst mich einfach in einen großen Koffer …”

      „Also, Ideen hast du, Gundel! Die gehen wirklich auf keine Kuhhaut! Was du da sagst, kann doch nicht dein Ernst sein!“

      In Gundulas große blaue Augen stiegen die Tränen. „Ich möchte das Brüderchen so gern sehen … kannst du das denn nicht begreifen, Pappi?“

      „Natürlich kann ich das. Aber was nicht geht, das geht nicht. Jetzt haben wir so lange auf unser Brüderchen gewartet, jetzt wirst du dich ja wohl noch eine Woche gedulden können.“

      „Schwer“, sagte Gundula bedrückt. Sie blies die Haut von ihrem Kakao, probierte einen Schluck – er war noch sehr heiß. „Hast du das Brüderchen wenigstens schon gesehen?“ fragte sie dann.

      „Jaja, natürlich.“

      „Wie sieht es denn aus?“

      Herr Berendt lachte. „Wie alle kleinen Kinder … winzig klein und ziemlich rot und voller Falten …“

      „Pappi!“ sagte Gundula halb entsetzt, halb lustig, „du schwindelst mich an. Falten haben doch nur die alten Leute … Babys nicht!“

      „Doch, doch. Auch die ganz kleinen Babys haben Falten. Ich innere mich noch genau, als ich dich zum erstenmal gesehen habe!“

      „Nun mach aber mal ’nen Punkt, Pappi, ich habe bestimmt nicht Falten gehabt. Meinst du, ich lasse mich so beschwindeln? Schließlich hast du mich doch damals geknipst!“

      „Ja, als du drei Monate alt warst!“

      „Ich glaube dir kein Wort“, sagte Gundula mit Nachdruck.

      „Ich bin sicher, daß wir ein schönes Brüderchen bekommen haben … ein schönes, kluges, liebes Brüderchen. Das habe ich mir doch gewünscht. Gib zu, Pappi, du hast versucht, mich anzuschmieren.“

      „Anschmieren … was ist das wieder für ein Ausdruck!“ Mit einer Handbewegung brachte Herr Berendt seine Tochter, die sich verteidigen wollte, zum Schweigen. „Es hat wirklich keinen Zweck, daß wir uns herumstreiten … warte ab, bis du dein Brüderchen selber siehst.“

      „Und was machen wir bis dahin? Ohne Mutter?“

      „Ja, das wird nicht so einfach sein, aber wir müssen eben sehen, wie wir allein fertig werden. Frau Helmbrecht wird, wie immer, dreimal die Woche kommen …“

      „Und wer wird kochen?“

      „Ich denke, wir beide. Abwechselnd …“

      „Aber ich kann ja bloß Rührei!“

      Herr Berendt lachte. „Dann werden wir eben jeden zweiten Tag Rührei essen. Komm, Gundel, mach nicht so ein Gesicht. Irgendwie werden wir schon miteinander auskommen. Heute mittag, zum Beispiel, habe ich mir gedacht, gehen wir zusammen auswärts essen – na, wie wäre das?“

      Gundula sprang so heftig auf, daß der Kakao aus ihrer Tasse über den Tisch schwappte. „Prima, Pappi!“ rief sie begeistert. „Wir beide ganz allein … das habe ich mir immer schon mal gewünscht.“ Sie fiel ihrem Vater um den Hals, küßte ihn zärtlich auf beide Wangen. „Ein Brüderchen zu kriegen ist wirklich etwas ganz Tolles!“

      Die bunten Schuhe

      Als Gundula an diesem Morgen in die Schule kam, hatte die zweite Stunde schon begonnen. Einen Augenblick blieb sie vor der Tür ihres Klassenzimmers stehen und lauschte auf die Stimmen, die von drinnen kamen. Fräulein Zimmermann gab Geschichtsunterricht. Sie sprach scharf und energisch wie immer.

      Gundula zog eine Grimasse. War es nicht eigentlich dumm von ihr, ausgerechnet jetzt hineinzugehen? Niemand würde es merken, wenn sie sich bis zum Schluß der Geschichtsstunde irgendwo versteckte. Gundula zögerte. Aber dann siegte der Wunsch, ihren Freundinnen so schnell wie möglich das große Ereignis mitzuteilen. Entschlossen pochte sie an die Tür, trat ein.

      Zweiunddreißig Mädchenköpfe flogen zu ihr herum. Gundula blieb in der Tür stehen und genoß das Aufsehen, das ihr verspätetes Eintreffen erregte.

      „Guten Morgen“, grüßte sie laut und unbekümmert.

      Fräulein Zimmermann schüttelte ihren grauhaarigen Kopf. „Gundula Berendt!“ sagte sie mit Nachdruck. „Wer anders könnte sich erlauben, in der Mitte der zweiten Stunde zum Unterricht zu erscheinen!? Gundula … hast du wenigstens eine Erklärung für dein Zuspätkommen?“

      Gundula ging vor bis zum Katheder. „Jawohl, Fräulein Zimmermann“, trompetete sie, „ich habe ein Brüderchen bekommen!“ Sie strahlte die Lehrerin aus ihren blauen Augen an. Ein Raunen und Geflüster ging durch die Klasse.

      „Ach, wirklich?“ sagte Fräulein Zimmermann, und Gundula schien es, als wenn ihr Gesicht auf einmal viel wärmer und gütiger geworden wäre. „Dann gratuliere ich dir aber von ganzem Herzen!”

      Gundula öffnete ihre Schulmappe und zog einen Brief heraus. „Mein Vater hat mir eine Entschuldigung geschrieben, Fräulein Zimmermann.“

      „Nein, danke, Kind, ich glaube dir auch so“, sagte Fräulein Zimmermann freundlich. „Ein Brüderchen hast du also bekommen … wie soll es denn heißen?“

      „Michael Sebastian“, antwortete Gundula wie aus der Pistole geschossen.

      „Ein schöner Name“, lobte Fräulein Zimmermann. „Aber nun setz dich bitte, Gundula … vergiß für eine Weile das große Ereignis und versuche, dich auf den Unterricht zu konzentrieren!“

      Gundula ging strahlend vor Stolz und hocherhobenen Kopfes durch die Reihe zwischen den Bänken auf ihren Platz zu, als plötzlich ein brausendes Gelächter durch die Klasse ging. Gundula stutzte, sie blieb stehen, blickte um sich. Selbst Fräulein Zimmermann lachte.

      Gundula war so verwirrt, daß sie gar nichts begriff. Dann sah sie, wie die Mädchen, die etwas weiter von ihr entfernt saßen, sich über die Bänke beugten und auf den Boden blickten. Sie schaute an sich herunter und – also so etwas war ja wirklich noch nie dagewesen! Gundula stellte fest, daß sie zweierlei Schuhe anhatte, einen roten und einen schwarzen. In der Eile hatte sie wahrhaftig nicht darauf geachtet. Mit wenigen Schritten war sie bei ihrer Bank, setzte sich auf ihren Platz und schob die Beine nach hinten, um sie den Blicken der anderen zu entziehen.

      „Gratuliere, Gundel!“ flüsterte ihr Leni Brinkmann, ihre Banknachbarin und beste Freundin, zu. „Mach dir nichts draus, verkehrte Schuhe bringen Glück!“

      „So? Woher weißt du das?“

      „So was weiß man eben!“ behauptete Leni von oben herab. „Das ist genauso, als wenn man einen Pullover verkehrt herum anzieht oder so etwas. Alles, was schief oder verkehrt ist, hat etwas Gutes zu bedeuten!“

      Gundula hatte keine Zeit mehr, über diese kühne Behauptung nachzudenken, denn Fräulein Zimmermann hatte inzwischen die Ruhe in der Klasse wiederhergestellt. Sie nahm den Unterricht dort wieder auf, wo sie ihn

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